Die Schwestern Annelie und Verena Becker

Bedeutende Funde sind in Stasi-Akten sehr wohl zu machen - Teil 3

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Teil 2: Warum Aufklärung die Stasi-Unterlagen-Behörde nur bedingt interessiert
Teil 1: Führer der Japanischen Roten Armee waren registrierte Stasi-Agenten

Auch Annelie Becker ist den "Klausens" zugeordnet, wiewohl für sie eine klare Registriernummer und ein Deckname nicht auffindbar sind. Ihre ältere Schwester Verena stellt sich derzeitig gegenüber dem Gericht in Stuttgart-Stammheim dem Verdacht, aktiv an dem Mord des Generalbundesanwaltes Siegfried Buback von 1977 beteiligt gewesen zu sein und Kontakte mit Geheimdiensten gehabt zu haben.

Verena Becker

Laut Stasiakten war auch Schwester Annelie im Terrorismus aktiv, seit 1973 als 19-Jährige. In einem Kassiber von Ende 1975 wird der Stasi eine führende Rolle Annelies in der sogenannten "Haag-Mayer-Bande" deutlich. 1976 wurde sie in der BRD zur Festnahme ausgeschrieben.

Erwähnt werden interessanterweise auch "Observationen der (Annelie - R.I.) B. durch Westberliner Kriminalpolizei im Rahmen der Klärung des Mordanschlages auf den Generalbundesanwalt Buback" am 8.4.1977. Im Mai 1977 war auch sie nach Erkenntnissen der schwedischen Polizei an der Vorbereitung der dann verhinderten Entführung einer Ministerin dabei. Kurz danach, im Juni desselben Jahres sei sie über die Grenzkontrollstelle Herleshausen in die DDR eingereist. Am 4. März 1981 war sie bei der Besetzung des "Spiegel", am 21. März desselben Jahres bei der Besetzung des Schauspielhauses Frankfurt dabei. Bis 1983 unternahm sie viele Reisen in die DDR, zu Verwandten, wie es heißt. Ein Dossier der Abteilung XXII sieht Bedarf, den "Charakter" der "umfangreichen Verbindungen" von Mutter und Geschwistern in die DDR "zu klären".

Auch Annelie Becker war ab 1984, genau seit dem 19.11., unauffindbar. Ein Haftbefehl besteht gegen sie seit Ende desselben Jahres.

Der Stasi-Bericht aus dem Bereich der Aufklärung vermutet ihre Beteiligung an dem Sprengstoffanschlag auf die NATO-Schule in Oberammergau im Dezember 1985 und an der Ermordung des Industriellen Ernst Zimmermann im Februar 1985. Das sind nicht gerade geringfügige Verdächtigungen. Stasi-Akten weisen in der Regel eine sehr präzise Aufklärung auf.

Als ihre Schwester Verena bereits 9 Jahre im Gefängnis sitzt, nehmen sie Zielfahnder des BKA am 13.1.1986 in Hannover-Linden schließlich fest. Ihr Pass ist gefälscht. In Zeitungsartikeln, die man auch zwischen den Stasiakten findet, konnte man einen Tag darauf lesen: "Widerstandslos ließ sich Annelie Becker abführen. Die 31jährige war unbewaffnet - sie war die erste Frau aus den Reihen der RAF, die bei der Festnahme keine Waffe bei sich trug."

Kurz nach der Festnahme dementiert Alexander Prechtel, Pressesprecher von Siegfried Bubacks Nachfolger Kurt Rebmann und späterer Generalbundesanwalt, "entschieden" ihre Beteiligung an jüngsten Terroranschlägen. Auch über Annelie Becker sprachen seinerzeit die deutschen Zeitungen ("Nach Verhaftung von Terroristin Becker. Heiße Spur zum RAF-Kern"). Was nach der Verhaftung aus ihr geworden ist, wissen wir nicht. Ihr Name in den Akten ist durch die Sachbearbeiter der BStU gar meist geschwärzt. Wohl lebt sie heute mit Schwester Verena zusammen, doch ist sie so gut wie vergessen. Als ob unsichtbare Hände ihre Spur bis hinein in die Stasi-Akten verwischen sollten.

Verena Becker hatte bei ihrer Verhaftung am 3.5.1977 200 Ostmark in ihrer Hosentasche. So hält es das Gerichtsurteil gegen sie fest. Schon vor einem Jahr wurde nach Durchsicht von Stasi-Akten vom 2.2.1978 veröffentlicht, dass Verena Becker nach "zuverlässiger" Quelle von "westdeutschen Abwehrorganen" bereits seit 1972 kontrolliert wird: "Diese Informationen wurden durch Mitteilungen der HVA von 1973 und 1976 bestätigt." Akten aus dem Jahr 1979 führen vier verschiedene Decknamen für sie auf.

Dort lesen wir auch, dass nach "Angaben von Becker und Sonnenberg" die beiden am Tag ihrer Verhaftung eigentlich anderes vorhatten. Im Regierungsbezirk Unterfranken hatten sie -laut Stasiakten - eine Verabredung. Und dies mit niemand Geringerem als Carlos, Rolf Heissler, Christian Klar, Hans-Joachim Klein, Jörg Lang, Gabriele Rollnick, Inge Siepmann und Inge Viett, also hochkarätigen Bombenleuten des deutschen Terrorismus. Beunruhigend ist, wem Becker und Sonnenberg eigentlich diese höchst vertrauliche Mitteilung über ein mit Sicherheit sehr geheimes Treffen machten? Muss der Adressat dieser Mitteilung nicht ein enger Vertrauter sein? Ein Vertrauter aus einem Geheimdienst?

Eine weitere Akte bestätigt, wenn nicht eine eindeutig verpflichtende Agententätigkeit oder einen direkten Stasi-Kontakt, so aber doch zu mindestens ein deutliches frühes Interesse der Stasi an Verena Becker. Die ordnete der jungen Militanten im Jahr 1969 die Registriernummer XV/2928/69 zu. Klar ist jedenfalls, dass Verena Becker von Anfang an schon bei den Vororganisationen der "Bewegung 2. Juni" eine deutliche, die Militanz vorantreibende Rolle spielte. Wie ein infiltrierter Agent Provocateur.

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