Gibt es überhaupt Placebos?

Bei den klinischen Placebo-Versuchen zur Wirksamkeit von Medikamenten wird kaum jemals deren Zusammensetzung angegeben

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Die Wirksamkeit von Medikamenten wird besonders deutlich in klinischen Doppelblindstudien nachgewiesen, in denen eine zufällig ausgewählte Gruppe der Patienten ein Medikament und eine andere Placebos, also Scheinmedikamente ohne jeden Wirkstoff, erhält. Weder Ärzte noch Patienten wissen, wer was erhält, so dass Erwartungen von beiden Seiten keine Rolle spielen sollten. Übertrifft die Wirksamkeit des Medikaments die der Placebos, so scheint sie empirisch belegt und objektiv zu sein.

Doch möglicherweise kann man sich da gar nicht so sicher sein, so die Medizinprofessorin Beatrice Golomb von der San Diego School of Medicine an der University of California in einer Studie, die in der Zeitschrift Annals of Internal Medicine veröffentlicht wurde. Das Problem sei nämlich, dass es keine völlig neutralen Substanzen gebe. Zudem gibt es keine standardisierte und anerkannte Regelung, was in Placebos enthalten sein darf, so dass sogar die Hersteller von Medikamenten bei den Versuchen die Placebos so präparieren könnten, dass die Wirksamkeit größer ist. Die genaue Zusammensetzung der Placebos wird normalerweise nicht mitgeteilt.

Golomb hatte die Kritik bereits vor 15 Jahren in der Zeitschrift Nature geäußert. Um zu überprüfen, ob sich die Situation seitdem verbessert hat, haben Golomb und ihre Kollegen geprüft, wie oft in Studien über klinische Versuche, die vom Januar 2008 bis Dezember 2009 in den vier wichtigsten Fachzeitschriften für innere Medizin, die Zusammensetzung der Placebos angegeben wurde. Das war nur in weniger als 10 Prozent der Fall. Wenn Pillen gegeben wurden, scheinen die Wissenschaftler die Zusammensetzung noch für sehr viel unwichtiger zu halten, als wenn Placebo-Injektionen gegeben werden, vermutlich weil man dann direkt etwas in die Blutbahn oder den Körper gibt. Die Unterscheidung ist allerdings kaum wissenschaftlich begründbar.

Nach der Studie wird deutlich, dass kaum bekannt ist, welche Placebos die Versuchspersonen in klinischen Studien wirklich erhalten. Da aber die Substanzen sich auch positiv older negativ auswirken können, müssten Placebo-Studien zumindest die Angabe machen, was in den Placebos enthalten ist, fordern die Wissenschaftler.

Die möglichen Auswirkungen unterschiedlicher Placebos auf die Ergebnisse von Versuchen seien nicht nur theoretisch, sagt Golomb: "Wenn die Komposition angegeben wurde, hatten die Bestandteile des Placebos in manchen Fällen einen wahrscheinlichen Einfluss auf die Studie – in beiden Möglichkeiten, indem sie eine wirkliche Wirkung verschleierten oder eine zweifelte schufen." In aller Regel würde es sich nicht um eine bewusste Manipulation handeln, aber es sei schwierig, ein Placebo zu finden, das kein Problem mit sich bringt, das also wirklich völlig neutral ist.

Oft wirken Placebos sehr gut, was man aber meist auf das Drumherum zurückgeführt hat. Teilweise könnte die Wirkung von Placebos also doch auch auf deren Bestandteile zurückzuführen sein, wodurch die Placebos zu Wirkstoffen würden und die Placebo-Studien in ihrer Bedeutung für die Wirksamkeit von Medikamenten noch einmal auf andere Weise hinterfragbar wäre.