US-Regierung listet die für das nationale Interesse kritische Infrastruktur im Ausland auf

Wikileaks veröffentlicht ein Geheimdokument, das für die Ausrichtung der Geopolitik der US-Regierung durchaus interessant ist

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Interessant ist nicht so sehr, dass sich die US-Regierung auch um den Schutz physischer und virtueller kritischer Infrastruktur im Ausland sorgt, sondern eher, um welche Einrichtungen es sich handelt und wo sich diese befinden. Unter der Leitung des US-Heimatschutzministeriums wird so der National Infrastructure Protection Plan (NIPP) erstellt, durch den kritische Infrastruktur und Schlüsselressourcen (CI/KR) vor Angriffen und Naturkatastrophen besser geschützt werden sollen. Im Rahmen dieses Plans wird in Zusammenarbeit mit dem Außenministerium auch eine entsprechende CI-KR-Liste im Ausland erarbeitet.

Über Wikileaks ist nun die Liste für das Jahr 2008 bekannt geworden, die die Mitarbeiter des US-Außenministeriums für die Erstellung der Liste für das Jahr 2009 überarbeiten und ergänzen sollten. Das Dokument ist als geheim klassifiziert, Ausländer sollen sie nicht sehen dürfen, was sie jetzt allerdings neugierig machen. Dabei soll es um kritische Infrastruktur und Schlüsselressourcen gehen, deren Zerstörung, Störung oder Ausbeutung vermutlich "unmittelbare und schädliche Folgen für die USA" haben werden, genannt werden öffentliche Gesundheit, wirtschaftliche Sicherheit und nationale sowie innere Sicherheit der USA.

Zwar hat die britische Times diese Liste dramatisch als "targets of terror" benannt, aber es geht dabei nicht nur um mögliche Terrorangriffe, sondern vor allem um Handel, bestimmte Bodenschätze oder Produkte. Die Liste macht vor allem deutlich in welchem Ausmaß sich die USA weltweit verankert sieht, was auch heißt, wo sie womöglich nicht nur diplomatisch oder wirtschaftlich intervenieren, sondern auch durch Aktionen der Geheimdienste oder militärische Interventionen ihre Interessen durchsetzen könnte oder sie zumindest bedroht sieht. Und hochinteressant wäre selbstverständlich, wenn wir als deutsche Bürger wüssten, ob es ähnliche Listen auch in Deutschland gibt, nachdem die militärische Strategie der Bundesrepublik und der EU auch die Sicherung wirtschaftlicher Interessen, insbesondere der Rohstoffzufuhr, umfasst.

Die Veröffentlichung der Liste, auf der ausdrücklich nicht die im Ausland befindlichen US-Einrichtungen wie Botschaften oder Stützpunkte aufgeführt werden sollen, könnte nun auch möglichen Terroristen oder Aufständischen dazu dienen, nach nicht nur lokal, sondern auch international "lohnenden" Zielen zu suchen und damit vielleicht auch Leben zu gefährden, was man Wikileaks immer vorgeworfen hat. Das freilich ist eher unwahrscheinlich. Zudem sollten 2009 nur CI/KR aufgelistet werden, die direkt die USA beeinflussen können, während man dieses Mal, wie es heißt, "Folgen der zweiten Ordnung" nicht berücksichtige, was bedeutet, dass man dies zuvor unter der Bush-Regierung noch gemacht hat. Dann wäre die Sicherheit auch der USA auch gefährdet, wenn etwa "öffentliche Moral und öffentliches Vertrauen" beeinträchtigt und sich aufschaukelnde Wechselwirkungen aus einer Störung berücksichtigt würden.

Aber auch so dürfte die Liste, wie immer sie auch noch bearbeitet wurde, Unruhe hervorrufen. Angeführt werden drei Kategorien:

  1. "direkte physische Verbindungen (z.B. Pipelines, Untersee-Telekommunikationskabel und Einrichtungen in der Nähe der US-Grenze, deren Zerstörung zu grenzüberschreitenden Folgen wie Schäden an Dämmen oder Chemiefabriken führen kann.
  2. nur oder überwiegend aus einem anderen Staat stammende Güter und Dienste (z.B. für die US-Industrie wichtige Mineralien oder Chemikalien, ein wichtiges Endprodukt, das in einem oder nur wenigen Staaten hergestellt wird.
  3. kritische Versorgungsknoten (z.B. die Straße von Hormus oder der Panamakanal, aber auch alle Häfen oder Schiffslinien in dem Staat, die für das Funktionieren der globalen Versorgungskette wichtig sind)."

Die Liste ist lange, eine Begründung findet man nicht, außer den oben angeführten allgemeinen Kriterien. In Afrika sieht man vor allem Minen und Rohstoffe wie Cobalt, Mangan oder Bauxit bedroht. Im Pazifik werden zahlreiche Unterseekabel aufgeführt, als gefährdet sieht man vor allem die Orte, an denen sie aufs Land kommen. Daneben natürlich auch wieder Minen, in Australien zudem beispielsweise die Fabrik, in der das Hypnotikum Midazolam herstellt wird. In Österreich gehören die Baxter AG und Octapharma aufgrund der intravenöser Immunglobuline zu den kritischen Ressourcen, das trifft auch für Glaxo Smith Kline in Belgien zu, das Keuchhusten-Impfstoff herstellt, oder für dänische Pharmafirmen, die Insulin oder Pockenimpfstoff produzieren. Neben vielen Pharmafirmen sind auch in Europa wieder vor allem die Endstellen von Seekabeln, die die USA im Auge haben.

In Deutschland gelten deswegen Sylt und Norden als Orte mit kritischer Infrastruktur. Überhaupt ist Deutschland ebenso Europa vor allem als Standort für die Rüstungs- und Pharmaindustrie interessant. BASF in Ludwigshafen wird als weltweit größter Chemiestandort hervorgehoben, Siemens in Erlangen als Hersteller unersetzbarer Chemikalien, Dräger Safety in Lübeck sei kritisch wegen seiner Gaswarnanlagen. Bei Junghans Microtec in Dunningen-Seedorf (Mörser) oder TDW - Gesellschaft für verteidigungstechnische Wirksysteme – (Lenksysteme für Patriot-Raketenabwehrsystem) sieht man die Bedeutung der deutschen Rüstungsindustrie. Siemens oder GE werden wegen Transformatoren oder Generatoren genannt, ansonsten werden hier auch vor allem Pharmafirmen wie Sanofi Aventis in Frankfurt (Insulin), IDT in Dessau Roßlau (Pockenimpfstoff), Novartis in Marburg (Tollwutimpfstoff) oder Biotest in Dreieich (automatischen Blutgruppendiagnostik TANGO) aufgeführt.

Im Nahen Osten findet man den israelischen Rüstungskonzern Rafael, die Seefahrtsroute bei Dschibuti, Häfen am Suez-Kanal, die Straße von Hormus, in Kuwait den Hafen, Ras Laffan und weitere Anlagen in Katar ("bis 2012 wird Katar der größte Importeur von Flüssiggas in die USA"), der irakische Erdölhafen in Basra und natürlich Erdölanlagen in Saudi-Arabien, wie die weltgrößte Ölanlage in Abqaiq.