Terror 2020

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Bioladen trifft Gutverdiener und "Stuttgart 21" im Quadrat: "Die kommenden Tage"

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Man könnte sagen, "Die kommenden Tage" sei der Film zu "Stuttgart 21": bürgerlicher Protest, konservative Werte, Überdruß, Luxus und Verzweiflung. Die Gegenwart verhindert in die Zukunft zu denken, die eigene Befindlichkeit verhindert den Gedanken ans Allgemeine. Mit anderen Worten: Schwarz-Grün; Prenzlberg; Bioladen trifft Gutverdiener. Ein bisschen bringt dieser Film solche Haltungen auf den Begriff, zeigt, was aus ihnen folgt, vor allem die Widersprüchlichkeit.

Es wechseln die Zeiten. Nichts altert, heißt es, so schnell wie Science-Fiction. Doch mit diesem Film könnte es sich einmal anders verhalten und kaum einer, der ihn gesehen hat, wird sich das wünschen. Im Gegensatz zu den allermeisten Science-Fiction-Filmen wird in Lars Kraumes "Die kommenden Tage" nicht einfach irgendeine krude Prämisse gesetzt, eine Invasion von Außerirdischen, eine tödliche Massenepidemie oder der Aufstand von Robotern erfunden, sondern die Gegenwart ganz einfach mit Scharfsinn und bösem Blick ein bisschen hochgerechnet.

Wie könnte sie aussehen, die Zukunft in zehn Jahren, 2020? Vielleicht gibt es ja einen dritten Golfkrieg, der die Saudis miteinbezieht und plötzlich das Öl knapp werden lässt. Die Erderwärmung geht weiter, die Flüchtlingsströme schwellen an, es gibt wieder mal eine Finanzkrise und die Regierungen haben endgültig vor populistischen Versuchungen kapituliert. Auch der Widerstand dagegen nimmt zu, tägliche Massendemos schaffen viele "Stuttgart 21" - alles nicht allzu unrealistisch, oder?

Moralischer Widerstand gegen die Verhältnisse

In diesem Klima siedelt Kraume seine Geschichte an. Doch diese Krise bildet nur den Hintergrund, nicht um große Weltpolitik geht es hier, sondern um den kleinen Rahmen einer großbürgerlichen Familie: Vater, Mutter, drei erwachsene Kinder. Ziemlich am Anfang gibt es eine Familienfeier und ein wenig wirkt das alles wie die "Buddenbrooks" für unsere Tage: Verfall einer Familie. Susanne Lothar spielt in wenigen treffenden Szenen die Mutter, deren Mann sich scheiden lassen will.

Im Zentrum steht aber Laura, die zweitälteste Tochter. Sie studiert Biologiegeschichte, schreibt eine Arbeit über Darwin und ist daher mit den Tücken der Evolution und den Überlebenstricks der Natur vertraut. Ihre Schwester Cecilia ist labiler und steht unter dem Einfluß von Konstantin, dessen moralischer Widerstand gegen die Verhältnisse schon früh eine fanatisch-ideologische Note bekommt. Ihr kleiner Bruder Philip dagegen verpflichtet sich bei der Bundeswehr und muss in den Krieg. Und Laura selbst, als Erzählerin aus dem Off das ruhige, kluge, sensible, nie auftrumpfende, sondern gelassene Zentrum des Films, ist in den Ornithologen Hans verliebt, einen Aussteiger, der wenn schon nicht die Welt, dann doch die Tiere retten will.

Es ist bestimmt nicht wenig, was Kraume, der auch Autor und Produzent des Films ist, und diese seltene Freiheit weidlich nutzt, in seinen neuen Film hineinpackt. "Die kommenden Tage" ist zweifelsohne eines der ehrgeizigsten deutschen Filmprojekte der letzten Jahre und manche werden das alles schrecklich überladen finden, oder einfach ehrgeiziger, als es einem deutschen Film gebührt.

Aber P.T. Andersons "Magnolia" und Afonso Cuarons "Children of Men", die diesen Film spürbar inspiriert haben, hat man so etwas auch nicht vorgeworfen. Wie einst Robert Altman entfaltet Kraume ein Netzwerk zwischen mehreren Figuren, die er durch das Leben in der beschriebenen Zukunftswelt eskalierender Krisen begleitet, und relativ gleichberechtigt behandelt, verbindet Charaktere um von einer Gesellschaft oder wenigstens einem Milieu zu erzählen.

Sympathie mit dem Sturm der Veränderung

Alles wird schlecht. Science-Fiction aus Deutschland - geht das überhaupt? Es geht. Der Look ist absichtsvoll schäbig, Kamera und Schnitt sind stark, fehlerlos und weben einen dichten eindrucksvollen Bilderteppich. Grundidee und Konzept fügen sich in das neue Interesse deutscher Regisseure für Genrekino, das unsere Alltagswelt, die Triebfedern Macht und Geld, die Zeiterscheinungen Krise und Terror plötzlich wieder auf die Leinwand zurückbringt.

Und auch wenn man August Diehl und Daniel Brühl nicht mehr als besonders originelle Besetzung empfinden kann, und wenn Johanna Wokalek ein bisschen zu deutlich auf den Spuren ihres - allerdings tollen - Auftritts als Gudrun Ensslin im "Baader Meinhof Komplex" wandelt, überzeugen die Darsteller alle. Am meisten gilt das aber für Bernadette Heerwagen, die man schon lange aus dem Fernsehen kennt, die in ihrer ersten Kinohauptrolle als Laura aber zu der Entdeckung dieses Films wird. Wenn es mit rechten Dingen zugeht, wird man noch viel von ihr hören.

Kraume zeigt, wie man von der Zukunft erzählen kann, und spiegelt in der Dystopie der zerfallenden Gesellschaft das familiäre Melodram - und umgekehrt. Zugleich handeln Science-Fiction Filme bekanntlich nur vermeintlich von der Zukunft, sie beschreiben eigentlich die Gegenwart, in der sie entstehen. Zu unserer Gegenwartswahrnehmung gehört der - vielleicht täuschende - Eindruck, alles sei mit allem so untrennbar verbunden, und daher gebe es keine Möglichkeit zu klaren Positionen mehr. Auch Kraume inszeniert die Verkettung der vielen Probleme als Dominoeffekt, zugleich aber beschreibt er in der Melancholie über die infame Kompliziertheit des Bestehenden auch jenes vage Gefühl, das sich einen Sturm wünscht, der alles verändert, und damit auch neue Freiheiten schafft.

Diese Sympathie mit den schwarzen Stürmen dieses Films ist gefährlich. Aber vielleicht wird man, wenn man auf diesen klugen, herausfordernden Film in 20, 30 Jahren zurückblickt, genau hierin die Ahnung einer zukünftigen Gegenwart entdecken.

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