Explosionsgefahr in Gorleben

Gasvorkommen im geplanten Endlager schon seit 1982 bekannt

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Die Kritik am Pro-Atomkurs der Bundesregierung nimmt zu. In Berlin demonstrierten am 25. Oktober Kernkraftgegner unter dem Motto "Atommüll zurück an Absender". Sie organisierten einen "Atommülltransport" von Gorleben nach Berlin, um die, allerdings leeren, Fässer vor dem Bundestag aufzubauen. Neue Munition erhalten die Gorlebenkritiker, die für den kommenden Castortransport ins Wendland ihre Aktionen akribisch planen, nun von einem neuen Aktenfund von Greenpeace, wonach schon seit Jahrzehnten ein Gasvorkommen im Bereich des vorgesehenen Endlagers bekannt ist.

Protestaktion am 25. Oktober. Bild: S. Duwe

Die Umweltschützer haben sich mittlerweile die Einsicht in Akten rund um das Thema Gorleben von 14 Ministerien und Behörden erstritten, die sie nach und nach im Internet veröffentlichen. Akten des Bundesumweltministeriums und des Bundesamtes für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) belegen nun, dass es im Salzstock Gorleben Gasvorkommen gibt, die das Bergwerk für die Endlagerung von hochradioaktivem Müll ungeeignet machen – und offenbar von der Politik bewusst ignoriert wurden.

Bereits im Juni 1982, bei der ersten Schachtvorbohrung, stießen Arbeiter auf leicht entzündliche Kohlenwasserstoffgase. Auch auf den Strecken des Erkundungsbereiches 1, der heute in industriellem Maßstab ausgebaut werde, hätten Bohrmannschaften Gas und flüssiges Gas, so genannte Kondensate, vorgefunden, erklärte der Greenpeace-Atomexperte Mathias Edler.

Gasvorkommen waren in der Gegend nichts Neues. Bereits im Juli 1969 kam es auf dem Gebiet der DDR bei Rambow während einer Erkundungsbohrung zu einer Gasexplosion. Die Gase von Rambow sind identisch mit jenen, die 1982 aus der ersten Schachtvorbohrung (Go 5001) in Gorleben austraten und "abgefackelt" werden mussten.

In diesem Zusammenhang ist in den Akten der BGR zudem von "erhöhten Gasvorkommen", so genannten "Kick's", die Rede. Sowohl die Bohrung Go 5001 als auch die zweite Schachtvorbohrung Go 5002 mussten aufgrund von Gas und Kondensat eingestellt werden, noch bevor die ursprünglich angestrebte Tiefe von 1.000 Metern erreicht war. Während das Gasvorkommen auf unteren politischen Ebenen durchaus eine Rolle spielte, seien diese jedoch auf höheren Ebenen immer stärker heruntergespielt worden, erklärte Edler.

Ulrich Schneider, Geologe (links) und Mathias Edler, Greenpeace-Atomexperte. Bild: S. Duwe

So erkennt der PTB-Zwischenbericht aus dem Jahr 1983 in den Gasvorkommen kein Problem, da diese im Salzstock selbst entstanden seien. Die Gasexplosion von Rambow spielt in den Betrachtungen gar keine Rolle mehr. "Es handelt sich hier aber offenbar nicht um eine Gaslagerstätte, denn in den entsprechenden Unterlagen der DDR wird hier keine Gaslagerstätte angegeben", schreibt die Physikalisch-Technische Bundesanstalt lapidar. Das Bundesinnenministerium kommt auf dieser Grundlage zu dem Schluss: "Die Schachtvorbohrungen (Go 5001 und Go 5002) haben auf Anhieb geeignete Ansatzpunkte für die Schächte geliefert". Warnungen, wie sie noch Ende 1982 das Bergamt Celle äußerte, da es im Falle des Antreffens von Gas eine Abdichtung des Bohrlochs Go 5002 kaum für möglich hielt, wurden schlicht ignoriert.

Dabei sind die Gasvorkommen laut dem Geologen Ulrich Schneider ein KO-Kriterium für das geplante Endlager. Die Kohlenwasserstoffgase, die von Rambow bis Wustrow "großflächig verbreitet" seien, und auch im Endlager nachgewiesen wurden und einen Flammpunkt von lediglich 20 Grad aufweisen, können bei Bohrungen nicht nur zu Explosionen führen. Schwerwiegender ist die Wechselwirkung zwischen dem eingelagerten hochradioaktiven Atommüll und dem Gas. Die Fässer, die an der Oberfläche eine Temperatur von 200 Grad haben, würden zu einer Ausdehnung des Gases führen. Das Ergebnis beschreibt Schneider so:

Sie nehmen eine Gaskartusche, stellen die in den Backofen. Sie drehen den Backofen auf 200 Grad. Was passiert? Das Haus ist weg.

Für das Endlager bedeutet dies: Durch die Ausdehnung des Gases entsteht Druck, der zu Haarrissen im Salzstock führt. So entstehen kleine Spalten, durch die Radionuklide, Gase und Lösungen aus dem Endlager heraus dringen können. Das Argument der Gorlebenbefürworter, wonach das Salz durch die Hitzeentwicklung den Atommüll fest und sicher umschließt, kann damit als widerlegt gelten. Durch die zahlreichen kleinen Gaseinschlüsse werde das Salz von innen her zerklüftet, erklärte Schneider, somit sei der einschlusswirksame Gebirgsbereich nicht mehr gegeben.

Deshalb kommen sowohl Schneider als auch Edler zu dem Ergebnis, dass das geplante Endlager Gorleben nicht als sicher gelten kann. Gorleben sei im wahrsten Sinne des Wortes verbrannt, so Edler. Umweltminister Röttgen forderte er auf, den Standort Gorleben sofort aufzugeben und alle Akten von sich aus auf den Tisch zu legen. "Man sollte die gefährlichsten Abfälle der Menschheit nicht auf einem Pulverfass lagern."