Irland steht mit dem Rücken zur Wand

Nach dem neoliberalen Sommer ist Irland in den Schuldenwinter gestürzt - jeder Ire ist mit einer halben Million Dollar im Ausland verschuldet

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Irland beugt sich dem massiven Druck der EU und spielt nun doch mit dem Gedanken, gegen den eigenen Willen unter den Euro-Rettungsschirm zu schlüpfen. Ohne die unverantwortliche Geschwätzigkeit der Kanzlerin wäre es jedoch womöglich nie so weit gekommen.

Bild: O'Dea, CC-Lizenz

Irlands finanzielle Lage als prekär zu bezeichnen, ist eine maßlose Untertreibung. Die irische Volkswirtschaft ist im Ausland mit rund 2,3 Billionen US$ verschuldet – das ist mehr als das überschuldete Japan mit seinen 123 Millionen Einwohnern.

Jeder Ire, vom Säugling bis zum Greis, ist somit mit mehr als 513.000 US$ im Ausland verschuldet. Die Iren müssen also jedes Jahr durchschnittlich mehr als 25.000 US$ pro Kopf nur für den Zinsdienst erwirtschaften, wobei der Schuldenberg bei dieser Summe noch nicht einmal kleiner würde.

Gläubiger sind unter anderem die deutschen Banken, die irische Anleihen im Wert von 138 Milliarden US$ halten. Ganz vorne dabei ist – wen mag es noch verwundern – die verstaatlichte Hypo Real Estate, die irische Staatsanleihen im Wert von 10,3 Milliarden Euro in ihren Büchern hat. Der sagenhafte Aufstieg des "keltischen Tigers" war ein Aufschwung auf Pump – nun kommt die Rechnung und Irland steht sprichwörtlich mit dem Rücken zur Wand.

Vom keltischen Tiger zum Bettvorleger

Neben Island wurde Irland wie kein anderes Land von der Finanzkrise getroffen. Kurz vor dem Ausbruch der Krise hatten irische Banken Kredite im vierfachen Wert des nationalen BIP in ihren Büchern. Neben internationalen Ramschpapieren brachen vor allem irische Hypothekenanleihen, mit denen auf der grünen Insel eine gigantische Immobilienblase finanziert wurde, den Banken das Genick. Die irische Regierung sah sich im Angesicht der Malaise gezwungen, einen nationalen Bankenrettungsschirm in sagenhafter Höhe von 350 Milliarden Euro aufzulegen – rechnet man dies auf deutsche Verhältnisse um, so wären dies 7 Billionen Euro.

Alleine die Abwicklung der größten irischen Bank, der mittlerweile verstaatlichten "Anglo Irish Bank", stellt das kleine Irland vor beinahe unlösbare Probleme. So musste die irische Regierung beispielsweise im zweiten Quartal dieses Jahres die auflaufenden Verluste in Höhe von 12,3 Milliarden Euro übernehmen - mithin fast 8% des irischen BIP.

Die tragische Kombination der Kosten der Bankenrettung und der fiskalischen Folgen der Krise in der Realwirtschaft haben die Staatsfinanzen in eine schwere Schieflage gebracht. Verzeichnete der Haushalt des letzten Jahres noch ein Defizit von 14%, gemessen am BIP, so wird das Defizit in diesem Jahr auf schwindelerregende 32% steigen – mehr als zehnmal soviel, wie die Maastricht-Kriterien erlauben. Damit sind innerhalb von nur zwei Jahren die Sanierungsanstrengungen der letzten Dekade zunichte gemacht, in der Irland seine Staatsverschuldung sukzessive auf einen Wert von unter 40% des BIP herunterfuhr. Im nächsten Jahr wird der irische Staat mit rund 100% des BIP verschuldet sein. Der irische Weg des Erfolgs legte allerdings bereits den Samen der heutigen Krise, konnte Irland in seinen "Tiger-Zeiten" doch vor allem in drei Sektoren Erfolge verzeichnen:

  1. im Immobiliensektor – aufgrund einer Spekulationsblase
  2. im Finanzsektor – aufgrund lascher Regulierung und Steuervorteilen
  3. im Produktionssektor – aufgrund des Steuerdumpings. Unternehmen wurden mit einer Körperschaftssteuer von 12,5% ins Land gelockt

Der neoliberale Sommer

Der keltische Tiger war ein Riese auf tönernen Füßen, sein Wachstum war nicht nachhaltig. Die lasche Bankenregulierung, die einst zu den grandiosen Wachstumszahlen beitrug, hat dem Land nun Verbindlichkeiten in biblischem Ausmaß eingebrockt. Das Steuerdumping, das produzierende Unternehmen – und damit Arbeitsplätze – ins Land holte, sorgt nun dafür, dass der Staat nicht genügend Einnahmen hat, die Krisenfolgen zu finanzieren.

Irland war das Wunderkind neoliberaler Träume. Das Land deregulierte und senkte die Steuern. Einen Sommer lang ging diese Politik gut – Irland schrieb tiefschwarze Zahlen, der Staat entschuldete sich, während der private Sektor sich tief verschuldete. Beim ersten Herbststurm brach das neoliberale Kartenhaus zusammen und nun zieht der Winter ein.

Für die Iren wird es ein harter Winter. Der Staat muss sparen, wird aber auf der anderen Seite Probleme haben, die Einnahmen zu steigern. Einerseits befindet sich das Land nicht nur in einer tiefen Rezession, sondern auch in einer Deflation, andererseits weiß die Regierung, dass die – meist amerikanischen – Produktionsstätten nicht in Irland sind, weil die Insel so grün und die Frauen so schön sind. Erhöht der Staat nun die Körperschaftssteuer, ziehen die Arbeitgeber ins nächste Dumpingparadies.

Risikoaufschläge für Unsicherheit

Auch wenn die mittel- bis langfristigen Prognosen für den irischen Staatshaushalt bedrohlich sind, kommt der Staat doch nach eigenen Angaben noch bis zum Juli 2011 mit seinen liquiden Mitteln aus. Erst zu diesem Zeitpunkt muss Irland neue Staatsanleihen am Markt platzieren.

Die momentanen Notierungen am Anleihenmarkt stellen für die Iren also eigentlich noch kein Problem dar. Hohe Risikoaufschläge für irische Anleihen ziehen jedoch auch die Anleihen anderer angeschlagener Euro-Staaten mit nach oben. Somit stellen die gegenwärtigen Notierungen zwischen 8 und 9% vor allem Griechenland, Portugal und Spanien vor Probleme, da diese Staaten ihre Anleihen nur mit einem "Irland-Aufschlag" platzieren können.

Der Risikoaufschlag misst die Wahrscheinlichkeit, dass ein Staat seine Anleihen nicht bedienen kann. Wenn Investoren momentan Zweifel daran hegen, dass die PIIGS-Staaten ihre Anleihen bedienen können, so hat dies nicht nur etwas mit Spekulation zu tun, sondern ist durchaus begründet. Als die EU im Mai ihren 750-Milliarden-Euro-Rettungsschirm aufspannte, begründete sie dies mit einer Beruhigung der Märkte. Da der Rettungsschirm groß genug ist und die Legitimation der EZB, künftig auch Staatsanleihen aufkaufen zu dürfen, die Märkte überzeugen konnte, sank die Wahrscheinlichkeit eines Staatsbankrotts in Euroland signifikant. In Folge sank das Misstrauen der Investoren und die Risikoaufschläge gingen deutlich zurück.

Politischer Unverstand und die deutsche Fixierung auf Sparprogramme weichten das eigentlich gute Konzept des Rettungsschirms jedoch auf und sorgten dafür, dass bislang noch kein einziger Euro aus diesem Programm in Anspruch genommen wurde.

Angela Merkels Traum von der breiten Lastenverteilung

Im Jahr 2013 läuft der Rettungsschirm aus und bereits jetzt wird hinter den Kulissen emsig an einem Nachfolgemodell gearbeitet. Die deutsche Regierung würde künftig gerne private Investoren im Falle einer Umschuldung an den Kosten beteiligen. Das klingt auf den ersten Blick natürlich hervorragend und verkauft sich sicherlich auch beim Wähler gut. In der Praxis läuft Merkels Vorschlag jedoch auf eine Katastrophe hinaus, die Euro-Staaten mit einer schlechten Finanzdecke unweigerlich in den Verlust der Souveränität treibt.

Wie würde der Mechanismus der breiteren Lastenverteilung denn funktionieren? Anleihen wären künftig nicht mehr gleichrangig in der Bedienung. Schon heute genießen IWF-Kredite eine höhere Forderungsqualität. Wenn ein Staat seine Zahlungsunfähigkeit erklärt, der mit 50 Mrd. US$ beim IWF und mit 50 Mrd. US$ bei privaten Investoren verschuldet ist und bei den Gläubigerverhandlungen einen "Haircut" von 25% beschlossen wird, erhält der IWF (super senior) sein gesamtes Geld zurück, während die privaten Investoren (pari passu) nur 50% ihrer Forderungen zurückbekommen. Nach den Vorstellungen von Angela Merkel sollten künftig auch EU-Rettungsgelder einen Senior-Status genießen und im Falle einer Insolvenz bevorzugt bedient werden.

Das Problem dieses Modells ist allerdings, dass sich damit auch das Risiko für private Investoren erhöht. Investoren haben die "dumme" Angewohnheit, sich ihr Risiko bezahlen zu lassen. Die Implementierung eines solchen Mechanismus schlägt also wohl oder übel auf die geforderten Risikoaufschläge am Markt durch. Für die PIIGS-Staaten bedeutet dies nichts anderes, als dass sich ihre Finanzierungskosten auf dem regulären Markt deutlich verteuern. Für angeschlagene Staaten kann dies jedoch bedeuten, dass sie sich gar nicht mehr zu vertretbaren Kosten am Markt finanzieren können und durch dieses Modell erst in einen EU-Rettungsmechanismus getrieben werden.

Für den deutschen Steuerzahler ist dies natürlich kein Vorteil, da die Alternative zu einem halbwegs abgesicherten Kredit in diesem Falle gar kein Kredit wäre, da der betreffende Staat sich ohne Hilfe alleine am Markt refinanzieren könnte. Merkel will also Steuergelder retten, die ohne ihren Plan womöglich gar nicht verliehen werden müssten.

Selbsterfüllende Prophezeiung

Dass die Märkte auf Merkels leichtfertig gestreute Äußerungen reagieren würden, war vorauszusehen. Kurz nachdem die Kanzlerin ohne Not ihrer Geschwätzigkeit freien Lauf ließ, stiegen die Risikoaufschläge für die PIIGS-Anleihen dramatisch.

Vollkommen zu Recht machen daher auch die Iren und die Griechen die Kanzlerin für die erneute Dramatisierung der Situation verantwortlich. Schon im April dieses Jahres hatte Angela Merkel die Griechenlandkrise leichtfertig herbeigeredet, was den Zorn der Griechen erklärt. Natürlich kann die Kanzlerin nichts für die prekäre Finanzlage Irlands, für die konkreten Marktreaktionen ist sie jedoch mit verantwortlich.

Dass Irland eigentlich gar nicht unter den EU-Rettungsschirm schlüpfen will, ist nur all zu verständlich. Die EU verschenkt das Geld nicht, sondern verlangt respektable 5% für die Hilfe. Staaten, die diese Gelder in Anspruch nehmen, müssen sich außerdem aus Brüssel und Berlin in das Haushaltsrecht reinreden lassen und verlieren damit ihre Souveränität.

Die Angst der Iren, sich von Brüssel regieren zu lassen, fand bereits im denkwürdigen Lissabon-Referendum ihren Ausdruck. Nun hat die Finanzkrise in Kombination mit Angela Merkels flotten Sprüchen geschafft, was der Lissabon-Vertrag nicht geschafft hat – Irland steht kurz davor, signifikante Kompetenzen an Brüssel und Berlin abzugeben. Natürlich könnte Irland mit diesem Schritt noch bis Juli 2011 warten, der massive Druck aus Madrid, Lissabon und Athen, der von Brüssel und Berlin verstärkt wird, macht es den Iren jedoch schwer, das vergiftete Geschenk aus Brüssel auszuschlagen.

Es ist nur schwer zu verstehen, warum die EU sich überhaupt von den Märkten ihre Finanzpolitik diktieren lässt. Der Krisengipfel im Mai hatte eigentlich bereits den Weg für quantitative Lockerungen der EZB freigemacht. Warum gestattet die EU nicht, dass sich Staaten, die am Markt zu hohe Aufschläge zahlen müssten, mit Auflagen über die EZB finanzieren? Wie das funktionieren kann, bewies unlängst die FED, die erst vor kurzem ankündigte, Staatsanleihen im Wert von 600 Milliarden US$ aufzukaufen. Für Angela Merkel wäre das jedoch unattraktiv, kann sie doch nun direkt Einfluss auf die Politik der PIIGS-Staaten nehmen.