Krieg im Olivenhain

Abdelbasset Al-Nubani mit Sohn Mustafa

Im Westjordanland verderben gewalttätige Siedler und bürokratische Hürden den palästinensischen Bauern die Olivenernte

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Abdelbasset Al-Nubani hat sie gesehen: Als er am Morgen nach einem Jahr Zwangspause zum ersten Mal seinen Olivenhain betreten durfte, waren die jüdischen Siedler gerade fertig mit ihrem Werk. „Sie sind schnell weggerannt“, sagt der Bauer. „Die haben meine Oliven gestohlen.“ Und eine Spur der Zerstörung hinterlassen: Von gut einem Dutzend Bäumen ragen nur noch abgehackte Baumstumpen in den blauen Himmel. Die Äste, an deren Zweigen die reifen, grünen Früchte hängen, liegen auf der knorrigen Erde.

Ein kleiner Verlust verglichen mit dem, was Al-Nubani nach der Ernte zurücklassen wird: Drei Tage hat die israelische Zivilverwaltung dem Palästinenser fürs Einbringen der Oliven gewährt. „Wir werden so maximal 20 Prozent schaffen“, sagt er. Danach muss der Bauer, dessen Olivenhain am Fuße der jüdischen Siedlung Eli im Westjordanland liegt, das Stück Land wieder seinem Schicksal überlassen – und der Willkür der Siedler.

Rund 100.000 palästinensische Familien leben vom Olivenanbau. Doch für viele wird die Ernte zum Zitterakt: In diesem Jahr, so berichten Menschenrechtsorganisationen, waren die Bedrohungen und Zerstörungen durch radikale jüdische Siedler besonders schlimm. „Die sind in diesem Jahr besonders aggressiv, weil es Friedensverhandlungen gibt“, sagt Catherine Weibel, Sprecherin der Hilfsorganisation Oxfam in Jerusalem.

Die ohnehin als gewaltbereit bekannten Bewohner der illegal errichteten Siedlungs-Außenposten fühlten sich dadurch akut bedroht – und reagierten mit Angriff. 35 Fälle, in denen Bäume beschnitten oder deren Besitzer angegriffen wurden, hatte die israelische Menschenrechtsorganisation „Yesh Din“ (Deutsch: „Es gibt Gerechtigkeit“) in den ersten sechs Erntewochen dokumentiert. Jamal Daragmi, Gemeindevorsteher in Al-Nubanis Heimatdorf Al-Luban Al-Sharqiya, kann die Übergriffe auf sein Land aus dem Stegreif aufzählen: 35 beschnittene Bäume im September, 200 verbrannte im Oktober, Anfang November wurden zwölf 50 Jahre alte Bäume gekappt.

Zu den Zerstörungen kommen die Zugangsbeschränkungen: Etwa 40 Prozent der Fläche des Westjordanlandes dürfen die palästinensischen Bewohner nach UN-Angaben gar nicht oder nur mit israelischer Genehmigung betreten. Der Olivenhain von Abdelbasset Al-Nubani gehört dazu: Weil er nur einen Steinwurf von der Siedlung Eli entfernt liegt, ist das Land für seinen Besitzer Sperrgebiet. Ein Problem, das viele Bauern aus Al-Luban Al-Sharqiya kennen: Das Dorf ist von gleich drei Siedlungen – Eli, Shilo und Ma’ale Levona – umringt.

Jamal Daragmi zeigt auf Eli

Seit dem zweiten Palästinenseraufstand haben die Dorfbewohner 45 Prozent ihres Landes verloren, wie Gemeindevorsteher Daragmi erzählt. „Vor der Intifada gehörten 15.000 Dunam Land zum Dorf. 2.000 Dunam dürfen wir nur noch ein Mal im Jahr mit besonderer Genehmigung betreten, 5.000 Dunam haben die Siedler ganz übernommen, um dort zu bauen oder selber Landwirtschaft zu betreiben.“ Die Folge: Immer mehr Menschen verlassen das Dorf, der Anteil der armen Bevölkerung steigt stetig an.

Firas Alami und Judy Lotz

Firas Alami von der Menschenrechtsorganisation „Yesh Din“ hilft den palästinensischen Bauern, ihre Ansprüche auf das Land geltend zu machen. Und unterstützt sie dabei, sich gegen Übergriffe von Siedlern zu wehren. „Wir sind mit 95 Prozent der Dörfer im Westjordanland vernetzt“, erzählt Alami. „Wenn etwas passiert, rufen unsere Kontaktmänner uns an, und wir kommen dann, um den Fall zu dokumentieren und Anzeige zu erstatten.“ Alleine können das die geschädigten Bauern in den seltensten Fällen tun, denn: Die Polizeistationen sitzen meist in den jüdischen Siedlungen, zu denen die Palästinenser keinen Zutritt haben.

Doch selbst wenn es ihnen gelingt, die Übergriffe anzuzeigen: Bestraft wurde bislang noch kein einziger Täter. „Es heißt dann immer, das könne nicht hundertprozentig nachgewiesen werden, oder man wisse nicht, wer das getan habe – dabei haben wir in einigen Fällen sogar Fotos von den Angreifern“, sagt Alami.

Amram Akram

Auch Amram Akram ist schon mehrfach angegriffen worden. Sechsmal hat der Bauer aus dem Dorf Burin in der Nähe von Nablus bereits Anzeige erstattet. „Einmal haben sie mich ernsthaft an Kopf und Schulter verletzt“, erzählt der 44-Jährige. „Aber die Polizei macht nichts.“ Der Vater von fünf Kindern sieht täglich in seinem Olivenhain, der am Fuße der Siedlung Yizhar liegt, nach dem Rechten. Und entdeckt regelmäßig neue Zerstörungen:

Letzten November haben sie 82 Bäume beschnitten, vor sechs Monaten 25 verbrannt, im August 41 abgehackt und heute habe ich wieder ein paar neue zerstörte Bäume entdeckt.“ Manchmal wird er von Siedlern vertrieben, manchmal von der israelischen Armee. Denn eine Erlaubnis, seinen Olivenhain täglich zu betreten, hat Akram nicht. „Aber niemand kann mich davon abhalten, auf mein Land zu gehen.

Die Oliven aufzugeben und als Hilfsarbeiter in die Stadt zu gehen, wie so viele junge Männer aus den Dörfern es machen, kommt für Akram nicht in Frage: „Ich habe als kleiner Junge schon mit der Landwirtschaft angefangen. Das ist mein Leben.“

Auch der kleine Mustafa, Sohn von Abdelbasset Al-Nubani, soll eines Tages das Stück Land seiner Familie erben. Deswegen ist der Vierjährige bei der Olivenernte dabei. „Als ich klein war, da war das ein richtiges Fest“, erinnert sich sein Vater. „Da haben wir wochenlang geerntet, waren immer hier draußen.“ Dieses Jahr hat die Familie drei Tage lang jeweils acht Stunden Zeit. „Normalerweise bräuchten wir einen Monat, um alles zu ernten“, sagt der Bauer. „Was für ein Wahnsinn.“

Familie Al-Nubani