Gibt es ein Gen für Altruismus?

Psychologen der Universität Bonn wollen ein Genvariante entdeckt haben, die Menschen altruistischer handeln lässt

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Egoisten haben einen schlechten Ruf, Menschen, die Anderen selbstlos Gutes tun, werden zwar geachtet, sie sind aber gut kapitalistisch und in der darwinistischen Evolutionstheorie seltsame Gestalten, wenn nicht hinter der scheinbaren Selbstlosigkeit doch ein egoistisches Interesse aufzuspüren ist. Schon allein wenn die Altruisten ein gutes Gefühl beim Geben oder Helfen haben, ist daher verdächtig. Theorien etwa über einen reziproken Altruismus suchen den Konflikt zwischen Theorie und Empirie zu überbrücken.

Auch wenn Altruismus in den biologischen und ökonomischen Theorien Schwierigkeiten bereitet, während Religionen und Moralvorstellungen ihn einfordern, gibt es faktisch große Unterschiede bei den Menschen auf der Achse zwischen purem Egoismus und wie auch immer vorhandenem Altruismus. Nun wollen Psychologen der Universität Bonn herausgefunden haben, dass altruistisches Verhalten genetisch bedingt zu sein scheint.

Die Wissenschaftler, die sich als Vertreter einer "sozialen Neurowissenschaft" verstehen, verweisen in ihrer Studie, die in der Zeitschrift Social Cognitive & Affective Neuroscience erschienen ist, dass bereits Zwillingsstudien Hinweise für eine fünfzigprozentige genetische Disposition für Empathie, Kooperationsbereitschaft und Altruismus gegeben hätten. Vermutlich sei daher Altruismus nicht nur gelernt, beispielsweise in einer von Religion geprägten Kultur. Auch neuroökonomische Studien würden eine genetische Grundlage nahelagen. Genetische Untersuchungen hätten ergeben, dass Genvarianten hier eine Rolle spielen könnten, die Rezeptoren für Nonapeptide, Oxytocin und Vasopressin (Antidiuretisches Hormon) codieren.

Die Psychologen sind allerdings der Ansicht, dass diese Genvarianten nur eine mäßige Bedeutung haben, während das Dopamin-System einen größeren Einfluss auf das prosoziale Verhalten zu haben scheint. Hier habe sich besonders das COMT Val158Met als wichtig herausgestellt. Hier gibt es die zwei Varianten COMT-Val und COMT-Met, die etwa gleich häufig vorkommen und sich nur in einem Einzelnukleotid-Polymorphismus (SNP) unterscheiden. Menschen mit der COMT-Val-Variante sollen sich deutlich von den Menschen mit der anderen Genvariante unterscheiden, weil bei ihnen das codierte Enzym viermal effektiver auftritt und so die Ausschüttung des Neurotransmitters Dopamin reduziert. Allerdings gibt es drei Genvarianten: die reinen Met/Met und Val/Val sowie Val/Met.

Um den Einfluss der Genvariante zu überprüfen, haben die Wissenschaftler 100 gesunde Studenten (26 Männer, 74 Frauen) psychologischen und genetischen Tests mit DNA-Proben aus einem Wangenabstrich unterzogen. Scheinbarer Hauptbestandteil der Studie war jedoch ein Gedächtnistest, bei dem sich die Versuchspersonen Zahlenfolgen merken und wiedergeben sollten. Dafür bekamen sie echte 5 Euro – für scheinbare harte Arbeit. In einem zweiten Versuch hatten sie die Möglichkeit, in einem Spiel ihren Gewinn zu erhöhen. Und schließlich, der wichtigste Part, konnten sie das "verdiente" Geld mitnehmen oder freiwillig einen Teil für einen wohltätigen Zweck spenden. Gezeigt wurde ihnen ein Mädchen aus Peru. Die Spender, so führten die Wissenschaftler die Versuchspersonen hinters Licht, würden anonym bleiben. Die Psychologen konnten aber nachprüfen, wer wie viel Geld gespendet hat.

Die Menschen mit der COMT-Val-Variante (Val/Met) haben dem armen kleinen peruanische Mädchen doppelt so viel Geld wie die Menschen mit der COMT-Met-Variante gespendet, wobei es keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern gegeben hat. Die egoistischeren COMT-Met-Versuchspersonen waren allerdings auch nicht ganz verweigernd, sie spendeten 22 Prozent ihres verdienten Geldes, die anderen 43 Prozent (Val/Met) und 35 Prozent (Val/Val). Ein Fünftel spendete sogar die gesamte Summe, bei den Met/Met waren es nur 7 Prozent.

Ist also die COMT-Val-Variante ein altruistisches Gen, wie die Pressemitteilung der Universität unterstellt? Die Wissenschaftler selbst weisen darauf hin, dass sie nur eine einzige Genvariante untersucht haben. Es könnte zahllose geben, die auch miteinander verbunden sein könnten. Zudem war die Zahl der Versuchspersonen gering und es lassen sich andere Ursachen nicht ausschließen, zumal die Ergebnisse nicht eindeutig waren, sondern lediglich eine Tendenz nahelegen. Möglicherweise sind die Versuchspersonen, die mehr gespendet haben, auch nur konformer mit scheinbar angenommenen Normen gewesen, also auch gar nicht altruistisch, sondern ganz egoistisch.

Interessant wäre auch eine Diskussion, was gewonnen wäre, wenn wir wüssten, dass Altruismus bzw. Egoismus genetisch zu einem bestimmten Anteil determiniert wäre. Sollten wir dann versuchen, wenn wir wirtschaftsliberal auf den egoistischen homo oeconomicus als Heilsbringer ausgerichtet sind, das Altruismusgen auszuschalten? Oder sollten wir, wenn wir glauben, dass durch Altruismus alles gut wird, eine Genanalyse einführen, um die Embryonen mit der Met/Met-Variante gar nicht erst auf die Welt kommen zu lassen? Oder wäre es wichtig, möglichst früh Genanalysen auszuführen, um die Träger der Genvarianten entsprechend zu beeinflussen, ihren genetischen Trend also mit Kultur zu konterkarieren? Freilich, Wissenschaft untersucht nur neutral, aber sie untersucht auch im Hinblick auf bestimmte Fragestellungen, die auch anders sein könnten, beispielsweise unter der Hypothese, dass Altruismus nichts mit Genen zu tun hat.