Haiti gegen Militärs und Mikroben

Cholera-Epidemie in dem Karibikstaat führt zu tödlichen Protesten gegen ausländische Militärs. Seuche könnte von UN-Truppen eingeschleppt worden sein

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In Haiti hat die angespannte soziale Lage und die Präsenz der UN-Blauhelmtruppe MINUSTAH zum wiederholten Mal tödliche Gewalt provoziert. Bei einer Demonstration im Norden des verarmten Karibikstaates kam es nach Berichten lokaler Medien zu Zusammenstößen zwischen Protestteilnehmern und ausländischen UN-Soldaten. Dabei wurden zwei Demonstranten erschossen, mindestens drei erlitten Schussverletzungen. Der Protest richtete sich gegen eine UN-Einheit, die nach Befürchtungen der lokalen Bevölkerung eine derzeit in Haiti wütende Cholera-Epidemie eingeschleppt haben könnte. Erste Untersuchungen bestätigen diese Vermutung nun. Der Fall könnte die ohnehin bestehenden Proteste gegen die Militarisierung Haitis weiter anheizen.

Wenige Tage nach Ausbruch der Seuche sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums über tausend Menschen an der Durchfallerkrankung Cholera gestorben, rund 14.000 mussten ärztlich behandelt werden. Nach Einschätzungen internationaler Hilfsorganisationen sind bis zu 70.000 Personen mit dem gefährlichen Bakterium infiziert. Die deutsche Nachrichtenagentur dpa berichtet unter Berufung auf lokale Quellen, dass der erste Höhepunkt der Epidemie mit 66 registrierten Toten pro Tag in der vergangenen Woche überwunden ist. Zu Wochenbeginn wurden noch 46 Todesopfer verzeichnet.

Die Choleraepidemie hat in Haiti wegen der bestehenden sozialen Probleme besonders schwere Ausmaße. Der Karibikstaat auf der Insel Hispaniola verzeichnet eine Armutsrate von rund 70 Prozent, in dem Human Development Index der Vereinten Nationen steht das Land weit abgeschlagen auf Platz 145 von 177 Staaten. Vor allem das verheerende Erdbeben am 12. Januar dieses Jahres hat die Lage weiter verschärft. Damals kamen schätzungsweise 250.000 Menschen ums Leben, bis zu 1,5 Millionen verharren bis heute in Auffanglagern. Die dort oft unzureichenden hygienischen Bedingungen begünstigen nun die Ausbreitung der Cholera.

Proteste gegen ausländische Militärs

Inmitten dieser schwierigen Lage richten sich die Proteste der lokalen Bevölkerung zunehmend gegen die Präsenz ausländischer bewaffneter Kräfte. Allein im Rahmen der UN-Stabilisierungsmission MINUSTAH befinden sich in dem kleinen Karibikstaat über 13.000 Soldaten und Polizisten. Auch der jüngste Protest richtete sich gegen diese Verbände. In der Hauptstadt Port-au-Prince und in der nördlichen Küstenmetropole Cap Haïtien kam es bereits zum zweiten Mal binnen weniger Wochen zu Kundgebungen gegen die UN-Truppen und andere ausländische Verbände. Als lokale Sicherheitskräfte und Blauhelmsoldaten gegen die Demonstranten mit Tränengas und Warnschüssen vorgingen, eskalierte die Lage am Montag nach Angaben der lokalen Station Radio Kiskeya. Die Protestteilnehmer hatten die bewaffneten Einheiten zuvor mit Steinen attackiert und Autoreifen auf der Straße entzündet.

In dieser Situation hätten die UN-Soldaten aus Notwehr gehandelt, hieß es in der MINUSTAH-Zentrale in Port-au-Prince. Truppensprecher Vincenzo Pugliese bestätigte indes nur ein Todesopfer durch MINUSTAH-Kugeln in Quartier Morin im Norden des Landes. Lokale Medien berichteten mit detaillierten Ortsangaben von einem zweiten Erschossenen und drei Verletzten. Die Art der Demonstrationen lasse darauf schließen, dass diese in Zeiten des Wahlkampfs politisch motiviert seien, hieß es in der UN-Erklärung. Die MINUSTAH forderte die Haitianer auf, sich nicht manipulieren zu lassen "und die Demokratie nicht zu gefährden".

Der haitianische Gewerkschafter Eddy Lucien teilt diese Position nicht. "Es wurde bei solchen Protesten auch in der Vergangenheit immer wieder behauptet, dass obskure Interessen dahinter stehen", entgegnete er im Gespräch mit Telepolis. Luciens Meinung nach setzen die jüngsten Demonstrationen eine Reihe von Protesten in Haiti fort. "Dafür gibt es drei Gründe", sagt er: "Die Verschlechterung der sozialen Lage, auch unter der MINUSTAH, der Kampf gegen die Besatzung durch ausländische Militärs und die Befürchtung, dass die UN-Soldaten die tödliche Cholera nach Haiti eingeschleppt haben."

Hinweise auf Zusammenhang zwischen UN-Lagern und Seuche

Was sich zunächst wie eine krude Theorie anhört, scheint tatsächlich eingetreten zu sein. Der erste Cholera-Fall ist in Haiti am 20. Oktober in der Nähe der Hauptstadt aktenkundig worden. Dort hatte elf Tage zuvor eine größere MINUSTAH-Einheit mit Soldaten aus Nepal in unmittelbarer Nachbarschaft des Artibonite-Flusses ihr Quartier bezogen. In dem südasiatischen Binnenstaat ist das Cholera-Bakterium weit verbreitet. In Haiti kam daher schnell die Vermutung auf, dass der Erreger mit den 710 nepalesischen Soldaten ins Land gebracht wurde – was die MINUSTAH-Führung weit von sich weist. Alle Soldaten seien vor dem Einsatz standardmäßig überprüft worden, hieß es in dem Hauptquartier der UN-Truppe, nachdem Präsident René Preval im vergangenen Monat ebenfalls entsprechende Vorwürfe erhoben hatte.

Auch haitianische Gesundheitsbehörden hatten von Beginn an darauf hingewiesen, dass der Ort des Ausbruchs der Krankheit mit dem Feldlager der nepalesischen Einheit übereinstimmt. Die Nähe zum Artibonite-Fluss bereitete den Experten Sorgen, weil die lokale Bevölkerung den Strom als Trinkwasserquelle nutzt. Die Mutmaßungen scheinen sich nun zu bestätigen: Nach Informationen internationaler Nachrichtenagenturen stimmt das Erbgut des in Haiti isolierten Erregers mit der DNA des in Nepal verbreiteten Cholera-Bakteriums überein.

Gesundheitsbehörden versuchen indes, der Lage mit Aufklärungskampagnen und mit der Verteilung von Hygieneartikeln Herr zu werden. Insgesamt könnten bis zu 200.000 Menschen mit dem Erreger in Berührung kommen. Auch wenn die erste Welle der Epidemie überstanden zu sein scheint, ist die Gefahr für das von Katastrophen gebeutelte Land noch lange nicht vorbei. Die Hinweise auf einen eingeschleppten Keim, die schwerwiegenden sozialen Probleme und die zunehmende Wut gegen die ausländischen Militärkräfte dürften die Lage in Haiti politisch weiter anheizen.

Politische Debatte über ausländische Militärs

Weniger in der Regierung von Präsident René Preval, als vielmehr in den sozialen Bewegungen formiert sich der Widerstand gegen die UN-Truppen und die ebenfalls in Haiti stationierten US-amerikanischen Militärs. Die UNOStabilisierungsmission MINISTAH sei "vollständig gescheitert", kritisiert etwa der Aktivist Camille Chamers: "Keines der erklärten Ziele wurde bislang erreicht: Es gibt kein Klima der Sicherheit, es gibt keine demokratischen Wahlen und die Wirtschaft des Landes hat sich auch nicht erholt." Die UN-Truppen verschlingen jährlich 600 Millionen US-Dollar, schimpft Chamers. Die haitianische Polizei könne indes nicht zu Einsätzen fahren, weil sie kein Benzin habe.

Didier Dominique, der sich in der Bewegung zu Demilitarisierung des Landes engagiert, pflichtet bei. Die USA seien nach dem Erdbeben Anfang des Jahres mit 20.000 Soldaten in das Land eingefallen. Noch immer seien 26 Schiffe der US-Marine in Haiti stationiert, 120 Flugzeuge der Luftwaffe und Flugzeugträger. Von den vier großen US-Kriegschiffen in haitianischen Gewässern sei nur eines ein Lazarettschiff, bei den drei übrigen handele es sich zum Teil schwer bewaffnete Kriegsschiffe. Die Katastrophen Haitis hätten den USA ein Vorwand zur Militarisierung des Landes und der Karibik geboten, so Didier Dominique.

Während sich auf der einen Seite der Protest gegen die ausländischen Militärs verschärft, mahnen Vertreter anderer sozialer Organisationen dringende Reformen an. Die Erdbebenkatastrophe Anfang des Jahres habe die bestehenden Probleme des Landes offenbart, sagt José Luis Patrola von der Landarbeiterorganisation Vía Campesina. Das Desaster sei Chance und Gefahr zugleich, sagte Patrola gegenüber der unabhängigen Nachrichtenagentur Adital. Dem Land habe nach dem Beben im Januar eine nachhaltige Aufbauhilfe zuteil werden können, auf der anderen Seite seien wirtschaftliche und militärische Interessen zur Geltung gekommen. Als positives Beispiel für die Not- auf Aufbauhilfe nach dem Beben führt Petrola die medizinischen Hilfsteams aus Kuba an. Diese humanitären Einsätze würden in enger Kooperation mit der lokalen Bevölkerung durchgeführt.