Das Gespenst des Kommunismus

Der Sozialismus wurde zwar historisch abgewickelt, die politische Linke ficht das aber nicht an. Sie fantasiert weiter von der Möglichkeit einer "kommenden Gemeinschaft", die von der "Idee des Kommunismus" getragen wird

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Marx' Gespenster? Gibt es so was, beseelte Figuren, Dinge und Zeichen, die von seinem herumspukenden Geist zeugen, von dem von ihm ins Leben gerufenen Marxismus? Und falls ja, was haben sie uns heute noch zu sagen? – Das fragte vor gut fünfzehn Jahren Jacques Derrida Leser und Fans. Und das zu einem Zeitpunkt, als "der Westen" noch den Sieg des Marktliberalismus, der Demokratie und der Menschenrechte über den sowjetischen Zwangskommunismus feierte und gerade dabei war, es sich in der Nachgeschichte bequem einzurichten.

Es ist unglaublich, dass nichts von dem, was man geschichtlich für überholt hielt, wirklich verschwunden ist, alles ist da, bereit zur Wiederauferstehung.

Jean Baudrillard, Die Illusion des Endes

Ausgespukt

Anlass seines Fragens war damals eine Re-Lektüre des Kommunistischen Manifests. Auch dieses Pamphlet beginnt bekanntlich mit der Beschwörung eines "Gespenstes". Anno 1848 hätten sich, so seine Verfasser vollmundig, "alle Mächte des alten Europa […] zu einer heiligen Hetzjagd" gegen das "Gespenst des Kommunismus" verbündet.

Das, was da seinerzeit umging in Europa, war kein "Märchen", sondern war als "Macht" bereits anerkannt. Sie sollte dem Spuk, den die "heilige Allianz" in Europa verbreitete, sein wohlverdientes Ende bereiten. Am besten, wie Marx und die Seinen meinten, durch die Abschaffung des Eigentums, das der Bourgeoisie Macht über fremde Arbeit verlieh.

Gelänge dies, so die Autoren damals kämpferisch, wäre es mit all den "Heimsuchungen", die den Menschen verfolgten, ein für alle Mal vorbei. Das Politische käme an sein Ende, und mit der "realen Präsenz" des "Gespensts des Kommunismus" höre auch die Herrschaft des Gespenstischen endgültig auf.

Zombie Marx

Von jenem Geist, den Marx einst zum Totengräber der "alten Mächte" ausgelobt hatte, ist hundertfünfzig Jahren später freilich nicht mehr viel übrig. Der sowjetische Dogmenapparat, die Triade aus "Staat, Partei und Ideologie", hat ihn, aber auch sich selbst zerstört. Was davon im Gedächtnis der Menschen und Völker haften geblieben ist, ist allenfalls eine Erinnerung, die Erinnerung an den "Eigennamen" Marx und sein messianisches Erbe.

Dass anstelle des Kapitalismus der Kommunismus zusammenkrachen würde, und dies mit jener Plötzlichkeit, die Marx dem Kapitalismus mal vorausgesagt hatte, konnte gewiss niemand ahnen. Gleichwohl hat sein Ende weder zum Tod des Kommunismus noch der Idee von einer Gemeinschaft geführt, "worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist".

Auch nach dem Ende der Geschichte, der Ideologie und der Ankunft des letzten Menschen scheint dieser Geist, der mit Marx und dem Versprechen einer besseren und gerechten Gesellschaft unauflöslich verbunden ist, gezwungen zu sein, als "Revenant" stetig wiederzukehren.

Verwirklichung versäumt

Grundlegend neu sind solche "Phantomgeschichten" natürlich nicht, die Jacques Derrida erstmals 1993 bei einem internationalen Kolloquium, das sich mit der Frage: "Wohin mit dem Marxismus?" beschäftigte, an der Riverside University in Kalifornien vorgetragen hatte. Schon Adorno hatte Ähnliches knapp dreißig Jahre vorher, freilich noch mit Blick auf die Möglichkeit einer kritischen Philosophie der Gesellschaft, festgestellt.

Auch die Negative Dialektik hebt bekanntlich mit einer Verzweiflungsgeste an: "Philosophie, die einmal überholt schien, erhält sich am Leben, weil der Augenblick ihrer Verwirklichung versäumt ward." Seit sie mit dem "Versprechen, sie sei eins mit der Wirklichkeit oder stünde unmittelbar vor deren Herstellung" gebrochen habe, bleibe ihr nur noch eins, nämlich "sich selber rücksichtslos zu kritisieren".

Was uns fortan noch retten könne, sei nicht, wie Heidegger hoffte, der Glaube an einen "rettenden Gott", sondern, sieht man von der Kunst mal ab, jener "Erwartungshorizont", den Walter Benjamin Jahrzehnte zuvor bereits mal ins Spiel gebracht hatte (Der neue Fürst dieser Welt).

"Philosophie", schreibt Adorno denn auch noch im letzten Aphorismus, dem 153. der Minima Moralia, "wie sie im Angesicht der Verzweiflung einzig noch zu verantworten ist, wäre [folglich] der Versuch, alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlösung aus sich darstellten."

Offener Horizont

Angesichts solch "messianischer" Erwartungen, die bei Derrida ohne bestimmten "Horizont" oder einen "Messias" auskommen, da eine Indienstnahme der Theologie, die zu Zeiten Benjamins "bekanntlich klein und hässlich" war, bei ihm nicht vorgesehen ist, verwundert es nicht, dass die "Idee des Kommunismus" die historische Abwicklung des real existierenden Sozialismus überlebt hat.

Und da weder "das Messianische" noch "Totaltheorien" (Ulrich Sonnemann) falsifiziert werden können, spukt der Kommunismus auch weiter munter in diversen Köpfen herum, in manchen sogar "umfassender und machtvoller" als jemals zuvor. Ihn den "Müllhalden der Geschichte" (Jean Baudrillard) zu überantworten, die er im Übrigen selbst erfunden hat, hat jedenfalls, das kann man zwanzig Jahre nach seinem plötzlichen "Kältetod" zumindest sagen, nicht funktioniert.

Folgt man freilich dem linken Schnelldenker Slavoj Zizek, dann sind Zeit und Lage für eine "Rehabilitierung" und gar "Revitalisierung" des Kommunismus sogar überaus günstig. Zumal Planet und Menschheit durch das ungestörte Wirken eines global entfesselten Kapitalismus nach Meinung vieler Beobachter sozial, wirtschaftlich und ökologisch "außer Rand und Band" geraten sind.

Am 11. September 2001 ist laut Zizek zunächst die "liberal-demokratische politische Utopie"; und mit der Lehman-Pleite am 14. September 2008 ist dann auch noch der "globale Finanzkapitalismus" ratzfatz zusammengekracht. Statt dem Kommunismus ständig seinen Totalitarismus vorzuhalten, wäre es in Zizeks Augen politstrategisch zielführender, jenen totalitären Charakter des Kapitalismus ins Visier zu nehmen, der auch noch seine kritischen Kritiker vereinnahmt, sie lähmt oder mit karitativen Gaben protzt (Warum ich doch recht habe).

Nach postmarxistischer Überzeugung sind die Gespenster "der Ware" und der "toten Arbeit" weiter munter am Werkeln. Sie haben sich mittlerweile bis in die Kapillaren der Gesellschaft, der Individuen und ihres täglichen Lebens, hineingefressen und bestimmen, ohne dass die Akteure das merkten, deren Privates und Intimstes. Deshalb könne man sich die nähere Zukunft vielleicht ohne Partei und auch ohne Staat vorstellen, aber nicht unbedingt ohne Marx und den von ihm angezettelten "Spuk".

Generalverdacht

Nicht zufällig wird sich mancher kundige Leser an die griechische Götterwelt erinnert fühlen. Auch die Griechen waren seinerzeit der felsenfesten Überzeugung, dass all ihre Geschicke von den Launen der Götter abhängig wären. Im Gegensatz zu unseren abendländischen Vorfahren ist uns Säkularisierten aber der Glaube an "unsichtbare Mächte" oder "heimliche Drahtzieher", die im Hintergrund die Fäden ziehen, abhanden gekommen, weswegen wir sie auch nicht mit irgendwelchen Opfergaben besänftigen müssten.

Gleichwohl befreit der Niedergang des real existierenden Sozialismus, Postmarxisten wie seine liberalen Verächter, nicht von der Aufgabe, sich ausgiebig mit seiner Ideologie und den mörderischen Folgen seines totalitären Anspruchs zu beschäftigen. Eine strikte Trennung zwischen Theorie und Praxis, von Vergangenheit und Zukunft ist ebenso wenig möglich wie eine Verdrängung seiner Geschichte oder gar deren Um- oder Neuschreibung.

Schon deswegen ist jeder kritische Geist, gleich, ob er die "Idee des Kommunismus" bewahren, sie weiß-, reinwaschen oder sie neu erschließen möchte, genötigt, sich auch jener "Heimsuchung" durch all jene zig zehn Millionen Geister zu stellen, die durch ihn und seine Arbeitslager, durch Stalin, Mao oder Pol Pot um ihr Leben betrogen oder gar ihres Lebens beraubt worden sind.

Einen "radikalen Neubeginn" kann es – auch wenn Slavoj Zizek das gern haben möchte – nicht geben. Geister, die man mal gerufen hat, wird man, das wissen mindestens alle Schüler, die Goethes "Zauberlehrling" lernen mussten, nicht wieder los.

Der Glaube stirbt zuletzt

Wer folglich auf das "Unabgegoltene" setzen und die "utopischen Gehalte des Kommunismus" wiederbeleben möchte, etwa, um das so genannte "Kontinuum der Geschichte" erneut aufzusprengen, der muss, will er die Fehler der Vergangenheit vermeiden, den Akzent eher auf das Heterogene, Disparate und Differente verlegen als auf den Zusammenhalt, die Partei oder das Kollektiv.

In einer modernen, funktional differenzierten Gesellschaft wissen weder die Organisation noch der Staat, wie man dem Kontingenten, dem Unbestimmten und Ungewissen eine Form geben kann. Auch im real existierenden Sozialismus hat sich gezeigt, dass große Einheiten eher Abhängigkeiten als Befreiung produzieren, Notwendigkeiten reproduzieren als Kontingenzen freisetzen.

Darum scheidet sich an dieser entscheidenden Stelle auch die alte von der neuen "Gespensterkunde". Während Marx stur "Ontologe" blieb und Partei für die Wirklichkeit ergriff, mutierte Derrida, der schon "Parteinahmen" für das Produkt eines Spuks hält, zum "Hantologen". Will man dem heimlichen Messianismus des Marxismus nicht auf den Leim gehen, sei man gezwungen, so folgert Derrida, "Gespenster-Philosoph" zu werden. Das heißt, man müsse sich mit den Phantomen anfreunden – also auch mit jenem Spuk (Illusionen und Fantasmen), den Marx und das "kommunistische Gespenst" nach ihrem grandiosen Scheitern weiter verbreiten.

Wiedergängertum

"Ein Phantom", weiß der Freudianer Derrida, "stirbt nie", es ist zum steten "Kommen und Wiederkommen" verdammt. Selbst Armeen können sie bisweilen nicht aufhalten. Darum ist auch der kommunistische Kadaver nicht vollständig tot. Als "Dahingegangenes" kann er als Zombie jederzeit und an jedem Ort unerwartet und plötzlich wiederauftauchen. Auch in dieser Hinsicht hat die Postmoderne ganze Arbeit geleistet.

Dank ihrer Erfindung des ständigen Überprüfens und Durcharbeitens, Wiederholens und Wiedererinnerns, Um- und Neuschreibens (Jean-Francois Lyotard) gibt es nämlich keine endgültigen Lösungen mehr. Wie jeder andere Müll oder Abfall können auch die Überbleibsel der Kirche oder der Religion, der Geschichte oder des Kommunismus immer wieder recycelt werden.

Nicht einmal die so genannten "Müllverbrennungsanlagen" konnten bislang etwas Entscheidendes daran ändern, entstehen doch noch während des Einäscherungvorgangs Reste, die wiederaufbereitet, neu oder anders zusammengesetzt werden können.

Gespenster-Kommunikation

Wie derartige "Gespensterbeschwörungen" mitunter funktionieren, konnte man im Sommer an der Berliner Volksbühne studieren. Am letzten Juni-Wochenende versammelte sich dort die radikale Linke, um sich nochmals der Aktualität und Vitalität der Idee des Kommunismus zu vergewissern.

Geladen waren unter anderem die drei "Säulenheiligen", die die politische Linke derzeit kennt: Antonio Negri, Autor von Empire, dem bekanntesten neomarxistischen Bestseller der vergangenen Dekade (Eine andere Welt ist möglich); Alain Badiou, französischer Maoist und Universalist, der seit vielen Jahren nach einer neuen "kommunistischen Hypothese" fahndet; sowie Slavoj Zizek, der Unvermeidliche (Iran und Zizek, der Unvermeidliche), Psychoanalytiker, Leninist und Hegel-Interpret aus Ljubljana.

Die Anziehungskraft des Themas und des Dreigespanns war groß. An die tausend Zuhörer drängten sich an den drei Tagen in den Theaterräumen, wo Bertolt Brecht einst dem Bürgertum den "Dreigroschenmarsch" geblasen hatte. Meist waren es junge Leute, Angehörige irgendeiner linken Subkultur, wie der Spiegel beobachtet haben wollte (Der Denkautomat). Von den drei alten Männern erhofften sie sich wohl eine neue Vision linker Theorie, eine, die eine echte Alternative zum globalen Kapitalismus darstellt und ein neues Subjekt der Geschichte auslobt, das die verhassten Mächte endgültig zum Teufel jagt.

Zahnloses Gespenst

Wie zu erwarten war, blieben derlei hochfliegende Erwartungen unerfüllt. Da waren sich hinterher auch alle Beobachter einig, die taz (Philosophendämmerung und die FR (Gottesdienst linker Allgemeinplätze) genauso wie die FAZ (Schafft den Staat ab!) oder Die Welt (Die neuen Kommunisten haben keinen Plan B).

Obzwar die Veranstalter den Begriff "Kommunismus" in großen Lettern auf das Dach des Theaters am Rosa-Luxemburg-Platz drapiert hatten, blieb das "Gespenst", das die Veranstalter und Zuhörer wieder zum Leben erwecken wollten, zahnlos. Angst und Schrecken verbreiten konnte es wie noch anno 1848 jedenfalls nicht mehr. Heute fühlt sich die "Heilige Allianz" weniger vom Gespenst des Kommunismus bedroht, als vielmehr von jenen Spukgestalten, die sie selbst gerufen und losgelassen hat: die Verschuldung der öffentlichen Haushalte, unkontrollierbare Finanz- und Kapitalmärkte, Gier und Profitmaximierung.

Zumal die Meisterdenker, die dem Kommunismus Leben einhauchen sollten, sich seltsam uneins waren über den Inhalt der Kritik und der Strategie, wie man dem liberalen Kapitalismus zu Leibe rücken könnte. Während Negri sich fragte, ob man Kommunist sein könne ohne Marxist zu sein, und Zizek gar für einen radikalen Neuanfang plädierte, der die bösen "Geister des 20. Jahrhunderts" einfach ablegt wie alte, verbrauchte und zu klein gewordene Kleidungsstücke, stellte Badiou das Problem in den Raum, ob es einen "realen Sozialismus" geben könne, der der "Idee des Kommunismus" nahe komme.

Geschichtsvergessen und selbstgewiss

Bemerkenswert am gedanklichen Austausch war die allgemeine Geschichtsvergessenheit, die sich auf den Podien breit machte. Was die Süddeutsche Zeitung schon im Vorfeld vermutet hatte, nämlich einen "frivolen Umgang mit der Geschichte", bestätigte sich. Gescheitert war nach Ansicht der Sprecher nicht die "kommunistische Idee", sondern allenfalls seine falsche Anwendung durch Bolschewisten, Stalinisten und Maoisten.

Bemerkenswert war aber auch ein latenter "Affekt gegen die Postmoderne", gegen Relativismus, dekonstruktivistische Lektüren und Kritik an absoluten Wahrheitsansprüchen. Im Lager der politischen Linken ist man scheinbar weiter der Ansicht, dass es nicht nur "objektive Wahrheiten" gibt, sondern auch "Wahrheit in der Politik".

Als "objektiv wahr" gilt laut Alain Badiou beispielsweise, dass der Kommunismus die einzige Alternative zum herrschenden System des "Kapitalparlamentarismus" ist. Darum spricht er auch immer von der "kommunistischen Hypothese" oder, in deutlicher Anlehnung an Maurice Blanchot und Jean-Luc Nancy, vom "kommenden Kommunismus".

Ungeachtet der heftigen Kritik, die einst Gilles Deleuze an der "Wesensschau" der "Ideenphilosophie" geübt hatte, bedient sich der ehemalige Maoist ungeniert (siehe "Erstes Manifest") am Platonismus, einer Denkstrategie, der sich auch Leo Strauss, angeblicher Hausphilosoph des US-Neokonservatismus, immer wieder rückversichert hat, als er vor, während oder nach WK II über den Grund oder das Kapital des Politischen dozierte.

Politische Differenz

Wahre Ideen bleiben für Badiou auch dann noch wahr, wenn sie falsch interpretiert oder angewendet wurden. Scheitern sie, dann liegt das ausschließlich an den Interpreten oder einer schlechten Strategie. Darum gilt es vor allem, nochmals neu nachzudenken, es gilt, die vielen guten Ideen, die der Kommunismus formuliert, in den Dienst eines neuen "emanzipatorischen Projekts" zu stellen und auf diese Weise doch noch "von Niederlage zu Niederlage zum Sieg" zu schreiten.

Als überaus hilfreich hat sich in den letzten Jahren die Unterscheidung zwischen der "Politik" und "dem Politischen" erwiesen. Meint "Politik" jene Regierungspraxis, die sich Tag für Tag am Kabinettstisch oder im Parlament, in den Organisationen oder in den Institutionen vollzieht, ist "das Politische" jener "unbestimmbare Grund", das "Unmögliche" bzw. "Undarstellbare" im Sinne Blanchots oder Nancys, das die "Politik" überhaupt erst ermöglicht.

Schlicht unentscheidbar

Was dieser "übergeschichtliche" Kern des "Politischen" sein könnte, wird von Denker zu Denker jeweils unterschiedlich ausgedeutet. Ist es für Carl Schmitt die Freund-Feind-Perspektive, der beispielsweise auch Chantal Mouffe anhängt, deuten es Blanchot und Nancy als die "wahre Gemeinschaftlichkeit" einer Gesellschaft (Die Gemeinschaft zu ihrer Wahrheit bringen); versteht Jacques Rancière darunter die "universelle Gleichheit" aller Menschen, will Jacques Derrida darin das "Gerechtigkeitsversprechen" schlechthin entdecken.

So unterschiedlich der "grundlose Grund" inhaltlich auch ausgefüllt wird, gemeinsam ist, dass die Politik das Politische weder abbilden noch aufheben oder gar repräsentieren kann. Die Spannung zwischen diesen beiden "Seinsebenen" ist unhintergehbar und daher irreduzibel. Das Politische ist weder erreichbar noch einholbar, und wenn, dann höchstens um den Preis der Freiheit aller.

Allein seine "Ereignishaftigkeit", die sich in sozialen Kämpfen, Bombenattentaten oder Wutwellen zeigen kann, sorgt dafür, dass sich das Politische der Politik bis in alle Ewigkeit entzieht. Die "Wahrheit des Politischen" zwingt die Akteure dazu, immer wieder neu anzufangen und zu versuchen, es beim nächsten Mal irgendwie besser zu machen. So gesehen ist das Politische auch jener "Erwartungshorizont", vom dem aus sich das Alltagshandeln von Regierung und Opposition, von Polizei und Justiz beobachten, beurteilen und kritisieren lässt.

Linke Ratlosigkeit

Wie allerdings die "kommunistische Hypothese" aussehen könnte, die die Welt umwandeln und die Menschheit vor dem Wüten des "Raubtierkapitalismus" retten könnte, darauf haben bislang weder Alain Badiou noch Slavoj Zizek oder Toni Negri eine einigermaßen überzeugende Antwort gegeben.

Hängt der Italiener immer noch jenem schicksalhaften Traum an, wonach der Spätkapitalismus selbst irgendwann die Mittel zu seiner Selbstabschaffung hervorbringen wird, weicht der Slowene einer klaren Antwort auf diese Frage ständig aus. Einerseits fordert er, die elfte Feuerbachthese ("Die Philosophen haben die Welt nur interpretiert, es kömmt aber darauf an, sie zu verändern") noch gründlicher als bislang zu deuten; andererseits gibt er aber auch zu, dass er "keinen Plan für eine neue Revolution" in der Tasche habe. "Das wahre Fiasko der heutigen Linken ist", so Zizek gegenüber der taz noch während des Kongresses, "dass sie keine Alternative anbieten kann" (Ich bin trickreich wie ein Wiesel).

Wir Marginalisierten

Badiou wiederum, auf den sich in den letzten Jahren die Hoffnungen der politischen Linken besonders gerichtet haben, hat die Erwartungen an die Kraft einer linken Partei und den Parlamentarismus längst aufgegeben. Um die "Idee des Kommunismus" voranzubringen und die Linke aus ihrer politischen Abseitsstellung zu führen, hätte sich dieser Weg als untauglich gezeigt. Statt den Kapitalismus zu liquidieren, hätte er ihn nur exekutiert.

Seit seinem "Zweiten Manifest" richtet sich sein Zukunftsglaube auf alle Marginalisierten, "Überschüssigen" und "Anormalen" (Michel Foucault), die meist in den Vorstädten hausen, einen Migrationshintergrund haben und in prekären Verhältnissen leben. Unter "Kommunismus" versteht er jetzt eine "Solidarbewegung", die sich abseits des Staates und seiner Institutionen formiert, jede Arbeitsteilung aufgekündigt hat und keinen Unterschied mehr zwischen dem Leben und der Idee macht.

Damit offenbart Badiou eine eigenwillige, angesichts der historischen Daten und Fakten etwas seltsam anmutende Geschichtsdeutung. Auch ihm sollte eigentlich nicht entgangen sein, dass Revolutionen immer von oben, von Eliten initiiert und durchgeführt worden sind, von Jakobinern und Bolschewiki zum Beispiel, aber niemals von "Bettlern", "Obdachlosen", "Kriminellen" oder "Verrückten", dem damals so genannten "Lumpengesindel" oder "Lumpenpack".

Im zweiten Teil unserer kleinen Abhandlung über das "Gespenst des Kommunismus" werden wir unter dem Titel Postpubertäre Revolutionslyrik explizit auf "den kommenden Aufstand" eingehen, auf die "Flugschrift" eines anonymen "Komitees", die Badious "Lumpen-Theorie" und Agambens Idee einer "kommenden Gemeinschaft" beim Wort nimmt und uns allen den kommunalen Ausgang aus der spätrömischen Dekadenz verspricht.