Das schöne Leben, das Subversive und die Oberfläche

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Sofia Coppolas "Somewhere": Was wollen wir von der Welt der Stars, Reichen und Gelangweilten wissen?

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Muss man die Oberflächen aufreißen und gefährden? Eine wichtige, und in diesem Fall unbedingt entscheidende, Frage. Esther Buss stellt sie indirekt in einem interessanten Aufsatz in der aktuellen Filmdienst-Ausgabe über Sofia Coppola. Sofia Coppola, die 1971 geborene berühmte Tochter von Regielegende Francis Ford Coppola, hat sich längst schon, spätestens mit ihrem Oscar für "Lost in Translation", aus dem Schatten ihres Vaters gelöst. In ihrem neuen Film "Somewhere" erzählt sie aus dem Leben eines Hollywood-Stars. Autobiographie oder nicht - beim Festival von Venedig gewann "Somewhere" jedenfalls den Goldenen Löwen (siehe Drogen, Nutten, Dummheit). Vielleicht gerade deshalb, weil er am Ende auf wohlfeile Sentimentalität hinausläuft und sehr human, aber auch brav, Mensch und öffentlichen Star klar unterscheidet. Nur: Will man denn wirklich wissen, dass Catherine Deneuve privat Birkenstocks trägt? Doch eher nicht. Und ist Joaquim Phoenix ein Mensch? Wer ist Johnny Marco? Gegenfrage: Do we care?

Die eigentliche Provokation, das Subversive liegt gerade im Aufrechterhalten der Oberfläche. Es stimmt schon, was Buss schreibt: "Die Trennlinie zwischen naiver Affirmation und reflektierter Überaffirmation, zwischen kritischer Distanz und stilistischer Coolness ist in ihren Werken, ... nicht immer auszumachen; denn Sofia Coppolas Filme sind – neben anderen Qualitäten – vor allem guter Pop und als solcher unmittelbar wirksam und verführerisch."

Aber das ist es ja gerade! Hinter dem Schein kommt nur das Nichts. Jeder Kinogänger weiß: Oberflächen sind das eigentlich Interessante im Kino; sie verraten mehr und sind viel schwieriger auszuloten als alle Tiefen dahinter. Aber sind sie wahr? Das spielt keine Rolle. Die Wahrheit des Kinos ist eine andere.

Irgendwie, irgendwo, irgendwann

Noch ist das Bild schwarz. Man hört Verkehrsgeräusche. Ein Highway vielleicht? Dann öffnet die Leinwand den Blick auf eine Landschaft, vielleicht eine Wüste, denkt man, irgendwo in den USA. Im Vordergrund eine Fahrbahn, Gummispuren auf dem Asphalt. Einen Moment lang hält das Bild inne, nichts passiert, nur die Geräusche gehen weiter.

Dann schießt ein Fahrzeug von links nach rechts, verschwindet am anderen Bildrand, um nach ein paar Sekunden, weiter hinten rechts, wieder aufzutauchen und in einem längeren Bogen nach links hinten zu fahren, um dort wieder zu verschwinden. Jetzt ist klar. Hier dreht einer seine Runden. Der Vorgang wiederholt sich ein paarmal, die Kamera bleibt unbewegt, blickt zwischendurch immer wieder einige lange Sekunden ins Leere. Das Auto, das kann man nach einer Weile erkennen, ist ein schwarzer Ferrari. Irgendwann hält er an. Der Fahrer steigt aus, tritt zum Straßenrand, auf die andere Seite, vor die Beifahrertür und blickt an uns vorbei in die Landschaft, ins Irgendwo.

Irgendwo in Los Angeles. Es dauert ein paar Filmminuten, bis der Ort klar ist. In der nächsten Szene wird sich der Mann irgendetwas am linken Unterarm brechen, um dann für den größten Teil des Films dort einen Gips zu tragen. Es dauert auch ein paar Minuten, bis wir verstanden haben, dass es sich bei ihm um einen Hollywood-Schauspieler handelt, der in einem Hotel in Beverly Hills lebt, dass er Johnny Marco heißt.

18 Minuten

18 Minuten lang dauert es, bis in diesem Film die ersten Dialogsätze fallen. Bis dahin haben wir Johnny beobachtet, sind ihm durch sein Leben gefolgt. Wie er allein fährt, in seinem Ferrari durch Los Angeles. Wie er Frauen anguckt und sie ihn; zum Beispiel eine andere Autofahrerin in einem Mercedes-Cabrio, der er dann hinterherfährt durch die Hügel, bis sie in ein Privatgrundstück einbiegt, und hinter ihr das Tor zugeht.

Oder die zwei fast identisch aussehenden Barbie-Tänzerinnen mit ihren langen blonden Haaren, die er sich aufs Zimmer bestellt hat und die an Stangen zwischen Decke und Boden erotisch angehauchte Bewegungen machen. Wir haben ihn beobachtet in der Einsamkeit der Hotelzimmer, auf dem Bett sitzend oder unter der Dusche, wir haben gesehen, dass er kein Buch liest, keine Musik hört, an keinem Computer arbeitet, keine E-Mails schreibt und nicht chattet, mit keinem Menschen etwas Wesentliches spricht, wir haben Langeweile gesehen und Ödnis. 18 Minuten lang.

Johnny Marco sitzt auf dem Hotelbett. Er ist unrasiert. Wir haben verstanden: Johnny Marcos Leben dreht sich im Kreis, wie der Ferrari zu Beginn. Wir haben verstanden: Sofia Coppola macht einen Film über Einsamkeit, Leere, Orientierungslosigkeit. Jetzt dauert der Film allerdings noch rund 80 Minuten. Weil das alles ein ernstes Thema ist, auch das haben wir nach 20 Minuten verstanden, soll es nicht zu schön aussehen, soll es im Unterschied zu früher, bei aller Wohlgestaltetheit, nicht so angenehm wirken. Es soll offenbar kein Pop-Film sein, deshalb gibt es kaum Musik und kaum Labels in diesem Film, wenig schöne Oberflächen.

Die Bilder des Films sind von Kameramann Harris Savides sorgfältig kadriert, und das bedeutet, dass sie an den Seiten immer gerade so ab- oder angeschnitten sind, dass der Eindruck von Symmetrie gerade vermieden wird - und damit der Eindruck des allzu Wohlgestalteten, der Eindruck von Stilwillen, obwohl Stilwille hier natürlich trotzdem vorhanden ist. Es gibt wenig Zooms und Tiefenverlagerung, die Bilder ähneln eher Photographien, ihre Farben sind leicht ausgeblichen, alles hat damit etwas Raues, wirkt dokumentarisch, naturalistisch. Erst am Ende des Films ist die Kamera etwas spürbarer ambitioniert.

Die schönen Oberflächen, der Umgang mit Popkultur, sind allerdings bislang ja gerade die Stärke von Sofia Coppola gewesen. Sie verstand es immer besonders gut, das Ästhetische, ja den Ästhetizismus mit Tiefe zu verbinden. Die Tiefe stellte sich ein in den Leerstellen zwischen den Objekten und den Bewegungen der Körper in ihren Filmen, auch in den Bewegungen der Kamera. Diese zeigten uns etwas zwischen dem, was man sowieso sieht.

Johnny Marco interessiert nicht die Bohne

Hier nun fürchtet man manchmal, eine Oberfläche, die nicht mehr betont schön ist, sei nur noch oberflächlich, es fehle das Nichts zwischen den Bildern, und die Tiefe sei nur behauptet.

Sofia Coppolas neuer Film "Somewhere" ist, damit kein Missverständnis aufkommt, ein guter Film, ein interessanter Film und auch ein schöner Film. Aber es fehlt etwas. Er ist darum auch eine vage enttäuschende Erfahrung. Zum ersten Mal ist ein neuer Film von Coppola nicht besser als der Film davor. Eher ist er sogar der bisher uninteressanteste Film der Regisseurin, der erste, bei dem man nicht sofort Lust hat, ihn noch einmal zu sehen und dann immer wieder. "Somewhere" fehlt alles Mädchenhafte, und es ist dieser mädchenhafte Blick auf die Welt, der Coppolas Filme bislang von allen anderen Filmen unterschied, der sie zu etwas Besonderem machte.

Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass Coppola diesmal einen Mann als Hauptfigur gewählt hat? Dieser Johnny Marco ist wirklich eine extrem langweilige Person. Vielleicht waren auch die Figuren, die Scarlett Johansson und Bill Murray in "Lost in Translation" spielten, im Grunde langweilig, und auch "Marie Antoinette" (siehe Girls just wanna have fun) auf ihre Art, aber sie waren wenigstens lustig und sympathisch, und man konnte Mitleid mit ihnen haben. Johnny Marco interessiert dagegen nicht die Bohne. Man hat kein Mitleid mit ihm.

"Was denken sie über die Französische Revolution?"

"Somewhere" erzählt, wenn dann endlich auch mal gesprochen wird, zunächst vom leeren Leben eines Hollywood-Stars. Vom Rummel, den Pressekonferenzen, von den Dreh-Vorbereitungen, den Reisen, den Affairen - und vor allem von der vielen Zeit dazwischen. Als sich Johnny Marco auch noch für ein paar Tage um seine Tochter kümmern muss, wird er sich der Leere und Absurdität seines Alltags noch deutlicher bewusst als zuvor. Am Ende weint er dann mal, vielleicht tut ihm das gut, aber es bedeutet einem alles nicht wirklich etwas.

Manches ist trotzdem interessant: Man kann an andere Filme denken, an "Paper Moon" etwa, an L.A.-Filme wie "Shampoo" und "American Gigolo", grob gesagt also an New Hollywood, dessen Naturalismus auch in dem Film steckt. Aber "Somewhere" ist schwächer.

Es gibt einen sehr lustigen Blick auf das italienische Showbusiness - überhaupt werden die Italiener in diesem Film ähnlich ironisiert wie die Japaner in "Lost in Translation" -, und eine Preisverleihung der "tele-gati", riesiger Katzen aus Gold, die so grinsen wie die Luftballonkatzen einst in Tim Burtons "Batman" und wirken wie ein absurder Scherz, entpuppen sich als ganz real. Man könnte Coppolas Blick aufs Showbizz als subtile Kritik an der Berlusconisierung und der völlig heruntergekommenen Medienlandschaft Italiens verstehen. Allerdings wurde der Film unter anderem mit Berlusconis Firma Mediaset produziert, und als das Logo seines Verleihs "Medusa" vor Beginn des Films auftauchte, gab es kurze Buhrufe in Venedig.

Ein paar weitere lustige Momente: Wenn er einschläft beim Sex; wenn er eine Pressekonferenz gibt, und die Fragen so dumm sind, wie seinerzeit bei Coppolas-Cannes-Pressekonferenz zu "Marie Antoinette" 2006, von der uns der Münchner "AZ"-Kollege Adrian Prechtel noch in besonderer Erinnerung ist. Diesmal fragt zwar keiner "Was denken sie über die Französische Revolution?", wie seinerzeit Prechtel gleich zum Auftakt der Pressekonferenz die dümmstmögliche Frage stellte und von Coppola nur die spöttische Antwort bekam: "Oh what a wunderful and intelligent question for the beginning. It's all in my film."

Aber dafür: "Do you want to shoot in China? You have many fans there" oder "Where is the italoamerican aspect of this film?" - oder "This is a reflexion of todays postmodern globalism."

Ein Schauspieler, der einen Schauspieler spielt

Das Interessanteste neben diesen maximal 20 Prozent des Films, die als Komödie durchgehen, ist Cleo, die Tochter von Johnny, die Elle Fanning spielt. Sie sieht ein bisschen so aus wie früher Jodie Foster, und sie könnte auch eine der Schwestern aus "Virgin Suicides" sein, mit ihren langen blonden Haaren, der weißen Haut und dem gelegentlich recht ätherischen Blick. Der Blick auf die Tochter, die auf den Vater blickt.

Aber auch hier gilt: Den Mädchenportraits der Sofia Coppola fügt das jetzt nichts grundsätzlich und wesentlich Neues hinzu. Noch zwei Beobachtungen: Coppola versteht es, die Spannung so zu halten, dass man als Zuschauer immer vieles für möglich hält. Wenn man Johnny durch L.A. fahren sieht, ist der Tod präsent, man hält es jederzeit für möglich, das er im Wagen verunglückt, ob aus banalem Zufall oder Absicht. Bemerkenswert ist der Umgang Coppolas mit bekannten Namen: Michelle Monaghan ist hier enttäuschend und sinnlos verschenkt, sie hat nur eine Szene. Dabei würde ihre Komik zu Coppola passen.

Mit gewohnter Sensibilität, aber eben etwas unbeteiligter, distanzierter als sonst, portraitiert Coppola also das Leben im haltlosen, richtungslosen Irgendwo. Es ist zwar in diesem Film vor allem das Leben der Schönen und Reichen, und Geldnöte haben diese Figuren keine; aber die Freiheit ist ihnen längst von Managern und Assistenten aus der Hand genommen worden. Zudem geht es in "Somewhere" doch auch um das, was wir alle mit diesen Figuren gemeinsam haben.

Und es geht um das Drumherum, die Begleitgeräusche dieses Lebens, und die Menschen an seinem Rand, etwa das Personal des Hotels, die Dienstboten, die Leute wie Johnny mit Vornahmen nennen, die er viel besser kennt als viele andere. Manchmal ist das unverhofft komisch, häufiger absurd, aber doch oft auch sehr traurig. "Somewhere" kann man in diesem Sinn verstehen als Darstellung und Bestandsaufnahme der geistigen Situation des Westens. Als Reflexion über Orientierungslosigkeit.

"Somewhere" denkt das Stardasein nicht weit genug und läuft am Ende auf wohlfeile Sentimentalität hinaus, weil er sehr brav Mensch und öffentlichen Star klar unterscheidet. Das Problem von Coppolas Film ist ja, dass wir hier keinem Schauspieler in der Monotonie des Jet-Set-Lebens zusehen, sondern einem Schauspieler (Stephen Dorff), der einen Schauspieler (Johnny Marco) spielt. Vielleicht wissen wir nach "Somewhere" alles über Johnny Marco. Aber was wissen wir über Stephen Dorff?

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