Die Wahrheit über den Weihnachtsmann

Bilder: Splendid Medien AG

You better watch out, you better not cry: Jalmari Helander dreht pünktlich zu Weihnachten das Prequel zu seinem Kurzfilm-Welterfolg

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Rudel von nackten Weihnachtsmännern im Wald, ein grundsätzlicher schleichender Sadismus - das war bereits das Erfolgsrezept für die Kurzfilme und nun auch den ersten Spielfilm der "Rare Export"-Serie. Auch dieser Film ist sehr sauber gemacht, sehr lustig, und der Weihnachtsmann bekommt die Rute zu spüren - jedenfalls solange er Kinder beißen will. "It's a time consuming-process" heißt es im ersten Kurzfilm, der insgesamt ein bisschen an eine alte Jack-Daniels-Werbung erinnert: "every year we ship hundreds of these creatures ... the extremely rare original finnish father christmas". Sie liefern exklusiv in mehr als 150 Länder... Wie es dazu kam, und was die Wahrheit über den Weihnachtsmann ist, erzählt dieser Film.

Weihnachten war im Kino noch nie allein die Zeit von Harmonie und friedlicher Einkehr. Auch für das Horror-Genre war das Fest der Liebe und das mit ihm verbundene Brauchtum seit jeher ein Quell' vielfältiger Anregungen. Dazu braucht man alte Männer, die mit langen Bärten, in roter Kleidung, mit Ruten und schweren Säcken in den Händen Kindern nachlaufen, noch nicht einmal besonders schauerlich zu finden, und man muss auch nicht in fröhlichen Weihnachtsliedern den kaum verhüllten Schrecken - "You better watch out/ You better not cry, ... Santa Claus is coming to town./ He's making a list,/ And checking it twice" - entdecken; es genügt völlig, sich daran zu erinnern, dass bereits in der Bibel die Geburt Christi mit einem fürchterlichen Kindermord verbunden wurde.

Daran unmittelbar anknüpfend entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten eine inzwischen breite Tradition des Weihnachtshorrorfilms, von "How the Grinch stole Christmas" (1966) bis To all a good night (1980), von Nightmare before Christmas (1993) bis Bad Santa (2003), um nur ein paar Beispiele zu nennen und jene Weihnachtsfeste, die nur am Rande einer Filmhandlung stehen, aber deshalb nicht weniger böse oder doppelbödig sind - etwa in Tim Burtons Badman Returns (1992) -, völlig links liegen zu lassen.

An diese Traditionslinie knüpft nun auch Rare Exports an, eine überraschend gelungene, ebenso konsequente wie anregende, boshaft-heitere Weihnachts-Überraschung aus Finnland, die Fantasy-Elemente und alte Legenden, wie jene volkstümliche Geschichte vom Rattenfänger von Hameln, mit denen des Horror-Kinos mischt.

Die Vorgeschichte dieses Spielfilms von Jalmari Helander bilden zwei Internet-Kurzfilmerfolge des Regisseurs aus den Jahren 2003 und 2005, die jeder Interessierte zur Vorbereitung auf YouTube ansehen kann: Rare Exports Inc und "Rare Exports - The Official Safety Instructions". Helanders Langfilmdebüt liefert nun gewissermaßen die Vorgeschichte zur Kurzfilmhandlung.

Vorsicht Spoiler: Der Weihnachtsmann ist eine mörderische Bestie

Im Zentrum des Films steht der neunjährige Pietaari. Die Mutter ist gestorben und der Junge lebt allein mit seinem Vater in der kargen, den größten Teil de Jahres schneebedeckten Gebirgslandschaft der finnisch-russischen Grenze. Auch Pietaaris Freunde leben in einsamen Häusern, die nur mit dem Auto erreicht werden können, schon Kinder wissen hier mit scharfen Gewehren umzugehen - die Väter sind Jäger und das Leben ist hart.

In seiner Freizeit streift Pietaari durch die Wälder. Einmal durchschneidet er mit seinem Freund Juuso verbotenerweise den Grenzzaun und schleicht sich auf einen Berg, wo eine amerikanische Minenunternehmung geheime Bohrungen durchführt. Schnell macht der Film klar, dass sich in der Tiefe irgendetwas sehr Besonderes und Furchtbares verbergen muss. Gewisse Merkwürdigkeiten häufen sich und eskalieren, als die traditionelle Rentierjagd der Väter in einem Fiasko endet: Nur zwei Tiere leben, über 400 wurden von Bestien gerissen und die Väter finden nur noch deren Kadaver. Die Vernichtung des Fleischbestands einer ganzen Jagdsaison ist für die Einheimischen existenzbedrohend.

Zur gleichen Zeit stößt Pietaari bei der Lektüre eines Buches "Die Wahrheit über den Weihnachtsmann" auf eine alte Legende, derzufolge es sich beim Ur-Weihnachtsmanm um eine mörderische Bestie und einen grausamen Kinderschlächter handelt. Einst wurde er von den Finnen im Eis gefangen und mit einem großen Berg bedeckt - genau an dem Punkt, an dem gerade die Probebohrungen stattfinden.

Amerikanische Geschäftsleute wollen den Weihnachtsmann zu Geld machen - ohne sich der Gefahren, die von diesem ausgehen, bewusst zu sein. Am nächsten Morgen sind dann plötzlich alle Kinder der Gegend verschwunden, zusammen mit Kartoffelsäcken und Heizkörpern... Doch weiterhin will keiner Pietaari glauben.

Willenlose Wichtel

Die bizarren Ereignisse häufen sich, und mehr und mehr erinnert der Film an die moderne Variante eines Grimmschen Märchens. Der Regisseur mischt Phantasieelemente aus volkstümlichen Sagen-Geschichten wie nackte, verschmutzte Wichtel, die im Wald herumstreifen und mitunter in Fallgruben landen, mit Actionfilm-Sequenzen und Humor. Die Witze gehen dabei vor allem auf Kosten der finnischen Provinz und der US-Amerikaner.

Am Ende, das ist jedem Kenner der Kurzfilme klar, hat Pietaari den Weihnachtsmann besiegt. Aus seiner nun willenlosen Wichtelarmee fabrizieren die Väter das "rare Exportgut" des Titels: Lebendige Weihnachtsmänner für die ganze Welt. Sie werden ein Jahr lang mit harten Methoden erzogen, und dann in Kisten in die ganze Welt verschickt.

Hört auf Eure Kinder!

Ein ebenso irrwitziger, wie lustiger Film, der sich an keiner Stelle unangemessen ernst nimmt. Voller schwarzem Humor, gelegentlich ironisch und mit konsequent schlechten Geschmack räumt der Film mit Weihnachtskitsch und nostalgischen Pop-Mythen, etwa der populären Coca-Cola-Werbe-Version des Weihnachtsmannes auf - in diesem Sinn ist "Rare Exports" der beste Anti-Weihnachtsfilm seit langem.

Zugleich ist dies aber auch, da konsequent aus der Sicht des kleinen Pietaari erzählt wird, ein Kindertraum über Heldentum und das Sich-Aufopfern für höhere Ziele, dem es nicht an Poesie und anrührenden Momenten fehlt. So kann der Zuschauer das Geschehen auch bis zum Ende für die Tagträume eines einsamen Kindes halten, das den Tod seiner Mutter durch derartige Schreckens-Phantasien verarbeitet. Die Ausgelassenheit eines Kinderfilms dominiert in "Rare Exports" jedenfalls alles andere. Und am Ende steht dann eine durchaus weihnachtliche Moral: Erwachsene sollten mehr auf das hören, was Kinder ihnen sagen.