In einem Regensburger Klassenzimmer wird die christlich-abendländische Kultur verteidigt

CSU-Politiker kämpfen für das Kreuz an Schulen, der Bischof fordert Toleranz fürs Christentum und das Recht für die Kirche auf Präsenz im öffentlichen Raum

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Ein konfessionsloser Physikprofessor, der an der Uni Regensburg lehrt, hat in Regenburg das humanistische Albertus-Magnus-Gymnasium aufgefordert, im Klassenzimmer seines Sohnes das Kruzifix abzuhängen, weil es die schulischen Leistungen von diesem beeinträchtigen könne. Der habe lange Jahre in England gelebt und sei, wie die Mittelbayerische Zeitung entrüstet schrieb, provokativ schon Tage vor Halloween mit einem Teufelskostüm in die Klasse gekommen. Die Klassenleiterin ist dem nachgekommen, allerdings ohne zuvor Kollegium und Eltern zu befragen. Aufgeregt hatte sich der Brite, dass zu Beginn des Unterrichts immer gebetet worden sei. Als er bat, dies einzustellen, war die Aufforderung, auch gleich das Kreuz abzunehmen, gewissermaßen nur ein Nebenprodukt.

Protestiert hatten einige andere Eltern und einen Brief an den Physiker geschrieben. Dem Briten erklärten sie, dass man dann, wenn man in einem anderen Land sei, auch dessen Gebräuche einhalten müsse (da dürfte man schon gespannt sein, wie diese Menschen sich als Touristen in anderen Ländern bewegen). Nachdem der Volkszorn aufgebrochen war und die CSU unter Rückendendeckung der CDU wieder einmal auf der deutschen Leitkultur, die christlich ist und die alle zu akzeptieren haben (wohl nicht nur die Einwanderer, sondern auch die hier lebenden deutschen Atheisten) herumreitet, hat sich auch der stellvertretende Regensburger Bürgermeister Gerhard Weber (CSU) eingeschaltet, der für die Schulen zuständig ist, und sich über die Schulleitung beschwert, weil er nicht vorab informiert worden sei und eben auch die anderen Eltern nicht zuvor befragt wurden.

Allerdings gab es auch in Bayern und auch in derselben Schule schon Fälle, wo ohne große Aufregung das Kreuz abgehängt wurde, weil es das Neutralitätsgebot so verlangt, wie auch der Schuldirektor sagt. Der wollte auch ein "Kesseltreiben" gegen den Schüler verhindern und hatte zur "Deeskalation" die Identität des Vaters geheim halten wollen. Nachdem aber durch die Mittelbayerische Zeitung verbreitet wurde, um welche Klasse es sich handelt und dass der Vater britischer Physiker ist, hat sich auch dessen Identität herumgesprochen. Offenbar wird er nun beschimpft und bedroht, soweit zur schönen christlich-abendländischen Kultur.

Weber aber meint, das politisch ausnutzen zu können, die Stimmung ist schließlich mit Sarrazin und Co. ins Intolerante und Ausländerfeindliche gerückt. "Ich habe kein Verständnis für die Forderung eines einzelnen Elternteils, das Kreuz in einem Klassenzimmer abnehmen zu lassen, wenn dies dem ausdrücklichen Wunsch der Mehrheit der anderen Eltern widerspricht", wetterte der CSU-Politiker.

Zwar weiß auch er, dass nach dem Urteil des Verfassungsgerichts vor 15 Jahren die Anbringung des Kreuzes in staatlichen Pflichtschulen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Aber das Urteil wurde und wird gerne unterlaufen, zumal in Bayern. Weber weist auf das Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz (BayEUG) hin. Hier heißt es zwar nach Artikel 7, Abs. 3 ausdrücklich für Volksschulen, also Grund- und Hauptschulen: "Angesichts der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns wird in jedem Klassenraum ein Kreuz angebracht." Das werde auch für die Gymnasien angewandt, daher müsse die Sculleitung versuchen, eine gütliche Einigung zu finden, wobei der Wille der Mehrheit zu berücksichtigen sei. Das heißt dann, Glaubensfreiheit gibt es an bayerischen Schulen so lange nicht, wie die Mehrheit der Eltern für das Anbringen der Kreuze ist - oder bis der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das schon mit Spannung erwartete Urteil im Fall "Lautsi vs. Italien" spricht (Kruzifix noch mal).

Das Kreuz und die Gastfreundschaft

Der Regensburger Bürgermeister setzt aber noch eins drauf. Da der Vater aus dem englischsprachigen Ausland zugezogen sei, müsse doch die Frage erlaubt sein - die Rhetorik kennt man seit Sarrazin zur Genüge -, "ob damit nicht das Gastrecht, das wir Ausländerinnen und Ausländern gerne gewähren, überstrapaziert wird, wenn nämlich jahrhundertealte deutsche Traditionen wie das Kreuz in Schulzimmern angegriffen werden". Nur dumm, dass es sich nicht um einen Vater mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund handelt, da wäre noch ein ganz anderer Zorn losgebrochen, sondern nur um einen Vertreter der abendländisch-christlichen Kultur, der die Religion aber hinter sich gelassen hat. Aber man sieht schon einmal, wie es der CSU-Politiker mit der Aufklärung und dem Humanismus sowie der Trennung von Staat und Kirche und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts halten.

Mal wieder geht es also um die christlichen Wurzeln des Abendlandes, die u.a. darin bestehen, dass in den Schulen des säkularen Staates zum Seelenheil der Schüler und Lehrer Kruzifixe hängen müssen. Damit soll schon deutlich angezeigt werden, dass trotz Trennung von Staat und Kirche Normalität bedeuten soll, Christ zu sein, Toleranz müssen die anderen zeigen. Die Provinzposse wurde von den Medien aufgegriffen, so dass sich nun auch schon Kultusminister Spaenle, gleichfalls CSU, einmischen musste: "Das Kreuz als Symbol für die christlich-abendländische Tradition und Kultur hat seinen Platz in den Klassenzimmern in Bayern, so wie es für die Volksschulen nach dem Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen auch vorgesehen ist. Das Kreuz steht auch als Symbol für die Bildungsziele der Bayerischen Verfassung."

Die Christen sollen sich nicht in den privaten Raum zurückdrängen lassen

Dass die Kirche, in Regensburg die katholische, hier den Glückfall findet, nicht mehr Gegenstand der Kritik wegen der Männerherrschaft, der Kindermissbrauchsfälle und der Bezieher von reichlich Steuergeldern aller deutschen Staatsbürger, nicht nur der Kirchenmitglieder zu sein, sondern sich mit dem Volk erregen zu können, leuchtet ein. Das Schulreferat des Bistums meint denn auch, dass in einer Zeit zunehmender Orientierungslosigkeit in der Gesellschaft das Kreuz Sinnbild für die Würde sei, die jedem Menschen zukommt. "Die große Mehrheit der Menschen unserer Region weiß das und schätzt den Glauben, der dies grundlegt", so zitiert die stramme Mittelbayerische Zeitung Prälat Johann Neumüller, den Leiter des Referats Schule im Bischöflichen Ordinariat.

Bischof Gerhard Ludwig Müller hatte am Montag den Menschen in seiner Predigt klar gemacht, wie es für ihn in Deutschland auszusehen hat, nämlich "dass sich Christen in der Gesellschaft nicht auf den Raum des Privaten zurückdrängen lassen", also dort, wo in einer säkularen Gesellschaft die Religion eigentlich angesiedelt ist. Es sei nicht zulässig, meinte er weiter, dass der öffentliche Raum von Nichtglaubenden besetzt werde. Müller, der sich schon öfter mit seiner erzkonservativen Haltung hervorgetan hat (Der Bischof von Regensburg kämpft noch immer gegen Freimaurer), verkehrt dann auch noch die Lage. Toleranz sei keine Einbahnstraße, daher müsse man auch die Toleranz haben, die Symbole des Glaubens anderer anzunehmen. Und überhaupt: "Das Kreuz ist keine Beleidigung eines Nicht-Glaubenden, sondern ein Zeichen dafür, dass Ungerechtigkeit, Bosheit und Tod nicht das letzte Wort haben." Das muss doch jeder mögen.

Fortan wird also der bayerische Bischof nach seinen Worten für den Bau von Moscheen und für das Anbringen von Symbolen anderer Religionen in den Klassenzimmern eintreten. Mit so viel Hoffnung für die Toleranz lässt sich nur noch in die Bayernhymne einstimmen: "Gott mit dir, du Land der Bayern."