Sitz im Sicherheitsrat: Ja, bitte! Demokratie: Nein, danke!

Im Streit um die UN-Reform lehnt ausgerechnet die FDP, die Partei des Außenministers, Vorstöße für mehr internationale Demokratie vehement ab

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Deutschland sitzt wieder im UN-Sicherheitsrat. Zuletzt hatte es 2007 Querelen um einen nichtständigen deutschen Sitz gegeben, zwischenzeitlich hatte es sogar geheißen, die Bundesregierung verzichte freiwillig (Deutschland kapituliert! Oder doch nicht?). Die Wirren von vor drei Jahren scheinen längst vergessen zu sein. Am 12. Oktober wurde Deutschland von der UN-Generalversammlung für die nächsten zwei Jahre auf einen der nichtständigen Sitze in dem wichtigsten UN-Gremium gewählt. Welche Rolle aber wird Deutschland im Sicherheitsrat spielen und welche Haltung hat Berlin zur Reform der Vereinten Nationen? Ausgerechnet die Partei des Außenministers stellt sich vehement gegen Demokratisierungsbestrebungen.

Der Sicherheitsrat tagt. Bild: UN Photo/Paulo Filgueir

Als Deutschland am 12. Oktober 2010 erstmals seit 2004 für zwei Jahre als nichtständiges Mitglied in den UN-Sicherheitsrat gewählt wurde, ließ Außenminister Guido Westerwelle (FDP) keine Zeit verstreichen, um seine Position klarzustellen: langfristiges Ziel sei ein ständiger Sitz Deutschlands in dem Gremium. Diese Aussage stellt die Prioritäten Deutschlands für die Reform der Vereinten Nationen klar.

Wie diese Reform genau aussehen soll, darüber wird seit Jahren allerdings heftig gestritten. Einer der Kernpunkte, auf den sich sämtliche reformorientierten Gruppen – seien es nun Regierungen oder Nichtregierungsorganisationen – konzentrieren, ist die Tatsache, dass die Zusammensetzung und Anzahl der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates die Kräfteverhältnisse zum Ende des Zweiten Weltkrieges widerspiegeln. USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien haben nicht nur einen ständigen Sitz, sondern auch ein Vetorecht. Ein Anachronismus.

Das bisher zentralste Reformdokument, in dem auch dieser Punkt kritisch behandelt wird, trägt den Titel In größerer Freiheit und wurde vor fünf Jahren vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan veröffentlicht. Annan plädierte darin für einen Umbau und eine Erweiterung des Sicherheitsrates, um "die internationale Gemeinschaft als Ganzes" zu repräsentieren.

Für eine umfassende Demokratisierung setzt sich die deutsche Nichtregierungsorganisation Komitee für eine demokratische UNO (KDUN) seit 2003 ein. Kernidee ist die Einrichtung einer Parlamentarischen Versammlung bei den Vereinten Nationen (UNPA), die demokratisch gewählt werden und die gesamte Weltbevölkerung repräsentieren soll.

In der UNO sind nämlich nur die Regierungen vertreten. An der Meinungsbildung nehmen auch nur Regierungen teil, selbst wenn für die Kosmetik ab und an Nichtregierungsorganisationen informell angehört werden. Und die internationalen Entscheidungsprozesse sind sowieso fast nur in der Hand von Regierungen. Durch die Globalisierung sind die Menschen aber immer stärker von internationalen Einflüssen betroffen und sollten deshalb im globalen Politikgeschäft auch eine Stimme haben, nicht nur indirekt über ihre Regierungen. Darum geht es uns: Dass die Basis besser eingebunden wird.

Andreas Bummel, der Leiter der Kampagne, im Interview mit Telepolis im Jahr 2007

In der Zeit, die seither verstrichen ist, konnte die Idee zwar zahlreiche Unterstützer in aller Welt, darunter fast 800 Parlamentarier, gewinnen, auf der Ebene der Regierungspolitik wird sie aber weitgehend nicht beachtet. So war es umso bemerkenswerter, dass der Präsident der 65. UN-Generalversammlung, Joseph Deiss, sich bei einer Pressekonferenz am 22. Oktober in Tokyo bemüßigt fühlte, auf das Thema zu sprechen zu kommen: "Wir bewegen uns nicht in Richtung eines Weltparlamentes." Internationale Politik beruhe auf Entscheidungsprozessen "in einer Welt von souveränen Staaten mit nationalen Parlamenten."

Der Präsident der 65. UN-Generalversammlung, Joseph Deiss, bei der neben Deutschland Kolumbien, Südafrika, Indien und Portugal für zwei Jahre in den Sicherheitsrat aufgenommen wurden. Bild: UN Photo/Evan Schneider

Man kann diese Aussage negativ werten – als eine Absage an das UNPA-Konzept. Andererseits fällt auf, dass der Präsident der Generalversammlung inzwischen scheinbar nicht mehr um das Thema herumkommt und offen dazu Stellung beziehen muss – was für seine öffentliche Bedeutung und Wahrnehmung spricht.

Aber welche Haltung hat Deutschland dazu? Gerade jetzt wo Deutschland seine eigene Außenpolitik durch die Teilhabe am Sicherheitsrat aufwerten und seine Rolle als Global Player stärken will, ist diese Frage interessant. Im Juli sprach sich der Bundesvorstand der Grünen ausdrücklich für die Idee eines UN-Parlamentes aus:

Wir teilen die Auffassung, dass demokratische Mitwirkung und Repräsentation schrittweise auch auf der globalen Ebene umgesetzt werden muss. Wichtige internationale Entscheidungen sollten nicht länger von einer handvoll von Regierungsvertretern in verschlossenen Hinterzimmern getroffen werden. Ein globales Parlament wäre bestens dazu geeignet, um die Vereinten Nationen demokratischer und transparenter zu machen.

Claudia Roth, Bundesvorsitzende der Grünen

Roth sprach damit einen zentralen Kritikpunkt der Gegner des Status Quo an: Dass es in der Zusammensetzung und in den Entscheidungsprozessen der Vereinten Nationen vor allem um Machtinteressen gehe. Selbst mit einem Umbau des Sicherheitsrates würde daran erstmal nicht viel geändert. Es bekämen zwar zusätzliche nationale Regierungen ein stärkeres Mitspracherecht, und auch die allseits geforderte Abschaffung des zutiefst undemokratischen Vetorechts wäre bereits ein großer Schritt in die richtige Richtung. Dennoch würden weiterhin nicht die Weltbürger, sondern lediglich die Regierungen repräsentiert.

In diese Richtung weist auch Guido Westerwelles Wunsch nach einem ständigen Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat. Der Filmemacher Joel Marsden, der in einem großangelegten Experiment für seinen Dokumentarfilm "World Vote Now" ( Ist ein globales demokratisches System möglich?) nachweisen konnte, dass ein globales Referendum nicht nur durchführbar, sondern von vielen auch erwünscht ist, bezeichnete die bestehende global governance unlängst als "zerstört" und "korrupt".

Außenminister Guido Westerwelle am 12. Oktober auf einer Pressekonferenz nach der Wahl Deutschlands zu einem nichtständigen Mitglied. Bild: UN Photo/John McIlwain

FDP lehnt UN-Parlament ab und will eine Reform des Sicherheitsrats, die die Beitragshöhe der Länder berücksichtigt

Im Gegensatz zu den Grünen hat die FDP der Idee eines UN-Parlaments eine Absage erteilt. Genauer: Am 13. Oktober, nur einen Tag, nachdem Parteichef Westerwelle in New York Stellung bezogen hatte. Während Staatssekretär Werner Hoyer seit jeher als Gegner des Projekts gilt, nimmt nun auch der Arbeitskreis Internationale Politik der FDP-Bundestagsfraktion diese Position ein. Rainer Stinner, der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und Mitglied im Arbeitskreis, begründet das auf Nachfrage von Telepolis so:

Ein Parlament muss die Bevölkerungszahlen der Länder zumindest halbwegs repräsentativ abdecken. Das erfordert eine Größe, die wir für nicht mehr arbeitsfähig halten. Zum anderen ist leider eine große Zahl der UN-Mitgliedstaaten nicht demokratisch. Hier würden weiterhin lediglich von der Regierung ausgewählte Delegierte entsandt werden. Diese Verdopplung von Strukturen halten wir für nicht sinnvoll.

Rainer Stinner

Stinner scheint zu ignorieren, dass das UNPA-Konzept diese Problematik keineswegs ausklammert. Nach den vom KDUN untersuchten Modellen, die Stinner vorliegen, würden maximal dreißig Prozent der Delegierten eines UN-Parlaments aus unfreien Ländern kommen. Die Gesamtzahl der Abgeordneten läge zwischen 700 und 900 – eine Größe, die durchaus arbeitsfähig sein kann.

Interessant ist zudem die Argumentation bezüglich der Menge an demokratischen Mitgliedsstaaten, die man im Umkehrschluss auch so verstehen kann: Wenn die Mitgliedsstaaten nicht demokratisch sind, muss es die internationale Institution auch nicht sein. Fakt ist, dass eine demokratisch gewählte repräsentative Versammlung mit gleichwertigen Stimmrechten die bestehenden Machtverhältnisse komplett umkrempeln würde. Das ist freilich nicht im Interesse der Vetomächte, die dann nicht mehr "durchregieren" könnten, und offenbar ist es auch nicht im Interesse Deutschlands, wie es das Auswärtige Amt und die FDP definiert. Rainer Stinner spricht sich ausdrücklich für eine Reform des Sicherheitsrates aus, und zwar so:

Der Sicherheitsrat muss die Weltverhältnisse von heute widerspiegeln, nicht die von vor 65 Jahren. Nur wenn der Sicherheitsrat repräsentativ ist für die Struktur der Welt von heute, wird er dauerhaft seine Legitimation behalten. Die Bevölkerung eines Landes, aber auch die Beiträge, die ein Land für die Vereinten Nationen leistet, müssen bei der Besetzung des Sicherheitsrats eine größere Rolle spielen als heute. Sonst werden sich die Probleme andere Strukturen zur Lösung suchen und die Vereinten Nationen werden an Bedeutung verlieren. Das kann auch nicht im Interesse der bisherigen ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates sein.

Rainer Stinner

Deutschland ist nicht nur der drittgrößte Beitragszahler der UN, sondern spielt seit geraumer Zeit auch militärisch wieder mit. Das zieht klare Grenzen der Bedeutungsebene: Es geht um Macht und Geld. Diese beiden Faktoren sind es maßgeblich, die Deutschland auf der Ebene der internationalen Politik in den letzten zehn Jahren nach oben gespült haben. Trotz aller Lippenbekenntnisse für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte in der Welt – diese Werte und Prinzipien in der Weltorganisation selbst umzusetzen, daran hat die FDP und das Auswärtige Amt offenbar wenig Interesse.