Stopbanque trifft Wikileaks

Bankenhierarchie im Fokus der Netzaktivisten

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Wikileaks-Gründer Julian Assange hat bereits angekündigt, als nächstes ein brisantes Datenpaket aus einer amerikanischen Großbank zu veröffentlichen. Derartige Aktionen polarisieren. Neben Wikileaks ist dies auch bei zahlreichen weiteren Kampagnen wie "Stopbanque" der Fall, eine Aktion, die am 7. Dezember über die Bühne gehen soll.

Bei der nun flugs folgenden Enthüllungskampagne von Wikileaks geht es laut Julian Assange um Zehntausende interner Dokumente aus einer Finanzinstitution. Das klingt spannend, denn er stellt uns immerhin einen tiefen Einblick in "die heikelsten Geheimnisse eines Geldinstitutes" in Aussicht. Hoffentlich erfahren wir bei diesem großen Nachschlag deutlich pikantere Details als etwa über das seltsame Kommunikationsgebaren der ersten deutschen Politikerriege.

Die Offenlegung des Materials eröffne repräsentative Einsichten, skizziert Assange, wie sich Banken auf Managementebene verhielten, lässt sich der Gründer von Wikileaks ohne festen Wohnsitz in der Presse zitieren. Das Ziel dieser weiteren Aktion bestehe freilich weniger darin, grundsätzlich gegen den Kapitalismus zu rebellieren, sondern zum einen repräsentative Einsichtungen in das Gebaren der Finanzindustrie zu eröffnen, aber auch konkrete Untersuchungen und Reformen in die Wege zu leiten.

Mehr dazu gibt es nachzulesen etwa via Handelsblatt. Dass soziale Netzwerke jegliche "Firewall"-Funktionen der bislang hermetisch nach innen abgeschotteten Geheimniskrämerei auch in der großen Geschäftswelt aushebeln könnten, beleuchtet Forbes-Blog. Somit ist nur allzu offensichtlich, die Banken sind das nächste Ziel von Wikileaks, wie sich auf CIO.de nachlesen lässt. Dabei stellt Wikileaks mit Blick auf die Finanzindustrie definitiv kein isoliertes Einzelphänomen dar, unabhängig davon, wie man dazu inhaltlich stehen mag. Seitdem der umstrittene Ex-Fußballspieler Eric Cantona sich bei der Anti-Banken-Kampagne "Stopbanque" als prominente Speerspitze platziert hat, und dazu aufrief, Geld zum Stichtag am 7. Dezember bei der Bank abzuheben, um durchgreifende Veränderungen im Finanzsystem zu erzwingen, wird darüber in der Netzgemeinde umso heftiger diskutiert. Nachzulesen sind die Details zum kleinteiligen jedoch schleichenden "Bankencrash 2.0" etwa auf dem deutschen Ableger der internationalen Protestaktion stopbanque.blogsport.de.

Die Meinungen könnten kaum unterschiedlicher ausfallen. Räumt das Konto leer, titelte etwa vielschichtig die TAZ. Auch auf den Postings bei Facebook, Twitter und Co. kann man die ganze Bandbreite der Befürworter und Ablehner nachvollziehen. Die einen finden die Aktion völlig sinnlos und fehl geleitet, schließlich stelle sich immer noch die Frage, was mit dem Geld passieren soll, wenn der Kunde es einfach abhebt.

Was soll er dann tun, es unters Kopfkissen legen? Dennoch: Braut sich da etwa eine neue Gemengelage zusammen, die den Banken, wie weiland dem französischen Adel vor der Revolution, den Garaus machen will. Zweifellos, aus fast jedem politischen Lager gibt es derzeit Kommentare, vor allem aber nimmt die Front der Kritiker und Nörgler weiter zu.

Jenseits der meist oberflächlich geführten medialen Licht- und Schattengefechte sollte man sich jedoch vor allem mit den Veränderungen hinter der Finanzkrise beschäftigen, statt vorschnell aus der Hüfte gegen irgendwen zu feuern. Die Demonstrationen der Studierenden in London vor kurzem waren ein erstes wenngleich noch wenig konsistentes Indiz für ein verändertes Stimmungsbild.

Vor allem die gut ausgebildete Generation der unter 35-Jährigen wird nicht umhin kommen, die Spielregeln der arrivierten Entscheidungsträger, unabhängig davon, aus welcher politischen Ecke diese stammen, nicht nur in Frage zu stellen, sondern neue Wege zu beschreiten, will sie die legitimen Interessen ihrer Generation gewahrt wissen.

Denn die Akademikerkaste gehört bereits heute in vielen Ländern zu den Verlierern der Finanzkrise. Und zwar durch Entzug von Bildungschancen, den "teuren" sozialen Aufstieg, und den Wegfall von beruflichen Karrierechancen. Junge Griechen, Portugiesen, Ungarn, Iren, Briten oder Amerikaner, sie bezahlen jetzt die Zeche, nach der ausufernden Party bis zur fast völligen Bewusstlosigkeit.

Da stellt sich die Frage: Warum sollten Spielregeln für ewig gelten, die Jahrhunderte alt sind? Mit dem Internet bietet sich zwar kein allein selig machender Lösungsweg aus der geistig-moralischen Existenzkrise unserer modernen Gesellschaft. Aber das Netz ist eine nicht zu unterschätzende Machtoption, mit der vernachlässigte, kaum mehr als Randgruppen zu bezeichnende Menschenhäuflein, auf ihre besonderen Anliegen aufmerksam machen können.

Ungewollt, oder irgendwie doch auch gewollt, gibt es leichten Rückenwind immerhin von etwas nachdenklichen Protagonisten wie dem Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann. Das V-Zeichen gehört derzeit nicht mehr zu seinem Repertoire: "Wir (Banken) können in einer parallelen Welt nicht existieren", sagte er im Frühjahr auf der Hauptversammlung der Aktionäre. Die Frage ist nur, ob aus derartigen Sprüchen auch konkrete Taten resultieren.

Kreatives "Bankenhacking" über finanzielle Netzwerke etabliert sich

Da ziemlich wenig an der Frontscheibe der kundenfreundlichen Bank passiert, wächst derweil die Zahl der Netzaktivisten gegen die Bankenbranche und Finanzindustrie unaufhörlich. Die junge New Yorker Studentin Venessa Miemis etwa las der Branche kürzlich auf der Fachtagung Sibos kräftig die Leviten. Ihr Vortrag beleuchte ganz einfach die Frage, was junge Menschen der Generation um die 30 Jahre von den Banken erwarten. Zumindest jener aufgeklärte Teil der Menschheit, der den Umgang mit dem Geld neu definieren möchte.

Die Erwartungen von gut ausgebildeten Akademikern dürften jedenfalls deutlich höher sein, als sich platte Sprüche wie ein Stand-up-Comedian aus der dritten Klasse mit vorhersehbaren Pointen für das Publikum anzuhören. Ein Update und ein längeres Interview zur Entstehung und Zielrichtung des eigens für das Event fertig gestellten Kunstvideos "the future of money" gibt es via Dossierjournal.com. Und wer den Auftritt von Venessa in Amsterdam noch einmal live und in Farbe in einer kurzen Zusammenfassung studieren möchte, der wird auf Youtube fündig.

Ein weiteres kleines Beispiel und Farbkolorit, um den Trend aus Sicht der oftmals als recht vage mit "Generation Y" bezeichneten Menschen zu illustrieren. Der junge kanadische Modedesigner Paul Davis www.pauldavis.de hat sich in Berlin angesiedelt und als "Stylist" unter anderem das Szenario des Kampagnenvideos "Steuer gegen Armut" ausgestattet.

Darin geht es um die Einführung einer globalen Finanztransaktionssteuer, mit den beiden deutschen Schauspielern Jan-Josef Liefers und Heike Makatsch. Die deutsche Präsenz www.steuerngegenarmut.de ist Teil der Robin Hood Tax Campaign. Mehr dazu etwa hier.

Das "Kreativkapital" windet sich mehr denn je gegen den Strom. Wie geschieht das? Ganz einfach, die "Generation Y", oder zumindest der kreative Teil darunter, setzt längst auf "Crowdsourcing" und "Crowdfunding". Sie organisieren eigene Vergabeplattformen in der Geldbeschaffung, statt irgendwo wie ein Bittsteller zu betteln. Okay, betteln muss der Crowdfunder auch im Netz - und manche werden dies als "Peanuts-Ökonomie abtun.

Aber Crowdfunding ist der Ausdruck eines profunden Misstrauens gegen die etablierten Institutionen, weil von ihnen nichts mehr zu erwarten ist, und weil neue Wege und Werkzeuge da sind, um geschäftlichen Verbindungen über andere Wege aufzubauen, und zwar ganz einfach mit Hilfe des Internet.

Das geschieht neben dem Knüpfen eigener weit verzweigter sozialer und beruflicher Netzwerke eben auch mit Hilfe von Crowdfunding. Peer to Peer Lending ist ein weit reichendes Zukunftsmodell mit vielen Facetten. Auf seiner Kampagnenseite beispielsweise bittet Paul Davis um Unterstützung für sein neues Projekt, sprich, er möchte seine neue Modekollektion finanzieren.

Darf man somit vorsichtig die Prognose wagen, dass wir trotz Startschwierigkeiten und gewisser Ambivalenzen keine vernachlässigenswerte "Peanuts-Ökonomie 2.0? heraufziehen sehen, sondern erste Vorboten eines grundlegenden Paradigmenwandels. Oder ist all dies nur eine kurzlebige Modewelle im nur vermeintlich demokratischeren Web 2.0, das sich hernach wieder mal wie ein größerer Teil der New Economy als geistige Platzpatrone erweist?

Wohl kaum jemand dürfte derzeit eine schlüssige Antwort darauf haben. Der Treiber: Sind die etablierten Institutionen und die Entscheidungsträger in einer Altersklasse ab sagen wir mal 50 Jahren weiterhin in ihren selbst-referenziellen Wolkenkratzern gefangen, und sind sie nicht mehr in der Lage, die Kreativität von Gesellschaft und Wirtschaft zu fördern, dann werden die Jüngeren, die nach oben streben, andere Wege beschreiten, ja sogar erzwingen.

Das muss freilich keine schlechte Nachricht sein. Die Bäume wachsen sicherlich nicht in den Himmel, vor allem, weil etablierte Hierarchien in Frage gestellt sind, die freiwillig kaum Macht abgeben werden, im Sinne einer "Finanzdemokratie 2.0?. Nicht wenige werden an ihren Stühlen kleben bleiben, um die Welt weiter aus dem Heckwasser ihrer Segelyachten betrachten zu können. Aber es gibt auch andere, die den Wandel sogar begrüßen.

Wie geht es jenseits manch übertriebener "Big Brother Inszenierung" weiter mit dem Crowdfunding und Crowdsourcing? Es gibt einerseits eine überzogene Erwartungshaltung, andererseits wird der Trend unterschätzt. Dass das Internet jedoch künftig als "soziale Waffe" eine zentrale Rolle in Wirtschaft und Gesellschaft spielt, ist kaum zu übersehen.

Allenfalls Menschen, die sowieso immer an allem mäkeln, nehmen das nicht wahr. Auch in Intellektuellen-Kreisen ist das Thema trotz komplizierter Formulierungen angekommen. Philosoph Peter Sloterdijk in einem Spiegel-Essay:

Die meisten heutigen Staaten spekulieren, durch keine Krise belehrt, auf die Passivität der Bürger. Westliche Regierungen wetten darauf, dass ihre Bürger weiter in die Unterhaltung ausweichen werden…

Auch ohne divinatorische Begabung kann man wissen: Dergleichen Spekulationen werden früher oder später zerplatzen, weil keine Regierung der Welt im Zeitalter der digitalen Zivilität vor der Empörung ihrer Bürger in Sicherheit ist. Hat der Zorn seine Arbeit erfolgreich getan, entstehen neue Architekturen der politischen Teilhabe. Die Postdemokratie, die vor der Tür steht, wird warten müssen.

Peter Sloterdijk

Wer den Text zwischen den Zeilen liest und deutet, wird feststellen, dass der Gang in eine (hoffentlich) von der kollektiven Vernunft und Kreativität gesteuerte Finanzwelt kein Spaziergang sein wird. Die Einbahnstraßenkommunikation von oben nach unten soll weiter funktionieren. Denn es profitiert nur einer vom Machtgefälle zwischen Kunde und Bank. Dreimal dürfen Sie raten, wer?

Wer also mit Hilfe von selbst gestrickten oder von Dritten gesteuerten Crowdfunding-Plattformen versucht, eine produktive und kreative Zerstörung von bestehenden, aber gleichwohl ziemlich ineffizienten Verteilungssystemen in der Finanzwelt einzuleiten, etwa indem ein Mikrospender "ein Subsystem im Zentralrechner seiner Bank" einrichten möchte, der wird sicherlich nicht gerade mit offenen Armen empfangen.

Was folgt daraus abschließend? Der große Machtkampf auf Augenhöhe, zwischen dem Nutzer und dem Anbieter, er steht uns erst noch bevor. Doch zeichnen sich im Zeitalter von legalem und illegalen Social Engineering tatsächlich einige innovative Geschäftsmodelle ab. Wie denn das? Ganz einfach, jede Bank erhält zum Beispiel ein eingebettetes "Social Coding".

Schauen Sie beispielsweise mal bei der Banksimple vorbei, wo Webbetreiber und Entwickler über frei verfügbaren Quellcode künftig "die Bank" in ihre jeweiligen Applikationen einbetten können. Mehr dazu auf dem deutschen IT-Nachrichtendienst golem.de. Sicherlich werden jetzt einige Leser einwenden, auch dies ist noch keine bahnbrechende Änderung im Geschäftsmodell von Banken, sondern nur ein ganz nettes technisches Accessoire, also ein kleiner Gimmick, ein Zuckerbrot, das die neue Bank im Netz dem Kunden hinwirft, um ihn von Lockangeboten zu ködern statt von guten Produkten zu überzeugen. Das allein wäre künftig bei einem wachsenden Teil der kritischen Verbraucher sicherlich zu wenig, die zwar längst ihre Lehren aus der Finanzkrise gezogen haben, denen aber andererseits die im Härtest bereits umfassend erprobten Alternativen fehlen.

Somit fällt den sozialen Netzwerken im Wandlungsprozess in eben jener seit Jahrhunderten immer nach dem gleichen Strickmuster agierenden Finanzindustrie eine Schlüsselrolle zu. Es beginnt mit dem Protest, später folgen neue Modelle, die irgendwann auch die Mitte erreichen. Dass der Aufruf zum gewaltfreien "Bankenhacking" über das Kulturwerkzeug Internet ein vielerorts angewandtes Stilmittel bei Privatanlegern darstellt, zeigt ein abschließendes Beispiel aus Mittelamerika.

Der gehörnte Bankkunde Jean Anleu aus Guatemala beschwerte sich im vergangenen Jahr über das seiner Meinung nach korrupte Geldinstitut Banrural. Mehr noch: Er rief über den Kurznachrichtendienst Twitter offen dazu auf, Geld von der Bank abzuheben, um das Geldinstitut für die landwirtschaftliche Entwicklung "bankrott zu machen". Die Folgen: Er wurde kurzerhand wegen subversiver Tätigkeit verhaftet. Per Gesetz drohte dem nur mit Worten aufrührerischen Bankkunden Anleu eine Haftstrafe von immerhin fünf Jahren.

Die Staatsanwaltschaft begründete das in Aussicht gestellte hohe Strafmaß damit, der Angeklagte habe das öffentliche Vertrauen in das Bankensystem Guatemalas untergraben. Ende Dezember 2009 kam der Twitter-Fan mangels einer schlüssigen Beweisführung allerdings wieder auf freien Fuß. Das Recht auf freie Meinungsäußerung hatte selbst in einem Land gesiegt, wo sonst das ungeschriebene Gesetz gilt, die eigenen Worte gut auf die Waagschale zu legen, bevor sie das Licht der Öffentlichkeit erblicken.

Lothar Lochmaier arbeitet als Freier Fach- und Wirtschaftsjournalist in Berlin. Zu seinen Schwerpunkten gehören Umwelttechnik, Informationstechnologie und Managementthemen. Mit Kommunikationsabläufen und neuen Organisationsformen in der Bankenszene hat sich der Autor in zahlreichen Aufsätzen beschäftigt.

Im Mai 2010 erschien von Lothar Lochmaier das Telepolis-Buch: Die Bank sind wir - Chancen und Zukunftsperspektiven von Social Banking. Er betreibt außerdem das Weblog Social Banking 2.0.