Bundeswehrreform setzt Anreize zur Verpflichtung für Auslandseinsätze

Der Mangel an Studienplätzen könnte die Universitäten der Bundeswehr attraktiver erscheinen lassen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli kommenden Jahres wird zur Belastungsprobe für die Universitäten und Fachhochschulen. Zusätzlich zu der Belastung durch doppelte Abiturjahrgänge in Bayern und Niedersachsen werden sich vermehrt junge Menschen direkt nach dem Abitur um einen Studienplatz bewerben. Doch während es an den zivilen Einrichtungen eng wird, sollen die Kapazitäten an den Universitäten der Bundeswehr beibehalten, womöglich sogar ausgebaut werden. Studienplätze würden so zum Lockmittel für den freiwilligen Wehrdienst, den Verteidigungsminister zu Guttenberg (CSU) jüngst auf der Bundeswehrtagung in Dresden vorstellte.

Der zu erwartende zusätzliche Ansturm auf Ausbildungs- und Studienplätze durch die Aussetzung der Wehrpflicht ist enorm. So wurden im vergangenen Jahr über 68.000 Wehrpflichtige einberufen, mehr als 90.000 Personen haben den Zivildienst angetreten. Statistiken von Bundeswehr und dem Bundesamt für Zivildienst zeigen, dass die Zahlen der Einberufungen in den letzten Jahren relativ konstant waren.

Da die Zahl der Schulabgänger im Jahr 2011, auch angeheizt durch die doppelten Abiturjahrgänge in den beiden Flächenländern Niedersachsen und Bayern, nicht sinken wird, muss der Ausbildungsmarkt im kommenden Jahr rund 150.000 junge Menschen zusätzlich aufnehmen, auf die niemand vorbereitet ist – mit der Bundeswehrreform konnte keiner rechnen. Zwar wird der freiwillige Wehrdienst und der von Familienministerin Schröder initiierte Bundesfreiwilligendienst für ein wenig Entspannung sorgen, wie hoch die Nachfrage nach diesen neuen Angeboten ist, kann jedoch noch niemand abschätzen.

Während der Bund durch die Aussetzung der Wehrpflicht Geld spart, kommen auf die Länder unvorhergesehene Aufgaben zu. Sie müssen kurzfristig Platz für 50.000 zusätzliche Studienanfänger in 2011 schaffen, wie die Kultusministerkonferenz errechnet hat – dabei sind schon jetzt viele Universitäten an ihrer Kapazitätsgrenze angelangt.

Auf Hilfe vom Bund brauchen die Kultusminister der Länder trotzdem nicht zu hoffen. Der parlamentarische Staatssekretär im Bildungsministerium Thomas Rachel (CDU) erklärte im Bundestag, dass die "Bereitstellung eines ausreichenden Studienangebots" aufgrund der föderalen Aufgabenverteilung "in erster Linie Sache der Länder" sei. Zudem engagiere sich die Bundesregierung im Rahmen des Hochschulpaktes bereits "in außergewöhnlichem Maße" bei der Schaffung neuer Studienplätze.

Doch in den Ländern sind die Kassen nicht so gefüllt, dass der nötige Ausbau an den Hochschulen problemlos bewältigt werden könnte. Im Gegenteil: in Hamburg verweigerte kürzlich der Hochschulrat der dortigen Universität die Zustimmung zum geplanten Haushalt der Hansestadt, der eine Kürzung des Budgets für die Universität vorsieht. Konsequenzen hat das Nein des Rates allerdings keine, er ist lediglich ein folgenloses Signal an den Senat. Dabei wären angesichts steigender Studentenzahlen erhöhte Investitionen dringend geboten – mit über 440.000 Erstsemestern befindet sich die Zahl der Studienanfänger in Deutschland auf einem Allzeithoch. Ein neuer Rekordwert im kommenden Jahr ist bereits absehbar und auch dringend nötig, immerhin ist die Studierendenquote in Deutschland, gemessen am OECD-Durchschnitt, nach wie vor zu niedrig.

Wenn jedoch keine finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, um dem Andrang der Studierenden Herr zu werden, müssen die Hochschulen die Probleme anderweitig lösen. Das hieße entweder Sparen auf Kosten der Qualität, um die Massen doch noch aufnehmen zu können, oder aber eine deutliche Ausweitung und Anhebung des Numerus Clausus. Schon heute ist jeder zweite Studiengang mit einer Zulassungsbeschränkung versehen, sind NC-Werte von 1,0 beispielsweise in medizinischen Studiengängen keine Seltenheit.

Universitäten der Bundeswehr und Verpflichtung als Berufssoldat als Ausweg?

Diese Umstände könnten Abiturienten auf der Suche nach einem Studienplatz dazu verleiten, den neuen, freiwilligen Wehrdienst anzutreten, denn die Bundeswehr betreibt selbst Universitäten und bietet an den Standorten Hamburg und München verschiedenste Studienrichtungen an, von Elektrotechnik über Luft- und Raumfahrt bis hin zu Pädagogik. Zugangsvoraussetzung ist jedoch eine Verpflichtung bei der Bundeswehr für mindestens 13 Jahre. Wer sich für ein Studium bei der Bundeswehr entscheidet, um den NCs und Wartelisten der öffentlichen Universitäten aus dem Weg zu gehen, erkauft sich dies mit der Zusage, auch an Auslandseinsätzen teilzunehmen.

Doch während die staatlichen Hochschulen bei gleichbleibenden Mitteln mit stetig wachsenden Studentenzahlen zurecht kommen müssen, sind Kürzungen bei den Universitäten der Bundeswehr offenbar nicht zu befürchten. Zwar hat die Strukturkommission unter dem Reservisten und Vorstandsvorsitzender der Arbeitsagentur, Frank-Jürgen Weise (CDU), festgestellt, dass es bei der Bundeswehr einen absehbar geringeren Bedarf bei den beiden Universitäten der Bundeswehr gebe. Trotzdem empfiehlt die Kommission, diese unverändert aufrecht zu erhalten. "Freie Kapazitäten können als Anreiz für den Freiwilligen Wehrdienst dienen", so der Bericht weiter.

Die Engpässe an den zivilen Hochschulen sollen nach dem Willen der Kommission demnach genutzt werden, um jungen Menschen auf der Suche nach einer guten Ausbildung die Verpflichtung zu Auslandseinsätzen schmackhaft zu machen. Angedacht ist zudem auch die Eröffnung zusätzlicher Fakultäten an den Universitäten der Bundeswehr, die dann allerdings allen Studierenden offen stehen sollen. Doch auch das geschieht nicht ohne Hintergedanken. Die Strukturkommission verspricht sich davon die Schaffung eines bundeswehrgemeinsamen Bewusstseins "der künftigen zivilen und militärischen Führungskräfte".

Über die tatsächlichen Auswirkungen der Reform auf die Universitäten der Bundeswehr konnte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums gegenüber Telepolis keine Auskunft geben. Die Beratungen liefen noch, daher sei es zu zeitig, schon über Ergebnisse zu sprechen.

Eine Umsetzung der Vorschläge wäre jedoch für die geplante verstärkte Ausrichtung der Bundeswehr hin zu einer Armee im Einsatz nur konsequent. So könnten über die bisherigen Studienangebote Soldaten für Einsätze angeworben werden, während zugleich in neuen, offen zugänglichen Fakultäten neben der akademischen Ausbildung eine positive Einstellung zu den Aktivitäten der Bundeswehr vermittelt wird.