Wirbel um Journalisten in Russland

Durch den Überfall auf den Kommersant-Reporter Oleg Kaschin wurde das Thema Gewalt gegen Journalisten zum Top-Thema in den russischen Medien

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Der 30jährige Kommersant-Reporter Oleg Kaschin, der in der Nacht auf Sonnabend von unbekannten Schlägern überfallen (Video Teil 1, Teil 2) und dann schwerverletzt in ein Moskauer Krankenhaus eingeliefert wurde, liegt immer noch im künstlichen Koma. Doch sein Zustand habe sich verbessert. Kaschin habe keine Blutungen im Kopf. Das sei eine besonders gute Nachrichte, teilten die Ärzte mit.

Die Brutalität der Täter wurde jedem durch die veröffentlichten Aufnahmen einer Überwachungskameras deutlich

Hoffnung, dass die Ermittlungen im Fall Kaschin nicht im Sande verlaufen, macht auch die Nachricht, dass die bekannte Ermittlerin Irina Kyrtschanowa den Fall übernommen hat. Kyrtschanowa hatte bereits die Ermittlungen im Fall der Ryno-Bande geleitet. Die Mitglieder der Skinhead-Gruppe waren wegen Morden an 20 Migranten verurteilt worden.

Der Fall Kaschin hat in den Moskauer Medien für erheblichen Wirbel gesorgt. Das lange Zeit verschwiegene Thema der Gewalt gegen Journalisten ("Der Krieg hat schon längst begonnen"), wurde zum Top-Medien-Thema. Plötzlich kommen auch sonst nicht beachtete Fälle aus der russischen Provinz ans Licht, wie der Fall des Chefredakteurs von "Reporter von Saratow", Sergej Michailow, der kürzlich von Schlägern verprügelt wurde.

Kritische Stimmen schaffen es in der aufgewühlten Stimmung jetzt bis in die Hauptnachrichtensendungen der staatlichen Fernsehkanäle. So konnte der Chefredakteur der Novaya Gazeta, Dmitri Muratow, im Kanal Rossija 1, erklären, das Wichtigste sei jetzt die "Änderung des Klimas im Land". Man müsse aufhören, kritische Journalisten als potentielle Staatsfeinde zu verdächtigen.

Mit seiner Forderung spielte Muratow auf die Hetze an, welche dem Überfall auf Oleg Kaschin vorausgegangen war. Die vom Kreml finanzierte Jugendorganisation "Junge Garde" (Molodaja Gwardija) hatte im August auf ihrer Website einen Artikel veröffentlicht, in dem sie Kaschin als "Verräter-Journalisten" bezeichnet. Dazu hatte man ein Foto des Journalisten platziert mit dem Aufdruck "Wird bestraft". Die Junge Garde kreidete Kaschin an, dass er für den Kommersant ein Interview mit einem Mitglied der Moskauer Antifa gemacht hatte. In dem Interview ging es um eine Protestaktion gegen den Autobahnbau durch den Chimki-Wald. An der Aktion Ende Juli vor der Gebietsverwaltung von Chimki hatten sich 200 Antifa-Aktivisten beteiligt. Dabei waren auch Steine geflogen. Nach dem Überfall auf Kaschin hatte die "Junge Garde" zwar ein Beileid veröffentlicht, den Artikel über den Staatsfeind und "Verräter", Oleg Kaschin, aber nicht zurückgezogen.

Erstaunliches tut sich auch unter den russischen Journalisten, die sich sonst bekriegen und beneiden. Eine große Solidaritätswelle ist in Gang gekommen. Das Internetportal OpenSpace.ru veröffentlichte einen von 2.300 Menschen – darunter vorwiegend Journalisten - unterzeichneten Brief an den russischen Präsidenten, Dmitri Medwedew, in dem die Aufklärung des Überfalls auf Oleg Kaschin und anderer Überfälle auf Journalisten und eine Bestrafung der Täter gefordert wird. Unterzeichnet haben das Schreiben nicht nur Vertreter Kreml-kritischer Medien, sondern auch Mitarbeiter der großen staatlichen Fernsehsender, wie Pervi Kanal, NTW und Russia today.

Präsident Dmitri Medwedew will nun dafür sorgen, dass die Strafen wegen Angriffen auf Journalisten verschärft werden. Am Dienstag hatte der Präsident bei einem Treffen mit Redakteuren der Regierungszeitung Rossiskaja Gazeta zum Fall Kaschin erklärt, es gäbe in Russland Kräfte, "die meinen, dass man mit solchen Methoden jedem den Mund stopfen kann – Journalisten, Politikern – und das für diesen Zweck alle Mittel recht sind. Diese Kräfte müssen gestoppt werden". Die Journalisten müssen über die Wahrheit berichten, erklärte Medwedew. "Deshalb wird die Tätigkeit von Journalisten – wer sie auch seien: Rechte, Linke, Journalisten mit gemäßigten Ansichten oder radikalen Ansichten, immer sehr verschiedene Reaktion hervorrufen."

Der russische Präsident erklärte auch, nach seinem Eindruck handelte es sich bei dem Überfall auf den Reporter Kaschin um eine "gezielte Handlung" und nicht um "gewöhnliche Kriminalität". "So werden gewöhnlich keine Geldbörsen geklaut."

Medwedew hat mit seinen Äußerungen zwar wiederum seinem liberalen Image Ehre gemacht. Doch ob sich nun die Lage für kritische Journalisten verbessert, ist unsicher. Am Mittwoch gab es zum Thema Medienfreiheit in Russland einen ernsten Rückschlag. Ein Gericht in der Stadt Chimki verurteilte den ehemaligen Chefredakteur der Chimkinskaja Prawda, Michail Beketow, zu 5.000 Rubel (116 Euro) Strafe wegen übler Nachrede. Nachdem 2007 Unbekannte den Geländewagen von Beketow abgefackelt und seinen Hund mit einem Baseballschläger getötet hatten, machte der Journalist den Bürgermeister von Chimki, Wladimir Streltschenko, für diese Überfälle verantwortlich. Beketow konnte dem Prozess am Mittwoch nur schweigend und im Rollstuhl beiwohnen. Unbekannte Schläger hatten den einst stämmigen Mann im November 2008 zum Schwerbehinderten geprügelt.