"Russische Märsche" gegen Gastarbeiter und Andersdenkende

Nachdem Rechtsradikale den russischen Feiertag der "Volkseinheit" mit ihrem "Russischen Marsch" prägten, hat nun die Kreml-nahe Jugendorganisation Naschi den Markennamen übernommen

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Die Fenster in dem 13geschossigen Plattenbau im Moskauer Bezirk Ljublino öffneten sich, trotz Nieselregen. Neugierige Anwohner schauten nach unten auf die breite Pererwa-Straße. Dort zog am 4. November ein "Russischer Marsch" vorbei. 5.000 Rechtsradikale marschierten nach Polizeiangaben, 12.000 waren es nach Meinung der Veranstalter. Die meist sehr jungen Demonstranten riefen, "Es lebe Russland" und "Moskau den Moskauern". Die Gastarbeiter aus dem Kaukasus und Zentralasien – so genannte Schwarzärsche - sollen aus Moskau verschwinden, grölte die Demonstranten, die oft nicht älter als 20 Jahre waren.

Rechte ausländerfeindliche Gruppen haben wieder einmal zum "Russischen Marsch". Bild: DPNI

Nationalistische und rechtsradikale Gruppen wie die Bewegung gegen illegale Immigration (DPNI) und "Slawische Kraft" führen nun schon im zweiten Jahr in Folge in Ljublino einen Russischen Marsch durch. Der Grund: In dem Rayon gibt es einen großen Markt, auf dem auch Kaukasier und Chinesen handeln. Darüber gibt Unzufriedenheit unter den Russen. Und diese Unzufriedenheit wollen die Rechtsradikalen nutzen.

Wladimir Putin hatte den "Tag der Volkseinheit" 2005 als arbeitsfreien Feiertag eingeführt. Doch das Bild auf den Straßen prägten seitdem rechtsradikalen Gruppen mit ihren "Russischen Märschen" (Russlands extreme Rechte marschiert). Dieses Jahr nun hat die Kreml-nahe Jugendorganisation Naschi (Die Unseren) den Markennamen "Russischer Marsch" einfach übernommen. Unter der Parole "Russischer Marsch - die Ehre Russlands" zogen 20.000 Naschi-Anhänger mit einem eigenen Umzug durch das Zentrum von Moskau. Die Aktivisten führten große Plakate mit. Darauf waren Kriegsveteranen - "die Ehre Russlands" - und "Volksfeinde" - "die Schande Russlands" - abgebildet. Da wurden beispielsweise Personen ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt, die Alkohol an Minderjährige verkauft hatten oder illegal Kasinos führten.

Naschi-Protest. Bild: Naschi

Zur "Schande Russlands" gehören nach Meinung von Naschi auch Menschenrechtler wie Lew Ponomarjow - wegen "unerlaubter Demonstrationen" - und die bekannte Kreml kritische Journalistin Julia Latinina - wegen der angeblichen Unterstützung Georgiens im Krieg gegen Russland. Zum Ende des Marsches wurden die Porträts von Ponomarjow und Latinina zusammen mit den Bildern von Alkohol-Verkäufern und Kasino-Besitzern auf die Straße geworfen, worauf die jungen Demonstranten mit den Füßen symbolisch auf den Plakaten herumtrampelten. Die kritische russische Internetgemeinde war entsetzt. Dem Internet-User "from Ulyanowsk" fehlten die Worte. Er bloggte einfach nur: "Naschi – die Schande Russlands."

Auch Menschenrechtler wurden als Feinde Russlands auf den Pranger gestellt. Bild: Naschi

Moskau erlebte an diesem 4. November also zwei "Russische Märsche". Einen mit dem Segen des Kreml und einen, auf dem sich die rechtsradikale Szene versammelte. Der rechtsradikale Marsch im Moskauer Bezirk Ljublino wurde von starken Polizeikräften begleitet. Auf dem Umzug der Rechtsradikalen versteckten viele Demonstranten ihre Gesichter hinter Schals und medizinischen Masken. Sobald sie von einer Kamera ins Visier genommen wurden, senkten sie die Köpfe. "Ich will mein Gesicht nicht zeigen, weil ich keine Probleme auf der Arbeit haben will", meinte ein 23-jähriger Angestellter.

Vermummter Demonstrant mit DPNI-Fahne. Bild: DPNI

In Ljublino trugen die Demonstranten schwarz-weiß-gelbe Flaggen des Zarenreiches und schwarz-rote Flagge der "Bewegung gegen illegale Migration" (DPNI). Die DPNI ist im rechtsradikalen Milieu angesiedelt, tarnt sich aber als bürgernah. Doch beim Anblick des Demonstrationszuges, in dem Jugendlichen aus Lust am Skandal immer wieder Rauchgranaten zündeten, verspürten offenbar selbst die Anwohner, die mit der Parole "Russland den Russen" sympathisieren, keine Lust, sich dem Umzug anzuschließen. Immer wieder zeigten die Demonstranten den Hitler-Gruß und missachteten damit eine im Internet verbreitete Anweisung der DPNI, dieses Mal aus taktischen Gründen auf den "altslawischen Gruß" zu verzichten.

Seit mehreren Jahren schon versuchen die Neonazis die Unzufriedenheit der Russen wegen des Zuzugs von Gastarbeitern aus dem Kaukasus und Zentralasien in eine politische Bewegung umzuformen. Doch auch die russischen Sicherheitsorgane sind nicht untätig. Sie fördern gezielt die Streitereien unter den zahlreichen rechtsradikalen Gruppen, so dass diese es bis heute nicht geschafft hat, sich mit einer Partei an den Parlamentswahlen zu beteiligen.

Während die jungen Neonazis in den letzten Jahren mit Überfällen auf Gastarbeiter von sich reden machten (Außer Kontrolle), orientieren die älteren Kader der Neonazis auf einen langfristigen Kampf, der in eine "nationale Revolution" münden soll. Russen müssten an die Macht, schrien die Redner immer wieder. Oberst Wladimir Kwatschkow, der drei Jahre im Gefängnis saß, weil man ihn wegen eines Anschlags auf Russlands Wirtschaftsreformer Anatoli Tschubias verdächtigte, wurde noch konkreter. Er forderte, man müsse die Juden aus dem Kreml vertreiben.

Gegenaktionen von Antifaschisten gab es am 4. November nur in St. Petersburg. Dort versammelten sich junge Leute im Petrowski-Park zu einem Meeting gegen Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit. Am Vortag veranstalteten kritische Wissenschaftler im St. Petersburger Smolni-Institut und den Räumen des "Deutsch-Russischen Austausch" eine wissenschaftliche Konferenz zu den Ursachen von Ausländerfeindlichkeit und Neofaschismus.