E-Postbrief verschafft 1 Million Anwendern "gefühlte" Rechtssicherheit

Offener Brief an den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post DHL

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Lieber Dr. Dipl. Chem. Frank Burkhard Bernhard Appel,

in Ihrer neurologischen Promotionsarbeit zur „Importance of the immunoglobulin-like domains and the fibronectin type III homologous repeats of the neural cell adhesion molecule L1 for neurite outgrowth, cell body adhesion and signal transduction“ an der ETH Zürich beschäftigen Sie sich mit der Signalübertragung in Zellen. Aus Sicherheitsgründen wird an die Übertragung von Signalen eine Reihe von Forderungen gestellt:

  1. So müssen Sender und Empfänger z.B. eindeutig identifiziert werden,
  2. der Sender muß sicher sein können, dass die Signale tatsächlich beim Empfänger ankommen,
  3. der Empfänger wiederum muß die Gewissheit haben, dass er alle Signale sämtlicher Sender erhalten hat.
  4. Und – auch ganz wichtig: Die Signale müssen unverfälscht übertragen werden – auch eine Anreicherung durch Viren und andere Schädlinge ist nicht wünschenswert.

Kurzum: Eine komplexe Geschichte! Da sind Sie ja bei der Deutschen Post DHL richtig gelandet. Die stellt nämlich aktuell einen „Anspruch“ - und zwar an sich selbst!:

Wir wollen die Post für Deutschland bleiben und das Logistikunternehmen für die Welt werden. Wir wollen unsere Kunden, Mitarbeiter und Investoren erfolgreicher machen - ohne Kompromisse bei den Resultaten.

Also statt Signale in Zellen transportieren Sie Briefe in Postautos – und das vor dem Hintergrund des genannten Anspruchs! Sehr löblich!

Die Sache mit den Ansprüchen war ja in Ihrem Haus schon mal anders: Ihr Vorgänger Klaus Zumwinkel stellte Ansprüche vor allem an Andere – etwa um seine Pension in Höhe von 20 Millionen Euro zu bekommen. Angesichts eines Vermögens in Höhe von 13 Millionen und Ermittlungen wegen diverser strafrechtlich relevanter Vorwürfe wegen Spitzelei ein bemerkenswerter Vorgang.

„Living Responsibility“

Die Zeiten der Spitzel und Strolche bei der Post jedenfalls sind ein für allemal vorbei – heute regieren Werte im Bonner "Post Tower", wie Sie in Ihrem Vorwort an die „Lieben Leserinnen und Leser“ deutlich machen:

Die Strategie 2015 untermauert unser weltweites Engagement für nachhaltige Entwicklung. Wir möchten unsere langfristigen Geschäftsziele erreichen und dabei gleichzeitig die Umwelt schützen, einen Beitrag für die Gemeinschaften leisten, in denen wir arbeiten, und unseren Mitarbeitern attraktive Karrieremöglichkeiten eröffnen. Wir nennen diesen Ansatz „Respekt und Resultate“; er ist das Leitprinzip von Deutsche Post DHL.

Ihrer Internetseite zufolge gehören zu dieser Strategie auch die „Living Responsibility“, die „People Strategy“, die „First Choice“ und die „Stakeholder“. Glücklicherweise gibt’s da auch ein umfangreiches Wörterbuch - Verzeihung: Sie formulieren natürlich weniger schlicht. Bei der Post heißt das „Glossar“! Also jedenfalls können Ihre Mitarbeiter in diesem Ding die vielen Anglizismen nachlesen, bevor sie die letter hoffentlich strategy-like in die postboxes Ihrer customer einwerfen.

Zur "Strategie 2015" gehört nicht nur die Schneckenpost, sondern auch ihr elektronisches Pendant – der „e-Postbrief“. In einem YouTube-Video werben Sie: „In einer Welt, in der alles möglich ist, in der Jeder Alles vom anderen weiß“ brächte der e-Postbrief das Briefgeheimnis ins Internet. Der nämlich sei: „verbindlich, vertraulich, verlässlich“. Gleichzeitig behaupten Sie in der "Leistungsbeschreibung - E-Postbrief" (PDF):

Eingehende E-POSTBRIEFE werden automatisch auf Viren und andere schadhafte Inhalte geprüft.

Was nun, Herr Appel – Wissen wir jetzt Alle von Allen Alles (siehe Alle wissen von Allen Alles) oder ist der e-Postbrief vertraulich? Die Werbung meint ja, es sei „beinahe alles möglich“ - aber auch die Quadratur des Kreises? Wie wollen Sie denn eine Mail auf Schädlinge prüfen, wenn diese noch verschlüsselt ist? Werner Koch, Autor der Freien Verschlüsselungssoftware "GnuPG" stellt fest:

Wenn eine Mail auf Viren geprüft werden soll, muß sie unverschlüsselt vorliegen. Jeder zentrale Mail-Dienstleister kann die Post seiner Kunden mitlesen. Wer Anonymität garantiert haben möchte, muß die Post bereits verschlüsseln, bevor sie den PC verläßt.

Also wird’s nix mit der Vertraulichkeit beim e-Postbrief.

Pflichten und Obliegenheiten des Nutzers

Es lohnt auch, die Details im „Kleingedruckten“ anzusehen: Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen schreiben unter „6. Pflichten und Obliegenheiten des Nutzers“ vor:

6(3) Der Nutzer erkennt sein Nutzerkonto als seinen Machtbereich an, zu dem er Zugang hat und das für die Kommunikation mit anderen Nutzern oder Kommunikationspartnern bestimmt ist. Der Nutzer wird daher aufgefordert, mindestens einmal werktäglich den Eingang in seinem Nutzerkonto zu kontrollieren. Von einer regelmäßigen Kenntnisnahme eines E-POSTBRIEFS mit elektronischer Zustellung durch den Privatkunden ist daher spätestens am Werktag nach Eingang im Nutzerkonto auszugehen. Beim Geschäftskunden ist von einer regelmäßigen Kenntnisnahme bei Eingang innerhalb der üblichen Geschäftszeiten am gleichen Werktag auszugehen, ansonsten mit Beginn der Geschäftszeiten am darauf folgenden Werktag.

Wow... - Da bleibt ja grade noch Zeit für die Mittagspause? Aber Urlaub ist definitiv gestrichen!

Überhaupt scheinen Ihre Nutzer einer besonders motivierten Spezies anzugehören: „Der Nutzer hat ... anzugeben“, „Es liegt im Verantwortungsbereich des Nutzers ...“, „Der Nutzer trägt die Verantwortung ...“, „Der Nutzer hat dafür Sorge zu tragen, ...“

Was bringt dem Kunden jetzt der e-Postbrief?

Umgekehrt stellt der Nutzer „die DPAG und ihre Erfüllungsgehilfen von sämtlichen Ansprüchen Dritter frei ….“ - Der Satz könnte glatt als Überschrift für die „7. Rechte und Pflichten der DPAG“ durchgehen. Dort wimmelt es von „ist die DPAG berechtigt“, „Die DPAG trifft keine Pflicht“, „Die DPAG ist ferner berechtigt“ und „Es bleibt der DPAG vorbehalten“.

Die Post haftet nach §44a Telekommunikationsgesetz „bis zu einer Höhe von 12.500 Euro je Nutzer und gegenüber der Gesamtheit der Geschädigten bis zu einer Höhe von 10 Millionen Euro je schadensverursachendes Ereignis.“ Doch ein reiner Quell der Freude ist diese Anspruchsgrundlage nicht. Im Folgenden lassen die AGB wissen:

Die DPAG haftet keinesfalls für Schäden infolge von Leistungsausfällen und Leistungsverzögerungen aufgrund unvorhersehbarer von der DPAG, ihren gesetzlichen Vertreter oder ihren Erfüllungsgehilfen nicht zu vertretender Ereignisse (höhere Gewalt). Als Ereignisse höherer Gewalt gelten insbesondere Krieg, Unruhen, Naturgewalten, Feuer, Sabotageangriffe durch Dritte (wie z. B. durch Computerviren), Stromausfälle, behördliche Anordnungen, rechtmäßige unternehmensinterne Arbeitskampfmaßnahmen und der Ausfall oder eine Leistungsbeschränkung von Kommunikationsnetzen und Gateways anderer Betreiber.

Das is' 'ne steile Nummer: Sie verpflichten den Kunden, mindestens einmal werktäglich in sein Postfach zu gucken (wobei das Montags ohnehin nicht lohnt, denn Montags werden keine e-Postbriefe zugestellt), aber für dadurch entstandene Schäden wollen Sie nicht haften!

Was bringt dem Kunden jetzt der e-Postbrief? Ihr Pressesprecher Uwe Bensien meint, er brächte „Rechtssicherheit“. Nach welchem Gesetz? Das De-Mail-Gesetz läßt ja noch ein wenig auf sich warten. „Nach BGB“ und weiter: „Grundsätzlich begrüßen wir aber das neue Gesetz zur sicheren digitalen Kommunikation, und wir werden uns auch danach zertifizieren lassen.“

Eine Frankfurter IT-Anwältin kennt das Defizit des Bürgerlichen Gesetzbuchs: „Sofern eine eigenhändige Unterschrift notwendig ist, ist der e-Postbrief nicht ausreichend.“ Sie schlussfolgert:

Der e-Postbrief vermittelt mehr so eine gefühlte Rechtssicherheit.

Die gefühlte Rechtssicherheit des e -Knebels lassen Sie sich fürstlich bezahlen: 55 cent für eine Mail sind recht happig. Trotzdem können sich eine Million Ihrer Kunden offenbar für das Angebot begeistern. Soll doch mal einer sagen, Gefühle seien in der Wirtschaft heute nix mehr wert. Ich für meinen Teil jedenfalls werde bis auf Weiteres mit GnuPG verschlüsseln. Da sind sogar – kostenlose – Freiheitsgefühle dabei!

Mit vorweihnachtlichen Grüßen

Ihr Joachim Jakobs