Bürgerwille: Null Euro für den Klimaschutz?

Fragwürdiges "Experiment" beim Institut des obersten Wirtschaftsweisen Wolfgang Franz

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Für eine "substanzielle und kostspielige Klimaschutzpolitik" existiere keine politische Mehrheit: Das ist das Ergebnis einer Studie des einflussreichen Zentrums für europäische Wirtschaftspolitik (ZEW). Doch die Studie ist hochgradig fragwürdig. Teilnehmer wurden mit einer Aufwandsentschädigung zu einem "Experiment" gelockt. Das versprochene Geld konnten sie in einer Art Glücksspiel verlieren – was die meisten Probanden nachvollziehbarerweise vermieden.

The Demand for Climate Protection, die "Nachfrage nach Klimaschutz", so ist eine in unlängst veröffentlichte Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung überschrieben. Sie basiert auf einem – so die Studie: – "Experiment" mit 202 Teilnehmern. Gelockt wurden sie – Obacht! – mit der Aussicht auf eine "Aufwandsentschädigung" von 40 Euro.

Die Spielregeln des "Experiments" sind durchaus verwirrend. Zunächst wurden die Teilnehmer im Schnelldurchlauf über solch komplexe Themen wie den Klimawandel und das EU-Emissionshandel-System informiert. Schließlich durften sie selbst spielerisch an diesem Handel teilnehmen: Es wurden ihnen fünf Preise genannt, die Spanne reichte von 50 Cent bis 5 Euro. Der Proband musste angeben, wie viele "Einheiten" Klimaschutz er zum jeweiligen Preis kaufen würde - mit seinem "eigenen Geld", maximal jedoch für 40 Euro. Am Schluss wurde dann der tatsächliche Preis ausgelost.

Die meisten Teilnehmer dürften nur "Bahnhof" verstanden haben. Klar war immerhin: Dem Probanden sollte der entsprechende Betrag faktisch von den versprochenen 40 Euro abgezogen werden. Man nahm also teil an einer Art Glücksspiel. Bei dem konnte man Geld verlieren, es sei denn, der (Wett-)Einsatz lag bei Null. Zu gewinnen gab es nichts. Und dann war da auch noch dieser dezente Hinweis: "Es gibt keine Pflicht zum Kauf."

Das Ergebnis des Experiments wird in einer Pressemitteilung zusammen gefasst: "Sehr interessant ist ... die Beobachtung, dass gut 60% der Teilnehmer eine Zahlungsbereitschaft von Null Euro aufwiesen." Daraus leiten die Forscher ab: "Wenn die Mehrheit entscheidet", heiße das "0 Euro für den Klimaschutz". Doch damit nicht genug: "Das bedeutet, dass für eine substanzielle und kostspielige Klimaschutzpolitik letztlich keine politische Mehrheit existiert."

Weit reichende Aussagen – und das auf Basis einer Befragung, die ihren mit Geld gelockten Teilnehmern einen klaren finanziellen Anreiz bot, eben nicht "für den Klimaschutz" zu votieren. Im Schnitt boten die Probanden übrigens 12 Euro für die rein virtuelle Vermeidung einer Tonne Kohlendioxid – was immerhin 30 Prozent der Aufwandsentschädigung entspricht.

Nun mag man das "Experiment" für lachhaft halten. Doch ist das ZEW durchaus einflussreich. Das Zentrum betreibe "Politikberatung auf Basis exzellenter Forschung", schwärmt Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus, CDU. ZEW-Präsident Wolfgang Franz ist zugleich Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, also die Nummer eins der fünf "Wirtschaftsweisen". Franz war bis 2009 Mitglied im Kronberger Kreis ("Mehr Mut zum Markt").

Wie teuer es tatsächlich ist, den Ausstoß einer Tonne Kohlendioxid zu vermeiden – diese Frage lässt sich nicht einfach beantworten. Erste Investitionen rentieren sich noch finanziell. Doch je mehr Tonnen eingespart werden, desto teurer wird der Preis pro Tonne. Am Schluss wäre ein Börsenpreis von 70 Euro angemessen, so der wissenschaftliche Konsens, sofern man auch die letzten Prozente des EU-weiten Ziels erreichen will. Das lautet: 80 Prozent bis zum Jahr 2050.