Note mangelhaft für von der Leyens Bildungspaket

Hartz IV-Reform bedeutet sogar eine Verschlechterung für Kinder und Jugendliche

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Trommeln kann sie, die Ministerin für Arbeit und Soziales - das hat Ursula von der Leyen (CDU) erst vor kurzem wieder bewiesen, als sie bei den Nürnberger Symphonikern Station machte, um für ihr Bildungspaket zu werben. Nachhilfe, warmes Mittagessen und Teilhabe an Freizeitangeboten, beispielsweise Musikschulunterricht, das ist die Melodie, die von der Leyen gern spielt. Die Töne scheinen zu stimmen, doch am Rhythmusgefühl der Ministerin hapert es gewaltig. "Nicht bedarfsgerecht", so lautet deshalb das Urteil auf einem Fachgespräch im Bildungsausschuss des Bundestages – der Vortrag von Frau von der Leyen überzeugt die Experten nicht, die Darbietung ist nur mangelhaft.

Dabei liest sich die Ankündigung verlockend, denn in von der Leyens Bildungspaket sind durchaus gute Ideen enthalten: Für warmes Mittagessen in Kindertagesstätten und Schulen sollen "hilfebedürftige Kinder" künftig einen Zuschuss erhalten, damit sie gemeinsam mit den anderen an der Verpflegung teilnehmen können, eintägige Klassenfahrten können nun ebenfalls finanziert werden, zudem gibt es Gutscheine, die betroffene Kinder in Sportvereinen, Musikschulen oder bei weiteren Anbietern einlösen können. Hinzu kommt ein Schulbasispaket, das für eine "angemessene" Ausstattung von Schülern mit Arbeitsmaterialien sorgen soll.

Doch das Bildungspaket hält nicht, was es verspricht. Dass die Leistungen, die im Bildungspaket stecken, allesamt aus den regulären Hartz IV-Sätzen herausgerechnet wurden, so dass diese nicht steigen, ist dabei nur eines von vielen Problemen. So sieht Heinz-Jürgen Stolz vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) einen vollkommen falschen Ansatz bei der Konzeption des Paketes. Es bilde nur den durchschnittlichen Bildungskonsum einer selbst schon bildungsfernen Schicht ab, nicht jedoch den Durchschnitt der gesamten Gesellschaft, so führte Stolz aus. Damit werde jedoch die Bildungsferne der Betroffenen weiter zementiert, erklärte er, und mahnte die Erstellung einer Gesamtstrategie an. Niemand dürfe mehr von Bildung und Teilhabe aus finanziellen Gründen ausgeschlossen werden, deshalb sei auch die Teilung der bildungsfernen Schicht in Leistungsberechtigte und Nichtleistungsberechtigte falsch.

Verena Göppert vom Deutschen Städtetag lobte, dass das Bildungspaket "unbare Leistungen", sprich Sachleistungen, ermögliche, kritisierte jedoch die hohe Bürokratie des Konzeptes. Laut dem Gesetzentwurf der Koalition sollen die Kommunen mit allen Leistungsanbietern Vereinbarungen treffen. Da die Zahl der Anbieter jedoch sehr hoch sei, bedeute dies einen enormen Aufwand. Zudem sehe sie den Zeitkorridor mit Sorge – bereits am 1. Januar 2011 soll das Gesetz in Kraft treten. Doch die zweite und dritte Beratung des Gesetzes im Bundestag findet erst am 3. Dezember statt. Der Bundesrat wird sich voraussichtlich sogar erst am 17. Dezember mit dem Gesetz befassen.

Problematisch ist für Göppert auch der Verwaltungsaufwand. Um das Bildungspaket mit einem Gesamtvolumen von 700 Millionen Euro in 2011 auf den Weg zu bringen, kommen noch einmal Verwaltungskosten in Höhe von 135 Millionen Euro, also fast einem Fünftel der eigentlichen Leistung, hinzu. Zu hoch und unnötig sei der Verwaltungsaufwand, kritisierte sie. So sei es beispielsweise unsinnig, für die Teilnahme am gemeinsamen Mittagessen mit dem Anbieter eine gesonderte Vereinbarung zu treffen, wo doch ohnehin nur der Anbieter in Betracht käme, der bereits für die anderen Schüler vorgesehen sei. Auch würde der Aufwand für viele Privatpersonen und Vereine in keinem Verhältnis zur Leistungshöhe stehen. Ob die geplanten 135 Millionen Euro für den Verwaltungsaufwand ausreichen werden, bezweifelt Göppert.

Zudem kritisiert sie die Beschränkung der Kostenübernahme für das warme Mittagessen auf Angebote in der Schule. Es sei sachlich und rechtlich nicht nachvollziehbar, warum Kinder in Horten oder Jugendhäusern hier ausgeschlossen werden.

Joachim Rock vom Paritätischen Wohlfahrtsverband kritisierte neben den enormen Verwaltungskosten, dass der Ausbau von Bildung und Teilhabe insgesamt unzureichend sei. Neu sei lediglich die begrenzte Übernahme der Kosten von eintägigen Schulausflügen vorgesehen. Das Schulbasispaket entspreche von den Leistungen her einer bereits 2009 geschaffenen Regelung. Neu sei lediglich, diese auf zwei Tranchen aufzuteilen. Zudem würde dabei, entgegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes, auf eine Begründung der Bedarfsermittlung verzichtet.

Den angeblichen Mehrausgaben stehen größere Kürzungen gegenüber

Insgesamt sieht Rock keine Mehrausgaben, im Gegenteil: den Mehrausgaben von 770 Millionen Euro stünden Kürzungen in Höhe von 3,9 Milliarden Euro gegenüber. Dass die Gutscheine für das Bildungspaket künftig im Jobcenter abgeholt werden sollen, sei zudem eine unnötige Hürde, die viele Eltern von der Inanspruchnahme der Leistungen abhalten würde. Kinder dürften weder wie kleine Erwachsene noch wie kleine Arbeitslose behandelt werden.

Tatsächlich hat die Regierung noch zahlreiche weitere Hindernisse in das geplante Gesetz eingebaut, die die Inanspruchnahme der Leistungen aus dem Bildungspaket erschweren und für viele gar unmöglich machen werden. So beispielsweise bei der "außerschulischen Lernförderung". Mit diesem Begriff umschreibt das Gesetz die Nachhilfe, die ausdrücklich nicht namentlich im Gesetz genannt werden durfte, wie Thomas Becker von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) aus Gesprächen mit dem Ministerium berichtet, weil dieser Begriff bedeuten würde, dass die Schule versagt. Außerschulische Nachhilfe kommt nach dem Willen der Koalition nur in Betracht, wenn schulische Angebote nicht zur Verfügung stehen und die Nachhilfe dem "Lernziel", sprich: dem Erreichen der nächsten Klassenstufe, dient. Wer es auch ohne Förderung irgendwie bis zur nächsten Klassenstufe schafft oder derart schlechte Noten hat, dass eine Versetzung unwahrscheinlich ist, ist ausdrücklich von jeder Förderung ausgeschlossen. Ebenfalls kein Grund für Förderung ist der Wunsch, eine höhere Schullaufbahn einzuschlagen. Ob ein Schüler gefördert werden soll, wird dabei der Entscheidung des Lehrers überlassen.

Doch auch die von der Ministerin so viel gepriesene "gesellschaftliche Teilhabe" mittels Sportvereinen und Musikschulen findet schnell ihre Grenzen – wenn nicht an dem knapp bemessenen Satz von 10 Euro im Monat, dann doch insbesondere im ländlichen Raum an nötigen Fahrtkosten. Denn diese werden ebenfalls ausdrücklich nicht erstattet. So fordert Stolz, statt dem "Tropfen auf den heißen Stein", dem 10 Euro-Gutschein, lieber eine Sachkostenerstattung einzuführen. Diese würde dann neben den Fahrtkosten auch Kosten für nötige Ausstattung, beispielsweise ein Musikinstrument oder ein Trikot beinhalten, denn auch dies sieht der bisherige Gesetzentwurf nicht vor.

Das Ergebnis lässt sich mit einem Blick auf die Kosten für Musikunterricht an den Berliner Musikschulen leicht beurteilen. So müssen beispielsweise für wöchentlich 45 Minuten Unterricht in einer großen Gruppe mit mindestens vier Schülern 21 Euro im Monat gezahlt werden. Hinzu kämen Leihgebühren von acht Euro für ein Instrument. Selbst mit einer 50-prozentigen Ermäßigung, die sozial Schwachen gewährt wird, liegen die Kosten allein dafür jedoch schon deutlich über dem Bildungspaket. Und so sind sich auch die Experten im Bildungsausschuss einig: Mit dem neuen Gesetz lässt sich nicht viel machen, es wird vor allem aufwändig in der Umsetzung.

Und so sind die Trommelübungen der Sozialministerin von der Leyen vor allem eines: laut. Den richtigen Rhythmus hingegen hat sie nicht gefunden.