Deutschland: Land der unbegrenzten Möglichkeiten für Migranten?

Der Boxer Artur Abraham und die CDU-Ministerin Aygül Özkan machen mit bei der Kampagne. Bild: S. Duwe

Integrationsbeauftragte der Bundesregierung und Verleger starten Kampagne zur Integration, Bild-Chefredakteur Diekmann soll ebenfalls für Integration kämpfen

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Deutsch zu sprechen ist Grundbedingung für eine erfolgreiche Integration in Deutschland. Mit einer neuen Plakat- und Anzeigenkampagne der Deutschlandstiftung Integration unter dem Motto Raus mit der Sprache. Rein ins Leben sollen Migranten für den Erwerb von deutschen Sprachkenntnissen begeistert werden. So führt die Internetseite der Kampagne geradewegs zu einer Suchmaschine für die nächstgelegene Sprachschule. Eine wirkliche Problemlösung allerdings ist mit der Kampagne nicht verbunden.

Die elf Prominenten, darunter Rapper Sido, Fußball-Nationalspieler Jérome Boateng und Ministerin Aygül Özkan, die der Werbekampagne der Zeitschriftenverleger und der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Maria Böhmer, (CDU) ihre Gesichter leihen, sollen Deutschland als ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten für Migranten erscheinen lassen. Wer sich anstrengt, der kann auch Erfolg haben, so die Botschaft. Getreu dem immer wieder gern bemühten Motto des Förderns und Forderns sieht die niedersächsische Sozialministerin Özkan (CDU) die Bringschuld für den Spracherwerb bei den Migranten. An die Jugendlichen gerichtet, sagte Özkan: "Ihr könnt jeden Job ausüben, wenn ihr euch ein Ziel setzt und die deutsche Sprache beherrscht." Sie habe das ja auch geschafft.

Die Erfolgsgeschichten der Prominenten, die sich mit herausgestreckter schwarz-rot-goldener Zunge fotografieren ließen, lenken jedoch vom eigentlichen Problem ab. Es ist eben nicht so, dass jeder Migrant die Chance hat, sich zu verwirklichen und seine Fähigkeiten in die Gesellschaft einzubringen. Fehlende Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen und Benachteiligung von Menschen mit türkischem Namen bei der Jobsuche sind bekannte Probleme, denen die Kampagne nichts entgegenzusetzen weiß. Allein mit Vorbildern, die den Menschen ein lautes "Yes, you can!" zurufen, wie es die Choreographin Nikeata Thompson, die ebenfalls für die Kampagne posiert, formulierte, ist es nicht getan.

Denn in der Realität legt die Politik selbst den Integrationswilligen derzeit unnötige Steine in den Weg, die für die Betroffenen demotivierend sind. Während mit der groß angelegten Werbekampagne für Deutschkurse getrommelt wird, mangelt es schlicht an freien Plätzen. Um den Haushalt nicht zu überziehen, hat die Regierung eine Wartefrist von drei Monaten für freiwillige Teilnehmer an den Integrationskursen festgelegt. Praktisch dauert diese jedoch oft länger – Wartezeiten von einem dreiviertel Jahr sind keine Seltenheit.

Plakate der Kampagne. Bild: S. Duwe

Zudem werden nur noch die Fahrtkosten zur nächstgelegenen Sprachschule gezahlt. Ist der dortige Kurs belegt, muss der Bewerber entweder die Fahrt an eine andere Einrichtung mit freien Plätzen selbst zahlen, was häufig für die Betroffenen nicht möglich ist – oder warten. Wertvolle Zeit verstreicht, in der die Migranten auch schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, da ihnen wichtige Sprachkenntnisse fehlen. Die politische Bremse bei den Sprachkursen resultiert damit in höheren Sozialtransfers – der Staat spart an der falschen Stelle. Auf diese Probleme angesprochen, reagierte Böhmer eher ausweichend. 700.000 Menschen hätten bis Ende des Jahres an Integrationskursen teilgenommen, so Böhmer, die Hälfte davon freiwillig. Das sei bereits eine große Leistung, die man jedoch noch ausbauen wolle.

Ein Blick auf die hinter der Kampagne stehende Stiftung lässt ohnehin die Frage aufkommen, mit welcher Ernsthaftigkeit das Thema Integration, das durch die teilweise rechtspopulistische Debatte um Muslime in Deutschland in den letzten Monaten verstärkt an Brisanz gewonnen hat, angegangen werden soll. So findet sich im Vorstand der Deutschlandstiftung Integration Kai Diekmann, der Chefredakteur der Bild-Zeitung, wieder. Eben jene Zeitung, die Sarrazin mit seinen Thesen, die wissenschaftlich nicht haltbar sind, als Klartext-Politiker feierte und sein Buch zu einer "Klartext-Analyse" hochstilisierte. All jenen, die dem Verkünder der Wahrheit zu widersprechen wagten, warf die Bild vor, mit Beschimpfungen über ihn herzufallen.

Mit dem Vorabdruck ausgewählter Passagen aus dem Buch hat die Bild, neben anderen, den Rummel um den Populisten Sarrazin in Fahrt gebracht, und sich als Brandstifter betätigt. Das Ergebnis ist eine Stimmung, in der das Thema Integration zwar verstärkt, jedoch vorwiegend mit Stammtischparolen diskutiert wird. Seehofers Aussage, Deutschland sei kein Zuwanderungsland, lässt sich nur vor dem Hintergrund einer dadurch offener zutage tretenden Fremdenfeindlichkeit in der Bevölkerung erklären, die nun bedient werden will.

Der Brandstifter wird in der Deutschlandstiftung zur Feuerwehr, ein Problem will darin aber keiner der Beteiligten sehen. Wolfgang Fürstner, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) und ebenfalls Vorstandsmitglied der Stiftung, erklärte auf Nachfrage von Telepolis, dass Diekmann hinter der Integration als gesellschaftspolitischer Aufgabe stehe – und das müsse reichen. Im Übrigen herrsche Pressefreiheit, so dass auch andere Meinungen ertragen werden müssten.

Fürstner übergeht dabei freilich, dass Diekmann als Chefredakteur der Bild inhaltlich in der Verantwortung steht und sich um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema hätte bemühen können. Auch Staatsministerin Böhmer sieht in Diekmann kein Problem für die Glaubwürdigkeit der Stiftung und erklärte, dass sich der Chefredakteur stark für die Integration einsetze. In Integrationsfragen bräuchte es Klärung, diese ließe sich nicht erreichen, wenn ein bestimmtes Thema nicht angesprochen würde. Es müsse über beide Seiten der Medaillen gesprochen werden.

Diekmann, der sich für die Vorstellung der Plakatkampagne ebenfalls angekündigt hatte, erschien nicht – er sei durch eine Auslandsreise verhindert, erklärte Fürstner. Dafür fordert die Bildzeitung die Migranten auf: "Leute, lernt Deutsch!" Dass Integration ein Prozess ist, der auf beiden Seiten Anstrengung voraussetzt, klingt in der einfachen Welt der Bild nicht an – damit ist der Grundstein für die nächste populistische Kampagne über Ausländer jedoch schon gelegt.