Medien machen Geschichte(n)

... und werden selbst Geschichte

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Wir schreiben das Jahr 2010 nach Christi Geburt. Es ist Dezember, ganz Europa liegt im Schnee. Ganz Europa? Nein. Ein kleines europäisches Land am Südzipfel versinkt in Abfall und Chaos. Gehört Hellas nicht mehr zu Europa?

Dass nicht alles, was in den Medien erscheint die tatsächliche Wahrheit wiedergibt, ist bekannt. Aber welchen Sinn ergibt eine europaweit in Klischees gepresste Einheitsberichterstattung ohne Hintergrundeinblicke? Europäische Politik wird zurzeit nicht nur von Banken und Fehler von zögernden Politikern bestimmt, auch Medien haben eine Rolle im Desaster.

Heißer Winter in Hell-Ass

Eine Temperatur von 27 Grad Celsius während halb Europa friert. Das. klingt gut, wäre Athen und nicht nur Athen nicht seit Wochen voll stinkendem und ob der Temperaturen intensiv verfaulendem Müll. Je höher die Temperatur steigen umso intensiver breitet sich der Geruch aus. Am Freitag soll es 29 Grad warm werden. Die Griechen verzweifeln mal wieder und internationale Agenturen beschränken sich auf Halbwissen. In zwei Absätze gepackt, verwischen sich sämtliche Hintergründe des Geschehens. Es gilt medial ein Schwarzweißbild aufrecht zu erhalten. Hier die bösen Pleitegriechen dort die armen verprellten Iren.

"Too many chiefs, no indians" würde ein analytisch denkender Engländer über den griechischen öffentlichen Dienst sagen. Er hätte Recht, denn von den 1,2 Millionen Beschäftigen verrichten nur die wenigsten produktive Arbeit. Doch liegt es nicht nur an den Arbeitnehmern, sondern eher an sich widersprechenden Vorschriften und einem irrwitzigen Dienstrecht. Aber zweifelsohne müssen Menschen entlassen werden. "Vielleicht sollte es mal all die Berater treffen, die im Volksmund Golden Boys genannt werden" fragt sich Herr Petrou, Bildhauer aus Athen. Wer kurz durch Athener Straßen zieht entdeckt leicht, dass einige immer noch feiern während die Lage für die meisten anderen immer schlimmer wird. Premierminister Papandreous Beraterheer vergrößert sich nahezu täglich, die Zahl der Arbeitlosen und Armen ebenso.

In der Tat wird in griechischen Medien regelmäßig darüber berichtet, dass es "Putzfrauen", oder auf der Lohnliste als solche geführte, mit 3500 Euro Monatsgehalt gibt, dass greise Rentner als Berater von Regierungsstellen ein Salär von 100.000 Euro und mehr per anno einstreichen. Erst am Donnerstag wurde entdeckt, dass der Reeder Apostolos Ventouris jahrelang als Schiffsjunge auf eigenen Schiffen diente. Wie der Mann es dabei anstellte, gleichzeitig im vergangenen Oktober in Athen eine Pressekonferenz zu geben und gleichzeitig irgendwo in der Adria Kabinen zu säubern bleibt unklar. Faktum ist jedoch, dass er mit seinem nun aufgeflogenen Trick unter anderem Versicherungsgelder und Rentenanwartschaften kassierte. Es gibt also durchaus eine Reihe von Zeitgenossen, die über Mittel und Wege verfügen, sich auf Kosten der Allgemeinheit zu bereichern. Strafen brauchen diese Menschen nicht zu fürchten. Keiner der Politiker, die in Bestechungsskandale verwickelt sind, muss um seine Freiheit fürchten. Es gibt ein eigens für sie eingerichtetes verfassungsmäßig verankertes Amnestiegesetz.

Diese relativ kleine Gruppe wird bei Auslandsberichterstattungen gerne auf die Gesamtheit der Bürger übertragen und fertig ist das Bild vom feiernden Pleitegriechen. Cui bono? Wem nützt das, könnte man fragen, müsste aber nicht sehr lange nach einer Antwort suchen. Solche Geschichten fördern den Populismus. Populismus verkauft sich in Zeiten von online frei erhältlichen Videos pornographischen Inhalts fast besser als das einst übliche "Sex and Crime" Schema.

Populistisch ausgenutzt wird zum Beispiel in Hellas selbst die Tatsache, dass sowohl in den staatseigenen Eisenbahnbetrieben als auch beim Wettspielmonopolisten OPAP die meisten der Spitzenverdiener aus den Reihen der Regierungspartei PASOK stammen. Schließlich regierte die PASOK seit 1981 insgesamt knapp zwanzig Jahre lang. Dieses Mal ist die oppositionelle Nea Dimokratia moralischer Nutznießer. Bei anderen Affären lief es anders herum. Statt den Kern des Problems zu behandeln, nutzt die jeweilige Gegenseite den Nepotismus der anderen Seite als Aufmacher.

Die Quadratur olympischer Kreise

Gezielt gestellte Fragen auf einer Pressekonferenz am vergangenen Donnerstag ließen deshalb auch PASOK-Finanzminister Papaconstantinou verzweifeln. "Mit welchem harten Kern der PASOK soll ich mich denn zuerst beschäftigen" kommentierte er. Es ist nicht leicht, einer der meistgehassten Menschen Griechenlands zu sein. Es ist aber auch fast unmöglich, das selbst mit angerichtete Chaos zu beseitigen.

Da es wegen eines Verfassungszusatzes bei der ministeriellen Beschäftigung mit unproduktiven Arbeitnehmern keine Beamten erwischen kann, entließ Innenminister Ragoussis zunächst, Papaconstantinous quantitative Vorgaben erfüllend, sämtliche öffentlich beschäftigte Zeitarbeiter, also auf Arbeitsstundenbasis bezahlte Hilfskräfte. Darüber hinaus werden befristete Arbeitsverträge nicht mehr verlängert. Die IWF-Wirtschaftsweisen preisen solche Maßnahmen als notwendig, die Auslandspresse findet sie mutig und konsequent. Man sieht den Premier in seiner Politik bestätigt, weil er bei einer Regionalwahl mit 60 Prozent Wahlverweigerung eine relative Mehrheit erreichen konnte. Die regierende PASOK verlor bei den Wahlen mehr als eine Million ihrer Stammwähler. "Weiter so" feierte die ausländische Berichterstattung.

Ergo gilt es nun nach dreißigprozentigen allgemeinen Gehaltskürzungen im Mai, den öffentliche Dienst den IWF-Vorgaben gemäß gesundschrumpfen. Der IWF gab den Hellenen eine Frist von 100 Kalendertagen - 33 parlamentarischen Arbeitstagen - innerhalb derer eine Unmenge von Restrukturierungsmaßnahmen vollzogen werden muss, sonst gibt es keine 4. Rate des Stützungskredits. Sieben Arbeitstage sind bereits vorbei - außer dem allgegenwärtigen Chaos sind besondere Ergebnisse noch nicht zu vermelden.

So muss nach IWF Vorgaben die staatliche ATE-Bank, irgendwie von der Bildfläche verschwinden. Aber 700 bereits über öffentliche Prüfungsverfahren aus der Vergangenheit bereits als Einstellungsanwärter feststehende Griechen haben ein einklagbares Anrecht auf Verbeamtung bei der ATE erworben. Nun wird gerätselt, wo man die alten und die zusätzlichen neuen Banker sonst im Staatsdienst einsetzen könnte.

Vielleicht empfängt Sie bei Ihrem nächsten Griechenlandurlaub ein betriebswirtschaftlich ausgebildeter und staatlich als perfekter Banker zertifizierter Zöllner. Ob dieser dann sein Handwerk "produktiv" beherrscht ist eine andere Frage. So läuft es jedoch seit Jahren ab. Privatisierte Staatsbetriebe schieben ihre ehemaligen Arbeitnehmer in den sich dadurch aufblähenden öffentlichen Dienst ab. Selbstverständlich bleiben Besoldungsklassen und Dienstgrad auch bei der neuen Stelle erhalten.

Ende März 2011 ist allerdings seitens des IWF tabula rasa angesagt. Selbst ohne prophetische Fähigkeiten kann man bei Kenntnis der Begleitumstände und den Milchmädchenrechnungen, getrost am Erfolg der bis dahin praktisch durchführbaren Aktionen zweifeln.

Ehrungen in Hülle und Fülle für die Beharrlichkeit, mit Vollgas an eine Betonmauer zu fahren

Nichtsdestotrotz stützt die internationale Presse weiterhin den Kurs der griechischen Regierung. Papandreou wurde kürzlich einmal wieder als großer Denker geehrt. Nach der Quadriga gab es diesmal die Aufnahme in den elitären Kreis der Foreign Policy Liste der globalen Vordenker, und zwar auf Platz 79. Kaum jemand denkt daran zu erwähnen, dass der nun international als Retter gefeierte Politiker bereits seit 1981 in der griechischen Politik auf verantwortungsvollen Positionen mitmischt. Kann ein Politiker, der entweder dreißig Jahre lang einem maroden System diente oder aber den gleichen Zeitraum lang nicht merkte, was alles um ihn herum schief lief, ein vorausschauender Denker sein? Nach Meinung der Foreign Policy Redaktion ist dies möglich.

Doch, was gemäß des Denkers Theorien auf dem Papier klappen sollte, versagt in der Praxis. So fehlen an allen Ecken und Enden Arbeitskräfte. Dies gilt insbesondere für arbeitsintensive Planstellen wie bei der Müllabfuhr. Grund für die vom Abfall überfluteten Straßen Athens ist aktuell leider kein Streik es fehlen schlicht 22 Planstellen auf der zentralen Abfalldeponie. Die acht verbliebenen angestellten können den angelieferten Müll der Fünfmillionenstadt nicht zeitgerecht bewältigen. Gesetzlich vorgeschrieben darf neuerdings auch bei dringendem Bedarf kein Ersatz eingestellt werden. Überstunden werden aufgrund des Sparwahns ebenfalls nicht bezahlt - also macht sie auch keiner mehr freiwillig. Wie aber kann ein unkündbarer öffentlicher Angestellter in einem demokratischen Staat zu unbezahlter Mehrarbeit gezwungen werden?

In Folge dessen stehen Müllwagen der personell um mehr als 30 Prozent verringerten Müllfahrereinheit bis zu fünf Stunden in der Warteschlange. Somit sind kaum zwei Fahrten pro Schicht möglich. Nur 50 Lastwagen sind derzeit einsatzbereit. Denn zum allgemeinen Unwohl kommt, dass viele Spezialfahrzeuge in den Großstädten schlicht nicht fahrbereit sind. Es fehlt an Ersatzteilen aber auch an einer gesetzlichen Regelung wie diese in IWF Zeiten zu bestellen sind. Denn, so antwortete ein Städtereinigungsbeamter Athens, der namentlich nicht genannt werden wollte am Telefon, "nach den neu geltenden Regeln müssen wir jedes Jahr im Voraus im Etat verzeichnen, welche Ersatzteile benötigt werden. Wie aber sollen wir voraussehen, was kaputt gehen kann? Das ist pervers!"

In Thessaloniki sind im Gegensatz zu Athen noch ausreichend Angestellte im Deponiebetrieb beschäftigt. Leider sind dort relativ viele Fahrzeuge außer Betrieb. Dementsprechend stapelt sich auch in der nordgriechischen Hafenstadt der Abfall.

Gleichzeitig dürfen die Bürger bei sinkenden Löhnen höhere Gebühren für die nicht erbrachte Leistung zahlen. Im Tenor ausländischer Medien ließt sich dies als "notwendige Strukturmaßnahmen zur Steigerung der Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit".

Die neueste Strukturmaßnahme betrifft den öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Dort werden streng nach Vorgabe, nicht beamtete Mitarbeiter entlassen, Verkehrslinien auch bei voller Auslastung mangels Personal eingestellt, natürlich Beratungsgremien mit externen Spezialisten, die über die mangelnde Produktivität forschen und referieren dürfen, gegründet und die Preise für Tickets zunächst um 30 Prozent erhöht. Wie der überlastete Großstadtverkehr Athens die neue Wettbewerbssteigerung überstehen soll ist noch unklar. Denn immer wieder werden Ampelanlagen mangels Ersatzteilen stillgelegt. Selbst kleinste Wege in der City werden so zum Abenteuer. Entweder muss man sich durch Abfallberge auf unpassierbaren Bürgersteigen kämpfen, in überfüllte Busse pressen oder aber selbst zum Verkehrsstau beitragen.

Neue Serviceverträge mit dem bisherigen Technikmonopolisten Siemens werden aufgrund des immer noch nicht abgeschlossenen Korruptionsskandals nicht unterzeichnet. Die personell an vielen arbeitsintensiven Stellen (Gerichtsschreiber, Büropersonal) unterbesetzte Justiz ist nicht in der Lage, Verfahren zügig zu bearbeiten. Mediale Kritik an der griechischen Justiz ist in Hellas fast Gotteslästerung und wird, erstaunlich flink, von den Kritisierten verfolgt. Was nicht in hellenischen Medien steht findet jedoch kaum den Weg zu Nachrichtenagenturen. Somit bleibt dem Ausland eine der Hauptursachen des neugriechischen Dramas verborgen. Ohne funktionierende Justiz kann kein Wirtschaftssystem existieren. Kein Rechtsstaat kann ernsthaft Korruptionsbekämpfung propagieren, wenn die Korruption de facto straffrei bleibt und durch eine schlecht organisierte Verwaltung mit verursacht wird. Eventuell könnte eine extensive Berichterstattung im übrigen Europa dieses Problem mehr in den Vordergrund schieben.

Medialer Neusprech

Würde all dies bei den Agenturberichterstattern zu Hause passieren, dann würde die Schlagzeile wahrscheinlich lauten: "Unsinnige Schildbürgerstreiche sparwütiger, unfähiger Verwaltungshengste". Dessen bewusst sind sich auch die griechischen Politiker. Tagelang war kein Verantwortlicher der Abfallbehörden zu einer Stellungnahme erreichbar.

"Er ist in einer Sitzung" lautete die Standardantwort freundlicher Vorzimmerdamen. Unter Journalisten kursiert deshalb die witzig gemeinte Frage, ob "Sitzung" ein neuer Euphemismus für "rennt verzweifelt herum und sucht nach einem Ziel für seine Flucht" sein könnte. Nur langsam können sich hellenische Reporter an neue Sprachbegriffe gewöhnen.

Schließlich mussten sich die griechischen Pressevertreter bereits belehren lassen, dass es keine Steuererhöhungen gäbe. Es sei Panikmache und presserechtlich unverantwortlich so etwas zu schreiben, ließen Regierungsmitglieder die Parlamentskorrespondenten wissen. Denn, im hellenischen politischen Neusprech existiert das Wort Steuern offenbar nicht mehr, es handelt sich vielmehr um "soziale Solidaritätsabgaben". Auch die Altersrenten wurden nicht gekürzt sondern "gesichert". Stets vom IWF geforderte weitere Einschnitte ins Wirtschaftsleben stellen keine neuen Maßnahmen der Regierung dar, es sind - O-Ton Papaconstantinou - "Aktualisierungen der im April beschlossenen Verträge". Der genaue Inhalt der Verträge ist der griechischen Öffentlichkeit auch mehr als ein halbes Jahr nach Unterzeichnung nicht bekannt. Einheimische Regierungsparteiparlamentarier nutzen dies in dem sie versuchen sich beim Wahlvolk zu entschuldigen indem sie angeben, dass sie das angeblich 3400 Seiten starke Vertragswerk vor der parlamentarischen Abstimmung gar nicht lesen konnten. "Wir wussten nur, dass wir Geld brauchen, um die Renten zu sichern" lautet der Tenor.

Liebend gerne greifen ausländische Medien solche Verlautbarungen auf und würzen sie mit Extrembeispielen von überaus gut versorgten Frührentnern auf. Über die im Abfall nach Nahrung suchenden 450-Euro Rentner berichtet dagegen niemand. Den Verkaufszahlen kommt dies offenbar zu Gute. Vergessen wird auch, dass die Hilfskredite nicht in Rentenkassen wandern, sondern ältere fällig gewordene Kredite ablösen.

Griechische Medien, die sich diesem Diktum anpassen können allerdings nicht auf eine gute Zukunft hoffen. Zwar klappt es nach Sprachanpassung mit den Terminen für Politikerinterviews besser, aber lesen will so etwas kaum jemand, geschweige denn für solche Zeitungen auch noch zu bezahlen. Die Leser laufen davon und wenden sich neu erschienen Blättern oder Internetblogs zu.

So ergeht es derzeit dem traditionellen To Vima. Die einst sehr angesehene Zeitung musste ihre tägliche Ausgabe einstellen. Lediglich die Wochenendausgabe, wegen ihrer zahlreichen Beigaben auch "sperrigste DVD-Hülle der Welt" genannt, soll weiter bestehen. Kioskbesitzer berichten vermehrt von Käufern, die direkt nach Erwerb des Blattes und seiner Konkurrenzprodukte, die beigelegten CDs und DVDs aus der Verpackung reißen und den Rest der Zeitung auf dem nächstliegenden Abfallhaufen deponieren.

Konkurrenten von "To Vima" wie der Medienmogul Bobolas können sich ihre Regierungsfreundlichkeit noch leisten. Denn Bobolas besitzt ua neben der Zeitung To Ethnos und Anteilen am Privatsender Mega TV mit seinem Bauunternehmen ein beinahe Monopol für öffentliche Aufträge, einen ausreichendes Aktienpaket der Rohstoffförderfirmen im Land und Anteile an Griechenlands jüngst privatisierten Fernstraßen.

Unbezahlbare Mobilität

Im Land der Pleitegriechen mit den auf den Bruttolohn bezogenen zweithöchsten Sozialabgaben Europas gibt es neben der höchsten Inflationsrate (aktuell knapp 6 Prozent) auch die höchsten Mautgebühren Europas. So liegt die Stadt Katerini etwa 60 km südlich von Thessaloniki. Menschen, die in Katerini leben und in Thessaloniki arbeiten müssen für den Straßenverkehr eine Maut zahlen: 2,90 Euro für die Hin- und 2,90 Euro für die Rückfahrt. Mehrfachbenutzungsrabatte oder Jahreskarten gibt es nicht.

Das sind bei durchschnittlich 20 Arbeitstagen 1.344 Euro für eine Straße, die seit mehr als 40 Jahren "gebaut wird". Alternativwege, sind nicht nur beim Beispiel Katerini kaum vorhanden. Die Pleitegriechen zahlen seit Generationen für ein im Bau befindliches Autobahnnetz.

Ein Schweizer zahlt hingegen 31,00 Euro, ein Tscheche 47,00 Euro und ein Österreicher 76,20 Euro pro Jahr für bereits existierende Straßen und dies für eine landesweite Nutzung. Die Hauptsstrecke Athen-Thessaloniki kostet 23 Euro/Fahrt. Die ebenfalls vorhandenen griechischen Kraftfahrzeugsteuern sind höher als in Deutschland (so kostet ein Smart fortwo in Hellas 12 Euro pro Jahr mehr an Steuern, bei höheren Kubikzahlen steigt die Belastung exponentiell. Ein Fiat Seicento erfordert Steuern von ca. 280 Euro - je nach Baujahr und trotz KAT + Euronorm). Dem griechischen Verkehrsministerium ist es personell nicht möglich, eine das Abgasverhalten einzelner Modelle erfassende Datenbank zu erstellen. Sprit ist ebenfalls durchschnittlich 15 Prozent teurer als in Deutschland (aktuell zwischen 1,48 und 1,65 Euro pro Liter bleifreiem Normalbenzin).

Die Straßenbenutzungsgebühr kommt jedoch nicht dem klammen Staat zu Gute. Sie fließt in die Kassen Bobolas aber auch in die Bilanzen des Mehrheitsaktionärs HochTief. Mehr als 40 Prozent verteuerte sich die Maut nachdem HochTief 2008 in die Straßenprivatisierung einstieg. Die Normalbürger fühlen sich mehr als ausgenommen. HochTief wundert sich derweil in seinem Geschäftsbericht über sinkende Verkehrszahlen.

Die Auslandspresse und Finanzexperten rätseln derweil, warum die Preise im Land bei sinkender Konsumnachfrage so rasant steigen. Auf die Idee dass, außer der vierprozentigen Mehrwertsteuererhöhung, dem 50 Eurocent Aufschlag auf die Mineralölsteuer, diverser Unternehmensteuererhöhungen und Sondersteuern auch die LKW-Mautgebühren über den Transportpreis auf die Konsumgüterpreise aufgeschlagen werden, kommt kaum jemand.

Gemeldet wird schlicht, dass der Staat seine Verpflichtungen nicht eingehalten habe. Aktuell werden deshalb seitens der EU neue "Sparmaßnahmen" gefordert, somit soll die Abgabenlast der zehn Millionen Hellenen um weitere vier Milliarden Euro steigen.

Organisierte Bürgerinitiativen "überfallen" daher regelmäßig die Stationen und öffnen die Schranken für mehrere Stunden für die Allgemeinheit. Die Polizei greift bei solchen Aktionen (wie im Videolink ersichtlich) nicht ein. Ebenso untätig bleiben die Ordnungshüter bei Mautprellern. Es fehlt halt an Personal, das den notwendigen Schriftverkehr bearbeiten könnte. Hier müssen die privaten Firmen den zivilen Klageweg einschlagen. Je nach Ausdauer der Beklagten kann dies mehrere Jahre dauern, zumal die schnellstmöglichen ersten Verhandlungstermine frühestens nach sechs Monaten möglich sind.

Dass griechische Medien nicht über solche Aktionen berichten erscheint den Hellenen logisch. Denn die Verwicklung von Medien und Bauunternehmerinteressen ist zu offensichtlich. Den gleichen Schluss ziehen einige mediale Verschwörungstheoretiker aus dem Schweigen des Auslands. Insbesondere gegen Deutschland steigt der Argwohn. Als Konter für die "Pleitegriechen" verkauft sich deshalb streng nach dem Motto "Populismus predigen heißt Geld verdienen" die Mär vom 4. Reich.

Bereits im Frühjahr waren deutsch-griechische Verstimmungen ersichtlich. Vergleiche mit der aktuellen IWF-EU Diktate Naziherrschaft gelten zurzeit in nahezu allen griechischen Medien als politisch korrekt. Dieser innenpolitische Druck führte sogar dazu, dass der sonst Deutschlandfreundliche Premier Papandreou scharfe Kritik am politischen Kurs Angela Merkels übte.

In diesem Fall konzentrieren sich die griechischen Medien auf eine populistische Berichterstattung. Der Grieche erfährt, dass der strenge EU-Währungskommissar Olli Rehn dem Staat einen Aufschub der Kreditrückzahlung um sechs Jahre gewährt. Er hört: "Auch die bösen Jungs vom IWF stimmen zu. Nur Bundeskanzlerin Angela Merkel sträubt sich".

Über Einschnitte im sozialen System Deutschlands und die Probleme deutscher Arbeitnehmer erfahren die meisten Griechen nichts. Viel diskutiert wird deshalb in Talkshows die Tatsache, dass vor allem deutsche Banken von einem hellenischen Staatsbankrott getroffen würden. Fast erscheint den unter steigender Abgabenlast und Armut leidenden Griechen solch eine Entwicklung wünschenswert. Welche Auswirkungen eine Staatspleite samt Eurocrash auf das alltägliche Leben aller Europäer hätte, darüber berichtet kein Medium.

Es stellt sich die Frage, ob wir nach der Finanzkrise eine neue Yellow-Press Ära erleben. Verursacht werden beide Phänomene jedoch durch ein menschliches Laster, der Gier. Der Gier nach Geldgewinnen und der Gier nach Auflage.

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