Die dunklen Hinterzimmer im Weißen Haus

Legalität, Legitimität und Antisemitismus: Wie CIA-Agentin Valerie Plame zum Freiwild wurde - Doug Limans "Fair Game" vereinfacht eine brisante Affaire aus dem Bush-Amerika

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US-Präsident George W. Bush und sein Vize Richard Cheney organisierten den Irak-Krieg durch systematischen Betrug der UNO und Manipulation der Öffentlichkeit. Das Wissen um diesen, in den westlichen Demokratien beispiellosen Betrug, der an die Praxis totalitärer Regimes erinnert, ist inzwischen Allgemeingut. Trotzdem ist es wahrscheinlich eine verdienstvolle, und unbedingt eine ehrenwerte, Aufgabe, das Ganze in die Form eines Mainstreamspielfilms zu gießen. Bisher allerdings, und das zeigt Doug Limans "Fair Game" (Trailer) leider nicht, hat sich noch keiner getraut, den überfälligen "J'accuse"-Text zu schreiben und die Täter anzuklagen.

Alle Bilder: Summit Entertainment

Berichte über etwas, das nicht passiert ist, sind für mich interessant, denn wie wir wissen, gibt es Dinge, die wir wissen. Wir wissen auch, dass es Unbekanntes gibt, von dem wir wissen, dass es unbekannt ist. Wir wissen, dass es Dinge gibt, die wir nicht wissen. Aber es gibt auch Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen.

Donald Rumsfeld, 2002

"Sie haben absolut keine Vorstellung davon, zu was wir in der Lage sind." Dies ist einer der ersten Sätze, die Valerie Plame in diesem Film spricht. Plame ist Geheimagentin des CIA, den sie mit "uns" meint, und sie sagt ihn voller Überzeugung im Gespräch mit einem Informanten, um diesen einzuschüchtern. Plame stützt die Antiterrorpolitik von George W. Bush. Kurz darauf aber wird sich der Satz gegen Plame selbst wenden, sie wird völlig unschuldig zum Freiwild einer medialen, juristischen und politischen Hetzjagd, und zum Opfer einer Verschwörung, deren Urheber in den Hinterzimmern des Weißen Haus' sitzen.

Lügen und Verbrechen der Bush-Regierung

Die Vorgänge, die hier von Doug Liman (u.a. "Bourne Identity" und "Mr. & Mrs. Smith") in Form eines Dokudramas auf die Leinwand gebracht werden, entsprechen im Wesentlichen den Tatsachen - es handelt sich um eines der finstersten Dramen der Ära George W. Bush: Ein faszinierendes politisches Intrigenspiel [ aus dem Jahr 2004 (siehe Der Zauberer von Bush), dem von Bushs - unmanipulierter - Wiederwahl, in dem die CIA-Geheimagentin Valerie Plane, der ehemalige US-Botschafter und Politikwissenschaftler Joseph Wilson, der Präsidentenberater Karl "The Brain" Rove, Richard Cheneys Stabschef Scooter Libby, Sonderermittler Patrick Fitzgerald und die US-Medien die Hauptrollen spielen.

Der Hintergrund dieses Lehrstücks über Lügen und Verbrechen der Bush-Regierung: Der systematische Betrug der UNO und Manipulation der internationalen Öffentlichkeit durch die Bush-Regierung, namentlich Vizepräsident Richard Cheney im Vorfeld des US-Angriffs gegen den Irak 2003. Die Version, dass der Irak im Besitz von "Massenvernichtungswaffen" und einer "signifikanten Menge Uran" (George W. Bush, 2003) sei

Mr. & Mrs. Wilson

Diese Version wurde erstmals massiv infrage gestellt, als Joseph Wilson am 6.Juli 2003 einen Kommentar in der "New York Times" veröffentlichte, dessen Titel hieß: "Was ich nicht in Afrika fand" ("What I didn't find in Africa"). Hier belegt er die Verfälschung von CIA-Ergebnissen und die systematische Übertreibung der Bedrohung durch angebliche irakische Massenvernichtungswaffen. Wilson, ein US-Afrikaexperte, hatte 2002 im CIA-Auftrag die Theorie afrikanischer Uran-Lieferungen an den Irak untersucht.

Das Weiße Haus reagierte auf die unangenehmen Enthüllungen mit einem Rachefeldzug: Der Presse wurde zugespielt, dass Wilsons Frau, Valerie Palm, eine langgediente, höherrangige CIA-Agentin war - worauf die Enttarnte nach der Veröffentlichung ihren Job los wurde. Zudem hieß es öffentlich, dass Wilson nur deshalb den Auftrag bekam, weil seine Frau als Spezialistin für Massenvernichtungswaffen bei der CIA arbeitete. Das sollte nach Nepotismus klingen. Nun beginnt im Film ein Polit-Melodram, in dem eine immer gestresste Naomi Watts und ein fast immer sehr selbstgerechter Sean Penn als das grundgute Ehepaar in arge Bedrängnis kommen.

Der Titel "Fair Game", der übersetzt schön doppelsinnig sowohl "Faires Spiel" bedeutet wie "Freiwild", ist auch der Titel von jenem Buch, dass Plame 2007 veröffentlichte, und das zuvor von der CIA gegengelesen und in vielen Fällen zensiert wurde. Der Verlag machte die Zensur mit einem Einschub [Text here redacted] öffentlich.

Die CIA erscheint hier als genau so mangelhaft, wie sie sich tatsächlich verhalten hat: kuschende Vorgesetzte, ein Geheimdienst, genau das tut, was man befürchtet: Er liefert die "Erkenntnisse", die politisch gewünscht sind. Was wir hier sehen, ist: Saddam Hussein hatte keine Massenvernichtungswaffen; die CIA und das Weiße Haus wussten dies, und weil der Angriff beschlossene Sache war, ignorierten sie es, und die USA begannen einen grundlosen, daher völkerrechtswidrigen Krieg. Dafür fälschte man Beweise und führte - wiederum auf falschen Beweisen basierende - Schmutzkampagnen gegen jene, die diesen widersprachen,

Das Bemerkenswerteste an dem ganzen Film ist, dass er all dies offen, ungeschützt und unter Nennung realer Namen ausspricht - so als hofften die Macher geradezu, verklagt zu werden, und ihre üble Nachrede beweisen zu dürfen.

Lahmarschig, verlabert

Leider ist Limans Regie seinem Sujet und diesem Inhalt ästhetisch nicht gewachsen: Zu lahm ist das Tempo, zu unausgewogen die Balance zwischen ruhigen Dialog- und Stoff-Entwicklungspassagen einerseits und Action. Die Mischung stimmt nicht, der Sturm bleibt im Wasserglas, und so wirkt dieser Film allzusehr wie ein Dokudrama, oder besser: wie die zweite, fehlende Hälfte zu "Salt". War dieser ein wunderbar anzusehendes rasantes Nichts, so ist dies lahmarschige, verlaberte Substanz. Chance versemmelt, überaus schade!

Auch weiß Doug Limans inhaltlich zunächst hochspannender Film in seiner zweiten Hälfte nicht recht, was er will. Irgendwie geht es um die Ehe von Valerie Plame, irgendwie geht es um Verschwörung, irgendwie geht es aber auch um die gute Seite der CIA. Denn bekanntlich darf man im reaktionären, verunsicherten, von den Vierteljahresbilanzen der Mikroökonomen und Controllern bestimmten Hollywood von den Schattenseiten Amerikas nur noch erzählen, wenn das verlorene Paradies am Ende wiedergefunden wird: Daher wird irgendwie alles gut, sogar das Wichtigste: Valerie Palmes Ehe. Allerdings erst, nachdem die verunsicherte, entscheidungsunfähige Frau raus aus der bösen Stadt, zurück in die Ur-Natur der amerikanischen Wälder fährt, wo ihr Vater (gutaussehend gespielt von Sam Shepard) in einer Blockhütte wie Thoreau in "Walden" haust, und der Tochter beim Holzhacken mal so richtig den Kopf wäscht.

Das ist nicht zuletzt auch frauenfeindlicher Unsinn, wie eigentlich der ganze Film, in dem Plame/Watts immer gern die Wahrheit und damit die Moral und das Seelenheil der Nation zu opfern bereit ist, sofern nur der Familie nichts passiert. Wilson/Penn weiß es, wie Männer halt so sind, natürlich besser und kämpft als kompromissloser David gegen den bösen Goliath.

Hollywood-Verlogenheit und Antisemitismus

So bietet Liman Minute zu Minute mehr typische Hollywood-Verlogenheit: Der letzte Satz von Joseph Wilson ist im Film: "God bless America". Im Mainstream-Stil wird suggeriert, dass das System durchaus funktioniert, und nur bestimmte Personen falsch oder böse gehandelt haben. Dieser Eindruck ist aber falsch: Das Problem der Ära Bush ist aber gerade nicht George W. Bush, sondern Systemversagen, nicht nur Unmoral, sondern grundsätzliche Legalitätsdefizite. Es ist beginnend mit seiner de facto illegalen Wahl, das System, das Bush und die Untaten seiner Regierung möglich gemacht hat. Immerhin wurde Scooter Libby im Zusammenhang mit "Plamegate" inzwischen rechtskräftig verurteilt, Rove musste seinen Hut nehmen. Die Drahtzieher aber sind nach wie vor unbekannt.

Der eigentliche Skandal von "Fair Game" ist allerdings eine entscheidende Verfälschung, die bisher nur einer aufgedeckt hat. Alan Posener, seit jeher der mit Abstand lesenswerteste Autor der "Welt". Bereits in einem Interview mit dem Ehepaar Plame/Wilson vor wenigen Wochen, stellte er deren Version, ein Opfer Cheney's zu sein, der der Film wie fast alle Medien völlig unkritisch anhängt, in Frage:

WELT ONLINE: Es bleibt aber die Tatsache, dass sowohl Richard Armitage als auch Robert D. Novak, der Journalist, der Valerie als CIA-Agentin identifizierte, gegen den Irak-Krieg waren. Sie wurden nicht von Leuten aus dem Weißen Haus enttarnt, sondern von Gegnern der Politik des Weißen Hauses.

Joe: Worauf wollen Sie hinaus?

WELT ONLINE: Sie waren nicht Opfer der Kriegsfaktion, sondern der Friedensfraktion.

Joe: Nein, wir wurden Opfer einer Anzahl von Leuten, die entweder unter der Leitung des Vizepräsidenten oder unabhängig von ihm arbeiteten.

Valerie: Es mag ja sein, dass Armitage und Novak keine starken Befürworter des Krieges waren, aber sie waren Instrumente, sie wurden vom Weißen Haus benutzt, und sie waren verantwortlich dafür, dass ich als CIA-Agentin aufflog. Das war Verrat.

In seiner Rezension des Films legt Posener nun nach und argumentiert er überaus schlüssig:

Eine kurze Überlegung genügt, um sich klarzumachen, dass es kaum im Interesse des Weißen Hauses lag, eine wichtige Agentin auffliegen zu lassen, nur um sich an ihrem Mann zu rächen. Bush mag sich nicht immer durch überragende Intelligenz ausgezeichnet haben, aber niemand hat Cheney einen Dummkopf genannt.

Welches Interesse könnten aber die Bush-Gegner gehabt haben, Valeries Arbeit bei der CIA öffentlich zu machen? Die Dokumente zeigen, dass sie dem Ehepaar nicht schaden, sondern im Gegenteil Joe Wilson helfen wollten. Denn das Weiße Haus hatte Joes Niger-Bericht immer als Fleißarbeit eines mit Geheimdienstmethoden nicht vertrauten Diplomaten hingestellt, den seine Kontakte hinters Licht geführt hätten. Armitage wollte mit seinem Hinweis andeuten, dass Joe eben doch genau wissen konnte, wonach er in Niger zu suchen und mit wem er zu reden hätte.

Wilson hatte überdies kurz vor der Veröffentlichung seines NYT-Artikels einen Job als Berater und Redenschreiber von John Kerry angenommen, der 2004 Präsidentschaftskandidat gegen Bush wurde.

Schlüssig vermutet Posener neben dem Motiv, wieder einmal die Neokonservativen zu Hollywood-Schurken zu machen, auch ein antisemitisches und antiisraelisches Motiv:

Lewis Libby war halt der geeignetere Schurke. Er ist jüdisch, war ein Schüler des neokonservativen - und jüdischen - Bush-Beraters und Vize-Verteidigungsministers Paul Wolfowitz und - wie der deutsche Wikipedia-Eintrag hilfreich, wenn auch unzutreffend hinzufügt - 'ein führender Kopf der Pro-Israel-Lobby'. Cheney, Wolfowitz, Libby, die Neocons, die Israel-Lobby - sie sind auf die Schurkenrolle in Sachen Irak-Krieg abonniert. Dass der Film wahrheitswidrig behauptet, aufgrund der Enttarnung Valerie Plames seien mehrere irakische Atomwissenschaftler vom israelischen Geheimdienst Mossad ermordet worden, rundet das Bild ab.

In der amerikanischen Nacht sind alle Katzen grau.