Der Senator, der Netzsperren aufhielt

Auch in den USA gibt es Pläne zum Aufbau einer Zensurinfrastruktur

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der 1949 geborene Ronald Lee Wyden sitzt für den Bundesstaat Oregon im US-Senat. Bis letzte Woche war er überregional relativ wenig bekannt. Das änderte sich schlagartig, als er das schnelle Durchwinken eines Gesetzes namens Combating Online Infringement and Counterfeits Act (COICA) verhinderte, das den Aufbau einer neuen Zensurinfrastruktur dienen soll.

Begründet wurde der COICA nicht mit einer Sperrnotwendigkeit angeblich nicht löschbarer Kinderpornographie, sondern ganz offen mit dem Interesse der US-Rechteinhaberindustrie an der Nichtzugänglichkeit von Seiten, die ihre Monopolansprüche unterlaufen. Welche Seiten gesperrt werden, soll dem Entwurf nach das US-Justizministerium entscheiden - ähnlich wie das deutsche BKA dies dem hiesigen Netzsperrenentwurf nach hätte tun können, wäre die Große Koalition nicht abgewählt worden. Als Begründung für einen Eintrag in die Schwarze Liste reichen dem Entwurf nach sogar Links auf eine andere Seite.

Technisch soll eine COICA-Sperre über das Domain Name System erfolgen und nicht nur einzelne Websites, sondern jeweils ganze Domains betreffen. Kritiker befürchteten deshalb, dass mit dem Gesetz auch Nachrichten- und Whistleblower-Angebote wie Wikileaks gesperrt würden. Immaterialgüterverletzungsvorwände dafür ließen sich ohne weiteres finden oder schaffen. Allerdings sind Domain-Beschlagnahmen bereits nach derzeitigem Recht möglich und werden auch durchgeführt.

Die Electronic Frontier Foundation (EFF) merkte zu dem Websperrenentwurf an, dass der Erfolg von YouTube, von dem auch zahlreiche Medienkonzerne profitieren, nicht möglich gewesen wäre, wenn es den COICA schon vor fünf Jahren gegeben hätte. Unter anderem deshalb, so die EFF, sei das Vorhaben ein fortschrittsfeindliches und gefährliches "Anti-Innovations-Gesetz".

Würden die COICA-Sperren umgesetzt, so prophezeit die Bürgerrechtsorganisation, dann stiege ein sehr großer Teil der Amerikaner wahrscheinlich auf alternative DNS-Mechanismen außerhalb der USA um. Die Inkonsistenzen zwischen der offiziellen und der alternativen DNS-Hierarchie führten jedoch auch zu Erreichbarkeitsproblemen für Domains, die nicht auf der Schwarzen Liste stehen.

Hollywood, so die EFF, sollte eigentlich genug negative Erfahrungen mit Schwarzen Listen gemacht haben, um zu wissen, was für problematische Instrumente sie sind. Dem Kongress empfahl die NGO anstatt einer COICA-Verabschiedung lieber den Bürokratiedschungel zu lichten, der die Lizenzierung von Werken für neue Schöpfungen ohne großen Rechtsapparat unmöglich macht.

Ronald Lee Wyden. Foto: United States Congress.

Eingebracht wurde der COICA vom demokratischen Senator Patrick Leahy aus Vermont, der betonte, dass seine Partei und die Republikaner sich in dieser Sache einig seien - und tatsächlich erteilte der Rechtsausschuss des Senats dem Vorhaben mit 19 zu null Stimmen ohne eine einzige Anhörung seine Zustimmung.

Leahy hatte aber offenbar nicht mit unabhängigen Geistern wie Ronald Wyden gerechnet. Der ist Demokrat, aber ein ausgesprochener Befürworter von Freihandel, was ihm unter anderem den Vorwurf einbrachte, für 75.000 abgebaute Jobs in Oregon verantwortlich zu sein. Wyden begründete seine Verhinderung einer schnellen Verabschiedung des Vorhabens damit, dass die Mittel zum angestrebten Ziel in keinem Verhältnis stünden und verglich den COICA mit einer "bunkerbrechenden Clusterbombe", die dort abgeworfen werden soll, wo eine Präzisionsrakete reicht.

Allerdings ist das Gesetz noch nicht vom Tisch - und Beobachter gehen davon aus, dass die hinter ihm stehende Rechteinhaberindustrie ihr Anliegen im nächsten Jahr weiter vorantreiben wird. Dann tagt der Senat in neuer Zusammensetzung - und es wird sich zeigen, wie sehr den frisch gewählten Tea-Party-Senatoren, die in ihrem Wahlkampf immer wieder auf die Verfassung rekurierten, die darin geschützte Redefreiheit am Herzen liegt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.