Die ersten Bauern in Mitteleuropa stammten aus dem Nahen Osten

Die Genanalyse eines frühneolithischen Grabs in Sachsen-Anhalt macht deutlich, dass Migration kulturelle Innovationen schafft

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Nicht erst seit einigen Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg sind die "Türken" nach Europa und nach Deutschland gekommen. Genanalysen eines internationalen Forscherteams haben nun gezeigt, dass mit der neolithischen Revolution aus Mesopotamien nicht nur die Landwirtschaft in das Europa nach der Eiszeit gekommen ist, sondern dass vor 8.000 Jahren auch die ersten Bauern eingewandert sind.

Die Wissenschaftler des Instituts für Anthropologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie in Sachsen-Anhalt und des Centre for Ancient DNA der Universität von Adelaide und anderer Institute untersuchten nicht wie gewöhnlich moderne DNA, um daraus Rückschlüsse auf die Vergangenheit von Migrationen und Vermischungen zu ziehen, sondern sie werteten alte DNA von Toten aus, die bei Derenburg, Sachsen-Anhalt, vor 7.100 Jahren begraben worden waren. Das genetische Profil dieser frühen bäuerlichen Gemeinschaft der Linienbandkeramik(LBK)-Kultur hat, wie sie in PLoS Biology berichten, große Ähnlichkeit mit den Menschen, die heute im Nahen Osten leben, während es sich von den bereits hier lebenden nomadischen Populationen deutlich unterschied.

Die mitochondrialen Haplotypen der LBK-Bauern wurde mit denen von modernen Menschen aus 36 Regionen in Eurasien verglichen. In neun Populationen wurde eine enge Verwandtschaft entdeckt, darunter in drei zentraleuropäischen Populationen, wo diese Kultur entstanden ist, aber auch in vier Populationen in der Türkei, in Syrien, im Irak und anderen Regionen des Nahen Ostens. Allerdings gibt es auch in England eine Population, das aber sei wohl eine "statistische Anomalie", sagen die Wissenschaftler, aber kein Hinweis auf Ursprünge.

Daraus leiten die Wissenschaftler ab, dass die Landwirtschaft und damit die sesshafte Lebensweise nicht von den in Mitteleuropa lebenden Jäger- und Sammlerpopulationen entwickelt wurde, sondern von Menschen aus dem heutigen Nahen Osten importiert wurde. Dabei lässt sich die Einwanderung aus dem Nahen Osten über Anatolien und dem Balkan, die Donau nach Norden zum Karpatenbecken bis nach Mitteleuropa feststellen. "Als 'neolithic package' importierten die Immigranten nicht nur neue Arten, wie zum Beispiel (Haus-)Rinder, und Kulturpflanzen wie Einkorn", heißt es in der Mitteilung der Universität Mainz. "Sie hinterließen durch Vermischung mit der hiesigen Bevölkerung zudem auch Spuren im Genpool Mitteleuropas. Diese sind in Form von allochthonen DNA-Markern (mtDNA- und Y-Chromosom-Lineages) bis heute nachweisbar."

Über den genetischen Nachweis der Abstammung hinaus glauben die Wissenschaftler, dass sich aus der Einwanderung und dem Kulturimport des Neolithikums auch Hinweise für die gerade geführte Integrationsdebatte, die eher eine Ausschluss- und Zuwanderungsverweigerungsdebatte ist, ableiten lassen. Die Menschen und ihre Kultur seien immer durch Migration geprägt worden. An der globalen Verbreitung der Menschen aus Afrika (Out of Africa) lasse sich sehen, "dass Mobilität und Migration über alle Zeiten hinweg schon immer Teil unseres Verhaltens waren. Durch steigende Bevölkerungsdichten, zunehmende Hierarchisierung der Gesellschaft, einen stark reglementierten Zugang zu natürlichen Ressourcen, menschliche Eingriffe in die Natur und kriegerische Auseinandersetzungen verstärkten sich jedoch nach und nach der ökonomische und soziale Druck innerhalb und zwischen Gemeinschaften mit den bekannten Folgen."

Die Wissenschaftler hoffen, was vermutlich naiv ist, dass gerade durch ihre Nachweise der "gemeinsamen Wurzeln von Einheimischen und Migranten" die Diskussion entschärft werden könnte. Schließlich würde dies bedeuten, dass just aus Anatolien oder dem Irak mit den Einwanderern radikal neue Kulturtechniken in Europa eingeführt wurden, während die heimische Bevölkerung eher rückständig war. Weil aber die heutigen Migrationsphobiker gerne die Geschichte bei der christlich-jüdischen Kultur beenden bzw. abschneiden und sich sowieso einer wirklichen Diskussion über Kulturdynamik und Migration verweigern, dürften diese Erkenntnisse politisch wenig Bedeutung haben, zumal schon lange klar ist, dass die moderne Lebensweise durch die neolithische Revolution im Nahen Osten entstanden ist.