Höher, aber fairer als in Deutschland

Die Studiengebühren in Großbritannien haben in ihrer neuen Form viel von einer progressiven Akademikersteuer

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Seit November protestieren englische Studenten teilweise gewaltsam gegen eine Erhöhung der Studiengebühren auf bis zu 9.000 Pfund im Jahr. Das klingt unmäßig hoch - doch müssen sie erst dann gezahlt werden, wenn ein Absolvent mehr als 21.000 Pfund jährlich verdient, was das System gerechter macht als die derzeit in Deutschland bestehenden Studiengebühren, die bereits zu einer Zeit entrichtet werden müssen, in der Studenten aufgrund der Bolognabürokratie nichts oder nur sehr wenig verdienen können.

Studiengebühren wurden in Großbritannien nicht, wie häufig geglaubt wird, von Margaret Thatcher eingeführt, sondern erst 1998, als schon Tony Blair an der Macht war. Die damalige Labour-Regierung begann mit 1.000 Pfund und steigerte diese innerhalb von elf Jahren entgegen ausdrücklicher Wahlversprechen auf mehr als das Dreifache. Blairs Erziehungsminister David Blunkett schaffte in seinem Teaching and Higher Education Act auch die Studentenbeihilfe in Höhe von 1.710 Pfund ab und ersetzte sie durch Darlehen, die mit neun Prozent Zinsen zurückgezahlt werden mussten. Ken Livingstone meinte damals, die Blairisten würden mit dieser Politik den kommenden Generationen genau jene Leiter wegtreten, mit der sie selbst aufstiegen.

Cambridge University. Foto: Mark Whiting. Lizenz: CC-BY-SA.

Die schottische Regionalregierung nutzte ihre Autonomie, um die von Blair eingeführten Gebühren in Zahlungen umzuwandeln, die erst ein Jahr nach Abschluss des Studiums und auch dann nur einkommensabhängig gestaffelt geleistet werden müssen. Mit insgesamt 2.048 Pfund für das gesamte Studium (was im Durchschnitt etwa 430 Pfund pro Semester entspricht), lagen diese Gebühren zudem wesentlich niedriger als in England. 2007 setzte die Scottish National Party (SNP) schließlich durch, dass Gebühren an schottischen Universitäten nur noch von Engländern, Walisern, Nordiren und Studenten aus Nicht-EU-Ländern erhoben werden. In den restlichen Teilen des Vereinigten Königreichs versuchte Labour den negativen Folgen der gestiegenen Gebühren mit der Einführung von Studentenkrediten entgegenzuwirken.

Im November 2009 beauftragte Labour-Wirtschaftsminister Lord Mandelson den ehemaligen BP-Chef John Browne damit, Vorschläge für die Zukunft der Hochschulfinanzierung zu machen. Bevor Browne diesen Auftrag erledigen konnte, wurde die Labour-Regierung allerdings im Mai 2010 abgewählt und ein Bündnis aus Konservativen und Liberalen trat an ihre Stelle. In ihrem Koalitionsabkommen vereinbarten David Cameron und Nick Clegg jedoch, in der Frage der Hochschulfinanzierung die Browne-Vorschläge abzuwarten und erst dann zu entscheiden. Als der Bericht am 12. Oktober 2010 erschien, enthielt er die Empfehlung, die Obergrenze für Studiengebühren zu schleifen und die Entscheidung über ihre Höhe ganz den Universitäten zu überlassen.

Die Abschaffung von Studiengebühren war Teil des Wahlprogramms der Liberaldemokraten und viele ihrer Abgeordneten hatten eine förmliche Zusicherung der National Union of Students unterzeichnet, niemals für deren Erhöhung zu votieren. Trotzdem erreichte das Bündnis aus Tories und LDP am 9. Dezember die notwendigen Stimmen, um die Browne-Vorschläge umzusetzen - allerdings in veränderter Form.

Statt der Empfehlung zu folgen, den Universitäten völlig freie Hand bei der Gebührenfestsetzung zu lassen, setzte die Regierung Cameron die Grenze bei 9.000 Pfund an. Ob viele Universitäten wesentlich darunter bleiben, ist fraglich: Schon die Erhöhung der Gebühren auf 3.000 Pfund sollte einen Markt schaffen, in dem Hochschulen mit möglichst niedrigen Gebühren untereinander konkurrieren. Ein Bericht aus dem Jahre 2009 zeigte jedoch, dass solch ein Wettbewerb nie zustande kam und stattdessen fast ausnahmslos die Höchstsumme verlangt wird.

Zusammen mit der Erhöhung der Gebühren baut die Regierung auch der Anspruch auf Studentenkredite aus, auf die nun auch Studenten, die nebenher arbeiten müssen, Anspruch haben, wenn Sie mindestens ein Drittel des Regelprogramms bewältigen. Junge Leute, deren Eltern bis zu 25.000 Pfund verdienen, können überdies zusätzlich zu den Studiengebühren einen Lebensunterhaltszuschuss in Höhe von 3.250 Pfund bekommen. Liegen die Einnahmen zwischen 25.000 und 42.000 Pfund, sinkt diese Summe graduell. Darüber hinaus gibt es für Studenten, deren Eltern gleichzeitig wohlhabend und knauserig sind, Lebensunterhaltskredite ohne Prüfung des Familieneinkommens.

Effektiv gezahlt werden müssen die den Universitäten über Kredite vorgeschossenen Studiengebühren erst dann, wenn ein Student ein Jahreseinkommen über 21.000 Pfund erreicht. Bisher lag diese Summe, die jedes Jahr mit der Inflationsrate steigen soll, bei nur 15.000 Pfund. Da die Ansprüche nach 30 Jahren verjähren, hat das Institute for Fiscal Studies errechnet, dass nach dem neuen System etwa die Hälfte aller Absolventen weniger zurückzahlen muss, als die für Studiengebühren in Anspruch genommene Summe. Dafür zahlen Studenten, die mehr verdienen, höhere Zinsen. Damit Spitzenverdiener sich dem nicht entziehen können, soll es Strafgebühren geben, wenn die Kredite vorzeitig zurückgezahlt werden.

Dies ist ein bemerkenswerter Unterschied zum deutschen System, wo der Student die Gebühren sofort bezahlen muss und Studienkredite auch bei der staatlichen KfW ohne Rücksicht auf das Einkommen verzinst eingetrieben und nur dann gestundet werden, wenn der Schuldner nicht mehr gepfändet werden kann. Privatbanken wie die mit Steuergeld "gerettete" Commerzbank verlangen darüber hinaus teilweise schon vor dem Master-Abschluss den Kredit zurück, sodass Studenten ihre Ausbildung mit einem relativ wertlosen Bachelor-Zertifikat abbrechen müssen.

Verglichen mit diesem deutschen System erinnern die neuen englischen Studiengebühren faktisch stark an etwas, dessen Namen vor allem konservative Politiker nicht gerne aussprechen: Eine progressive Akademikersteuer. Genau solch eine progressive Akademikersteuer propagierte der liberaldemokratische Wirtschaftsminister Vince Cable zu Zeiten, als seine Partei in der Opposition war - und die damals regierende Labour Party lehnte dieses Modell, das sie nun unter ihrem neuen Vorsitzenden Ed Miliband lobt, stets ab.

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