Die Freiheit zu schimpfen

Gesetze gegen Gotteslästerung und ihre Auswirkungen auf die Grundrechte weltweit

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Trotz erheblicher Anstrengungen zu ihrer Definition weiß bis heute kein Mensch genau, was "religiöse Gefühle" eigentlich sind. Die Menschenrechtsorganisation Freedom House erforscht in ihrem aktuellen Bericht "Policing Belief" die Auswirkung von Gesetzen zum Schutz dieser undefinierbaren Gefühle.

In den USA, das weiß man, ist die Freiheit zu Hause, und deswegen gibt es dort auch ein spezielles Haus für sie: die Organisation "Freedom House". 1941 mit prominenter Rückendeckung gegründet (so z.B. gehörte Eleanor Roosevelt zu ihren ersten Unterstützern), wird die Organisation heute manchmal als eine NGO bezeichnet, obwohl ihr Geld zu zwei Dritteln von der US-Regierung kommt. Die Staatsferne darf also bezweifelt werden, und das erklärte Ziel der Verbreitung "liberal-demokratischer" Werte deckt sich mit dem der US-Außenpolitik auch in vielen Fällen, wie z.B. bei der Unterstützung der Solidarnnosc in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts.

Es gibt durchaus valide Kritik am Freiheitsbegriff und am Auftreten von "Freedom House"; sogar von einer Funktion als verlängerter Arm der CIA ist die Rede. Es wäre allerdings kurzsichtig, daraus zu schließen, das "Freedom House" sei komplett ein Haus der staatstragenden Propaganda.

So trat man zum Beispiel in den 1960ern für die Bürgerrechtsbewegung in den USA ein. Es ist halt bei "Freedom House" dasselbe wie so oft bei Organisationen, die sich der "Freiheit" westlicher Prägung verschrieben haben: Man fördert die Entwicklung freiheitlicher Verfassungsgrundsätze immer so lange, wie sie der Freiheit zu Maximalisierung ihrer Elastizität in der Wirklichkeit nicht widersprechen. Wenn man das mitbedenkt, ist der Bericht "Policing Belief" eine lohnende und interessante Lektüre.

Ungerechtfertigte Restriktionen der Redefreiheit

Es geht um Gesetze, die die Blasphemie bekämpfen wollen, und ihre Auswirkungen auf Grundrechte überall dort, wo sie greifen. Sieben Länder hat die Autorin Jo-Anne Prud'homme untersucht, nämlich Algerien, Ägypten, Griechenland, Indonesien, Malaysia, Pakistan und Polen. Dabei ist ihre Perspektive von vornherein klar:

Definitionsgemäß begründen diese Gesetze, die zum Schutz religiöser Institutionen, Doktrinen, Figuren und Konzepte - in anderen Worten, nichtmenschlicher Ideen und Entitäten - geschaffen wurden, ungerechtfertigte Restriktionen der Redefreiheit.

Sie zählt die Strafmaßnahmen auf, die von diesen Gesetzen zur Verhinderung der "Blasphemie" angedroht werden und von Geldstrafen, über Inhaftierung bis zur Todesstrafe reichen. Allgemein kommt der Report zu dem Schluss, dass die bloße Existenz von Anti-Blasphemie-Gesetzen die Redefreiheit in einem Land behindert, und zwar nicht nur durch die besagten Strafandrohungen, sondern auch dadurch, dass sie religiöse Selbstjustiz von nichtstaatlicher Seite unterstützen (was durchaus bis zum Toben eines "heiligen" Lynchmobs gehen kann), dass sie immer die extremsten Auslegungen von religiösen Machtansprüchen unterstützen, weil es naturgemäß deren Sachwalter sind, die sich am leichtesten religiös beleidigt sehen. Und dass auch die milderen dieser Gesetze in Staaten, die demokratisch genannt werden können, die Redefreiheit beschädigen, indem sie a) zur Selbstzensur auffordern und b) definitiv nichtdemokratischen Staaten zur Beibehaltung und Ausdehnung von Blasphemiegesetzen ermutigen, die im Extremfall Folter und Tod als Strafe für derartige Verfehlungen vorsehen.

Die fortdauernde Existenz von "Anti-Blasphemiegesetzen" in einigen der besten Demokratien der Welt unterstützt nicht deren missbräuchliche Anwendung anderswo, sondern auch die Argumentation zur Einführung derartiger Gesetze auf internationaler Ebene.

Mehr innergesellschaftliche Konflikte

Als Beispiel führt der Bericht an, dass Pakistan die Formulierungen des irischen Anti-Blasphemiegesetzes in einem Vorstoß vor einem Gremium der UN zur Einführung dieser Sorte Gesetzgebung benutzt hat. Auch Deutschland mit seinem famosen Paragraph 166 StGB findet dabei Erwähnung. Was die im Paragraph 166 implizit enthaltene und auch sonst vorgebrachte Behauptung angeht, die Gesetze zum Schutz religiöser Gefühle seien nötig, um den Frieden innerhalb multireligiöser Gesellschaften zu erhalten, sagt der Bericht:

Es gibt nur wenige Hinweise darauf, dass Blasphemie-Verbote effektive Mittel zum Kampf gegen rassistische und religiöse Intoleranz sind. Im Gegenteil scheint die Durchsetzung solcher Verbote innergesellschaftliche Konflikte zu erzeugen und verstärken, statt sie zu verhindern.

Als Beispiel führt sie die Ahmadiyya an, eine sich selbst als islamisch begreifende Glaubensrichtung, die aber in mehreren islamischen Ländern aktiv legislatorisch bekämpft wird. Tendenziell sind alle Anti-Blasphemie-Gesetze, selbst die in liberalen Gesellschaften, juristische Instrumente, die es der vorherrschenden Religion erlauben, abweichende Weltanschauungen zu unterdrücken.

Besonderes Augenmerk legt der Bericht, wie schon erwähnt, auf die Vorstöße zur Etablierung international gültiger Anti-Blasphemie-Gesetze. Hier sieht die Autorin vor allem auf das "AD Hoc Committee on the Elaboration of Complementary Standards", das selbst ein Ergebnis der UN-Weltkonferenz gegen Rassismus im Jahr 2001 in Durban/Südafrika war.

Ein Konzept, das in Wirklichkeit die Idee der Menschenrechte auf den Kopf stellt

Während eines Meetings des Komitees im Jahr 2009 schlug Pakistan vor, in die Internationale Konvention zur Eliminierung aller Formen der Rassendiskriminierung zusätzliche Passagen einzuführen, die die Diffamierung von Religionen verbieten würden. Nigeria brachte in Vertretung für die afrikanische Teilnehmergruppe einen ähnlichen Vorschlag ein.

Die Autorin des "Freedom House"-Berichts fasst ihre Ansichten zu derlei Ideen wie folgt zusammen:

Der schwere und weitreichende Missbrauch, der aus der Anwendung von Anti-Blasphemie-Gesetzen resultieren kann, begründet ernsthafte Zweifel an der Etablierung ähnlicher Gesetze auf internationalem Niveau. Solche Gesetze würden ihren fehlerhaften nationalen Vorbildern weitere Legitimation verleihen und den Frieden in der Weltgesellschaft bedrohen, statt ihn, wie behauptet, zu schützen. Schlimmer noch: solche Gesetze würden in das Geflecht der internationalen Menschenrechte ein Konzept einschmuggeln, das in Wirklichkeit die Idee der Menschenrechte auf den Kopf stellt, indem es die Rede- und Handlungsfreiheit (…) zum Schutz bestimmter Ideen einschränkt und den Gleichheitsgedanken sowie die Rechtsstaatlichkeit durch Unterwerfung unter religiöse Orthodoxie und subjektive Gefühle des Beleidigtseins ersetzen würde.

Dem ist aus Sicht des Autors nicht viel hinzuzufügen.