Ein Schritt zurück in der Debatte um Netzsperren

Rechtsausschuss zum Zugangserschwerungsgesetz: Der Vorsitzende versucht, die Diskussion zu emotionalisieren

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Zukunft des Zugangserschwerungsgesetzes ist weiter unklar. Während im Unterausschuss Neue Medien unlängst Einigkeit unter den Experten darüber bestand, dass Netzsperren zur Bekämpfung von Kinderpornographie im Internet ungeeignet sind (siehe Experten sprechen sich einmütig gegen Stopp-Schilder aus), bot sich im Rechtsausschuss des Bundestages ein anderes Bild. Dort sprachen sich gestern gleich vier von insgesamt neun geladenen Sachverständigen für Stoppschilder aus. Damit dürfte die Anhörung auch jenen Kräften im Bundestag erneut Auftrieb geben, die sich für Netzsperren einsetzen. So versuchte der Vorsitzende des Ausschusses, Siegfried Kauder (CDU), obwohl in seiner Funktion zu Neutralität verpflichtet, die Debatte zu emotionalisieren.

Einigkeit herrschte im Rechtsausschuss vor allem in einem Punkt: Die Weisung des Bundesinnenministeriums, beim Zugangserschwerungsgesetz auf das Sperren von Internetseiten zu verzichten, ist verfassungswidrig. So führte der Fachanwalt für Informationstechnologierecht Dominik Boecker aus, dass dies mit der im Grundgesetz verankerten Bindung der Verwaltung an das Recht kollidiere. Untergesetzliche Normen, wie eben der Erlass des Ministeriums, dürften dem Gesetz nicht widersprechen, so Boeckers Stellungnahme.

“Overblocking“

Rechtsanwalt Dieter Frey sprach sich für eine Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes aus, da es an handwerklichen Mängeln leide und den verfassungsrechtlichen Regelungen nicht gerecht werde. „Overblocking“ sei nicht nur nicht auszuschließen, sondern sogar zu erwarten, wenn auf der Basis von IP-Adressen gesperrt würde. Auch sei die Verhältnismäßigkeit des Gesetzes sehr zweifelhaft. Es habe zwar einen legitimen Zweck, helfe aber nicht gegen die Verletzung des Persönlichkeitsrechtes der Kinder. Vielmehr sei die Folge, dass die Augen vor rechtswidrigem Verhalten im Internet verschlossen würden. Nach Ansicht von Frey bedarf es zur Bekämpfung von Kinderpornographie vielmehr einer internationalen Strafverfolgung.

Jürgen-Peter Graf, Richter am Bundesgerichtshof, konnte diesen Einwänden hingegen nichts abgewinnen. Da laut bestehendem Gesetz die Provider selbst für angemessene Sperrverfahren sorgen müssen, sehe er keine Gefahr des Overblockings. Auch die Telekommunikationsfreiheit sei nicht bedroht, da es kein Grundrecht auf Empfang oder Verbreitung von Kinderpornographie gebe. Auch das Argument, dass die Sperren leicht umgangen werden könnten, sei in Wirklichkeit keines.

Bedarf an Sperren

Zwar gestand auch Graf ein, dass das Umgehen der Sperren einfach sei, ohne Anleitung jedoch könnten es viele nicht. Der Richter bot den Ausschussmitgliedern die Wette an, dass zwei Drittel von ihnen nicht in der Lage wären, die Sperren mit ihrem Smartphone zu umgehen. Grafs Fazit: Zumindest jene Bürger, die kinderpornographische Seiten lediglich aus Neugier ansurfen, würden durch Sperren davon abgehalten. Zudem zeige die Statistik des BKA, dass trotz Löschversuchen nach einer Woche noch 44 Prozent der Inhalte nicht vom Netz genommen worden seien – das sei zu viel.

Ähnlich wie Graf argumentierte auch der Vizepräsident des Bundeskriminalamts, Jürgen Maurer. Da gerade auf jene kinderpornographischen Inhalte, die erst seit kurzem im Netz stehen, besonders häufig zugegriffen werde, sei eine schnelle Reaktion wichtig. Zudem hätten die Löschbemühungen im Ausland keine befriedigenden Ergebnisse gebracht. Daher sei der Bedarf für Zugangssperren weiterhin gegeben, da Stoppschilder das Aufrufen der Seiten stören würden. Overblocking sei kein ernsthaftes Gegenargument, erklärte Maurer.

Auf die Frage, was das BKA nach Ablauf der Wochenfrist mit noch nicht gelöschtem Material mache, erklärte Maurer, dass das BKA dann ein Mahnschreiben schicke. Ein drittes, viertes oder gar fünftes Mahnschreiben wolle man jedoch nicht absenden, da schon das erste „im internationalen Geschäft ungewöhnlich“ sei.

Siegfried Kauder: Was sollen wir den Missbrauchsopfern sagen?

Funktionierende Filter und Löschen

Auch für den dänischen Polizisten Lars Underbjerg vom National High Tech Crime Centre gibt es kein Overblocking. Das Filtersystem in Dänemark funktioniere gut, genau wie auch in Norwegen, Finnland oder Neuseeland. Ein Großteil der dänischen Bevölkerung sei sehr glücklich, dass es dank der Sperren kinderpornographischem Material „gar nicht erst ausgesetzt“ sei. Insbesondere Underbjergs schriftliche Stellungnahme gibt jedoch gerade den Kritikern der Netzsperren Recht, die befürchten, Sperren könnten zu einer Verringerung von Löschbestrebungen führen.

Underbjerg beschreibt dort eine Liste mit „besonders schlimmen Fällen“, welche Seiten enthält, auf denen Kinder unter 13 Jahren bei sexuellen Handlungen zu sehen sind. Davon seien 126 Domains in Russland und weitere 10 in den USA gemeldet, jedoch hätte es wenig Sinn, diese zu melden: Derartiges Material zu löschen habe „in diesen Ländern eine sehr geringe oder gar keine Priorität“. Stattdessen lobt Underbjerg die Sperrung dieser Seiten als „präventive Polizeiarbeit im Internet“.

Ausweitung auf Tauschbörsen?

Carmen Kerger-Ladleif von Dunkelziffer sieht Sperren als eine geeignete Lösung in jenen Fällen an, in denen nicht sofort gelöscht werden kann, da Täter das Material auch nutzten, um Kinder unter Druck zu setzen oder gefügig zu machen. Ladleif sprach sich für eine Ausweitung der Maßnahmen auch auf Tauschbörsen aus, denn auch diese dürften kein rechtsfreier Raum sein. Laut Ladleif können Websperren nicht nur etwas bei neugierigen Surfern, sondern auch bei gestandenen Tätern ausrichten.

Einer habe ihr einmal erzählt, dass ihn ein Stoppschild hätte erinnern können, dass er etwas Verbotenes tut. Wenn Täter in ihrem einfachen Zugang zu Kinderpornographie gestört würden, ändert sich möglicherweise ihr Verhalten, hofft sie. Zudem seien nicht alle Täter pädophil. Diese bekämen damit die Wahl, ob sie sich für Kinderpornographie entscheiden oder nicht.

Rechtsanwalt Boecker hingegen kritisierte, dass sich ausgerechnet jene, die sich den Kinderschutz auf die Fahne schreiben, für eine halbherzige Lösung einsetzten. Durch Löschen könnte man sicher und nachhaltig Milliarden Menschen vom Zugriff auf kinderpornographisches Material abhalten.

Post von einer Dame

Schwierigkeiten hatte Siegfried Kauder (CDU), in seiner Funktion als Ausschussvorsitzender die Neutralität zu wahren. Zwar betonte er, an einer parteiübergreifenden Lösung interessiert zu sein, da sich das Thema für parteipolitische Profilierung nicht eigne. Jedoch unterstellte er während der Sitzung den Gegnern von Netzsperren, missbrauchte Kinder als Lockmittel nutzen zu wollen – was freilich niemand so gesagt hatte. Zudem versuchte Kauder, der schon in der Sitzung des Petitionsausschusses zu Netzsperren derart mit unsachlichen Fragen aufgefallen war, dass ihm das Wort entzogen wurde (siehe Die Petition gegen Netzsperren war ein "voller" Erfolg), mit einer persönlichen Geschichte Emotion in die Debatte zu bringen.

Er bekäme immer zu „hohen Feiertagen“ Post von einer Dame, deren Missbrauch noch immer im Netz abrufbar sei - verbunden mit der Frage, wann diese Aufnahmen endlich gelöscht würden, sagte Kauder noch vor der ersten Fragerunde. Am Sitzungsende bemühte Kauder die Dame erneut. Schon bald bekäme er wieder Post von ihr. „Was sollen wir ihr sagen?“, fragte er in die Runde, um sich gleich darauf selbst die Antwort zu geben: „Wir mühen uns redlich.“

Das Bemühen, die Stoppschilder doch noch aufzustellen, ist augenscheinlich immer noch vorhanden.