Julian Assange, Bradley Manning, Alvar Freude und Rolf Schälike

Die Männer des Jahres aus Sicht der Presse-, Rede- und Informationsfreiheit

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Das Problem bei Wahlen zum Mann des Jahres ist eine gewisse Willkür. Der vom Focus dazu ernannte Karl-Theodor von und zu Guttenberg hat (zusammen mit dem Stuttgart-21-Schlichter Heiner Geißler) immerhin noch den Vorzug, dass er mit seiner Kombination aus Existenzialisten-Rollkragenpullover und Anzügen in leicht gewagten Farben zumindest aus modischen Erwägungen heraus diesen Posten verdienen könnte, während die im Time-Leserpoll vorne mitlaufende Sarah Palin bei näherer Betrachtung wenig anderes scheint, als eine amerikanische Verona Feldbusch, die beweist, dass man auch ohne besondere Fähigkeiten Erfolg haben kann (und damit wahrscheinlich ein uneingestandenes Zuschauerbedürfnis erfüllt).

Nachvollziehbarer wären solche Entscheidungen dann, wenn deutlicher gemacht würde, aus welchem Interesse heraus man jemanden wählt. Ein legitimes Interesse für ein Presseorgan ist zum Beispiel die Förderung der Presse-, Rede-, und Informationsfreiheit. Aus diesem Interesse heraus dürfte der Wikileaks-Gründer Julian Assange zumindest in die engere Wahl zum Mann des Jahres geraten. Er füllte als furchtloser Freiwilliger Defizite in der Medienlandschaft, die nicht erst seit Cablegate evident sind. Durch die unkommentierte und nur zum Persönlichkeitsschutz zensierte Fassung der zugespielten Dokumente geschah dies angenehm objektiv und so unparteiisch, dass damit sowohl ein Maulwurf bei der FDP enttarnt als auch öffentlich wurde, wie die Linkspartei ihre Wähler anlügt.

Julian Assange. Foto: Martina Haris.

Zu bedenken wäre aber, ob der Titel nicht eher an Bradley Manning geben sollte - dem mutmaßlichen Whistleblower, der seit Mai in Haft sitzt. Allerdings ist für ihn - wie Felix von Leitner vorschlug - möglicherweise der Friendensnobelpreis angemessener. Denn, so Leitner:

Der letzte Friedensnobelpreis ging an einen Helden, der in einem totalitären Staat in Haft sitzt. Das sollten wir nächstes Jahr wieder so machen.

Ob der unter dem Pseudonym "Daniel Schmidt" bekannte ehemalige Assange-Mitarbeiter Daniel Domscheit-Berg mit seiner eigenen Whistleblower-Plattform Openleaks hierzulande Ähnliches erreichen kann wie Wikileaks, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Gefährlich daran scheint in jedem Fall, dass Openleaks offenbar viele Aktivitäten in Deutschland durchführen will. Denn Domscheidt-Berg bot schon zu Wikileaks-Zeiten interessante Themen eher regionaler Natur an, die von heimischen Medien auch deshalb abgelehnt wurden, weil die Bundesrepublik eine Privatzensur durch rechtliche Besonderheiten besonders leicht und gleichzeitig existenzbedrohend macht.

Bradley Manning. Foto: Bradley Manning Support Network.

Dass die Lage nicht noch schlimmer wurde, ist unter anderem Alvar Freude zu verdanken, der mit seinem Arbeitskreises gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur) den wahrscheinlich wichtigsten Beitrag zur Verhinderung des novellierten Jugendschutz-Medienstaatsvertrages (JMStV) leistete. Freude zog jedoch nicht mit solch gefahrenverachtendem Wagemut ohne Rücksicht auf eigene finanzielle Verluste in Prozessschlachten wie der Anwalts- und Justizkritiker Rolf Schälike, der seit Jahren über Gerichtsgeschehnisse schreibt, die wundern lassen, und sich dabei auch von Haftandrohungen nicht beeindrucken lässt.

Alvar Freude. Foto: Thomas Vogt. Lizenz: CC-BY 2.0.

2010 erreichte Schälike nicht nur eine ganze Reihe von Gerichtsentscheidungen, die mehr Rechtssicherheit bringen, sondern (nach 75 abgewehrten juristischen Angriffen und hohen Kosten) erstmals auch eine ausgeglichene Anwaltskostenbilanz.

Mit seinem "wissenschaftlichen Projekt" trug der Gerichtsreporter aus Leidenschaft auch dazu bei, die Meinungsfreiheit durch Musterurteile insgesamt zu stärken, weshalb ihm von Bloggern bis hin zu Forenteilnehmern viele zu Dank verpflichtet sind. Unter anderem ließ Schälike gerichtlich feststellen, dass ein 2009 ausgesprochenes Verbot der Namensnennung von Parteien und Anwälten in Gerichtsentscheidungen nur in bestimmten Fällen gilt, dass die Wiedergabe anwaltlicher Antragsschriftsätze als Teil von Gerichtsentscheidungen keine Urheber- oder Persönlichkeitsrechte verletzen und dass ein Missbrauch des fliegenden Gerichtsstandes zumindest dann ein Ende findet, wenn Anwälte dafür auch noch Reisekosten erstattet bekommen wollen.

Noch nicht vollständig beendet ist Schälikes Auseinandersetzung mit dem Prominentenanwalt S., über dessen Prozessführung er häufig berichtet und der 2008 mit einem ungewöhnlichen Mittel versuchte, ihn zum Schweigen zu bringen, indem er eine Weihnachtskarte von Schälike zum Anlass nahm, eine einstweilige Verfügung nach dem eigentlich für Stalking-Opfer gedachten (aber von der ehemaligen Bundesjustizministerin Brigitte Zypries handwerklich schlecht formulierten) "Gewaltschutzgesetz" zu erwirken. Schälike jedoch scheute den Instanzenweg nicht und erreichte 2010 zumindest Teilerfolge. Am 12. Januar geht der Kampf des Gerichtsreporters gegen seinen Anwaltswidersacher in die nächste Runde: Dann verhandelt das OLG Hamburg darüber, ob es zulässig ist, einen Lebenslauf im Frame einer Firmenwebsite aufzurufen und diesen zu kommentieren.

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