Der Euro unter Beschuss (II)

Die Eurozone war ein einmaliges volkswirtschaftliches Experiment - sie war jedoch von Geburt an zum Scheitern verurteilt

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2010 war ein Annus horribilis für die Europäische Währungsunion. Die Staatsfinanzierung von Griechenland, Irland und Portugal hat de facto die EZB übernommen, während die solventen EU-Staaten schon jetzt für Forderungen in Billionenhöhe bürgen. Die Eurokrise köchelt vor sich hin und hat noch lange nicht ihren Siedepunkt erreicht. Sollte sich die EU nicht auf eine abgestimmte Wirtschafts- und Finanzpolitik einigen, steht sie vor einem Scheidepunkt. Neben den ökonomischen Problemen der Gemeinschaftswährung sind es jedoch nun vor allem die politischen Probleme, die der Gemeinschaftswährung ein jähes Ende bereiten könnten. Es ist unwahrscheinlicher denn je, dass es den Euro in der momentanen Form in zehn Jahren noch geben wird.

War der Euro eine Totgeburt?

Als der Euro am 1. Januar 2002 als offizielles Zahlungsmittel eingeführt wurde, stand seine Geburt unter einem schlechten Stern. Zehn Jahre zuvor zerbrach bereits der Vorgänger des Euro an einer mangelnden politischen Abstimmung der Mitgliedsländer. Das EWS wurde 1979 als Kind von Helmut Schmidt und Valéry Giscard d'Estaing als Nachfolger des Bretton-Woods-Systems der festen Wechselkurse ins Leben gerufen. Ziel des EWS war es, die festen Wechselkurse auf europäischer Ebene wieder einzuführen, indem man die Mitgliedswährungen in einem engen Band halten wollte - sollte eine Mitgliedswährung aus diesem Band auszuscheren drohen, verpflichteten sich die Mitgliedsstaaten über ihre Zentralbanken zu intervenieren.

Schon damals gab es jedoch ideologische Differenzen zwischen den europäischen Kernstaaten, die sich vor allem in der Währungs- und Finanzpolitik manifestierten. Die harte D-Mark des exportorientierten Deutschlands war eine Art Ankerwährung des EWS, der permanente Aufwertungsdruck der D-Mark dessen Geburtsfehler. Als Deutschland nach der Wiedervereinigung seine Wettbewerbsfähigkeit abermals steigern konnte und die Bundesbank den Leitzins mitten in einer europäischen Wirtschaftsflaute erhöhte, führte dies 1992 zum Bruch des EWS. Italien und Großbritannien mussten nach Spekulationsangriffen das EWS verlassen, kurze Zeit später mussten Portugal, Spanien und Irland abwerten. Mitte 1993 wurde das EWS de facto beerdigt, als man die zulässige Schwankungsbreite der Mitgliedswährungen von 4,5 Prozent auf stolze 30 Prozent ausweitete. Die Parallelen zur Euro-Krise drängen sich förmlich auf. Für Deutschland folgten neun harte Jahre, in denen eine harte D-Mark die Exporte ins europäische Ausland behinderten. Damit sollte mit der Einführung des Euro Schluss sein, da die Gemeinschaftswährung gar keine Auf- und Abwertungen zwischen den Mitgliedsländern mehr zulässt.

Der Euro war und ist ein Kind der Deutschen und nach nicht einmal einer Dekade läuft die Gemeinschaftswährung bereits Gefahr, an ihren Geburtsfehlern zu Grunde zu gehen. Seit der Einführung des Euro stiegen die Gewinne deutscher Unternehmen ebenso wie deren Exporte. Ein Hauptgrund für diese Entwicklung waren und sind die relativ zu niedrigen Löhne in Deutschland. Höhere Löhne steigern nicht nur die Lohnkosten und senken somit die Exporte, sondern steigern auch die Binnennachfrage und somit die Importe. Wenn man sich die volkswirtschaftliche Schieflage der Eurozone anschaut, dann geht es daher auch weniger um die Im- oder Exporte, sondern um die Differenz zwischen ihnen, die sogenannte Außenhandelsbilanz. In einem geschlossenen System kann allerdings eine Volkswirtschaft nur dann stetige Exportüberschüsse haben, wenn eine andere Volkswirtschaft stetige Importüberschüsse aufweist. Da die exportierten Güter jedoch auch bezahlt werden müssen, führt ein stetiger Exportüberschuss immer dann zu einem stetigen Kapitalabfluss, wenn die Investitionen der Exporteure im Land der Importeure kleiner sind als der Warenexportüberschuss. Genau dies ist jedoch in der Eurozone der Normalzustand. Wenn die finanziellen Mittel der Importeure jedoch aufgebraucht sind, lässt sich dieses Modell nur weiterbetreiben, wenn der Exporteur dem Importeur Geld "leiht".

Unüberbrückbare Differenzen

Im Endergebnis werden deutsche Waren ins Ausland verkauft und mit Geld bezahlt, dass die deutsche Volkswirtschaft den Käufern "leiht". Gäbe es keine Währungsunion, wäre dieses Geld schon längst durch stetige Aufwertungen der D-Mark und Abwertungen anderer europäischer Währungen "verbrannt". Mit dem Auseinanderbröckeln der Eurozone wird jedoch immer deutlicher, dass das deutsche "Erfolgsmodell" kein Perpetuum mobile ist. Will man nicht von der deutschen Exportorientierung abrücken, wird man - wohl oder übel - die Forderungen deutscher Unternehmen, Privatpersonen und auch des deutschen Staates im Euroausland "glattziehen" müssen. Dann können wir dem Ausland frisches Geld leihen, mit dem es unsere Produkte kaufen kann. Dies ist ökonomisch möglich, aber politisch wohl kaum durchzusetzen. Wenn Angela Merkel lautstark fordert, dass die Gläubiger an den Abschreibungen der Papierforderungen an die Euro-Peripherie beteiligt werden sollen, jubelt die schwäbische Hausfrau. Jubelt sie immer noch, wenn ihr aufgeht, dass sie selbst der Gläubiger ist? Jubelt sie auch dann noch, wenn ihr aufgeht, dass die deutschen Exportüberschüsse nicht nur aufgrund ihrer Lohnzurückhaltung erzielt, sondern auch mit ihrem Geld gekauft wurden?

Wenn die Mitglieder einer Währungsunion in den Punkten Wachstum, Defizit, Produktivität und Leistungsbilanz langfristige Diskrepanzen aufweisen, ist die Gemeinschaft und ihre Währung langfristig auch nur durch dauerhafte Transfers zusammenzuhalten. Aus der halben EU einen Transferempfänger zu machen, ist jedoch politisch schwer realisierbar. Aber ohne die Möglichkeit, die Differenzen der europäischen Volkswirtschaften durch Auf- und Abwertung der lokalen Währungen auszugleichen, wird die deutsche Volkswirtschaft jedoch wohl oder übel ihre Forderungen abschreiben müssen, wenn man diese nicht durch Transfer selbst ausgleichen will. Weder Griechenland noch Irland (dessen Überschuldung andere Gründe hat) werden unter dem status quo ihre Schulden zurückzahlen können - schon gar nicht unter einem deutschem Sparkommissariat. Auch Portugal, Spanien und Italien werden als Schuldner mittel- bis langfristig ausfallen. Die entscheidende Frage wird daher sein, wie man diese Sorgenkinder in der Gemeinschaftswährung halten will.

Last Exit Haircut?

Selbstverständlich ist ein Staatsbankrott nicht mit dem Ende der Geschichte zu verwechseln. Die Krisenpolitik der EU hat bereits jetzt dazu geführt, dass die EZB sich massiv als Staatsfinanzierer betätigt. Staatsanleihen der Problemländer werden am Markt Insidern zufolge ausschließlich von der EZB gekauft. Die EZB zahlt somit die privaten Gläubiger aus und wird bei einem Staatsbankrott und dem damit einhergehenden Haircut neben einigen bereits verstaatlichten oder künftig zu verstaatlichenden Banken der Hauptgeschädigte sein. Welche Auswirkungen hätte ein Haircut, bei dem primär die EZB und die Staaten Papierforderungen abschreiben? Die EZB ist eine Zentralbank und kann - theoretisch - negative Bilanzen ganz einfach durch das Drucken von Papiergeld in einem Schattenhaushalt "glattziehen". Nach monetaristischer Logik wäre dies zwar inflationsfördernd - warum und an welcher Stelle ein solcher Buchungstrick der EZB inflationsfördernd sein soll, erschließt sich jedoch nicht.

Düstere Aussichten

Welche Wege gibt es also aus der Euro-Krise? Eine andauernde Transferunion ist politisch nicht umsetzbar. Eine Gemeinschaftsanleihe (Euro-Bond) würde zwar den Finanzierungsdruck der PIIGS-Staaten deutlich verringern - an den grundlegenden Problemen würde dies jedoch auch nichts ändern. Ein Spardiktat ist nicht umsetzbar und wird über kurz oder lang zu einem Staatsbankrott der Problemländer führen. Ein Haircut - sofort oder später - belastet vor allem die Konten der Volkswirtschaften, die über Jahre hinweg Exportüberschüsse erzielen konnten, ändert aber nichts an der Schieflage der Volkswirtschaften innerhalb der Währungsunion. Ohne eine Beseitigung dieser Schieflage wird die Eurozone aber auf Dauer nicht fortbestehen können. Bereits heute fordern etliche Volkswirte den Austritt der südlichen Problemstaaten aus der Eurozone - noch mehr Volkswirte fordern allerdings den Austritt Deutschlands aus der Gemeinschaftswährung.

Ohne eine langfristige gemeinsame und aufeinander abgestimmte Finanz- und Wirtschaftspolitik droht dem Euro das vorzeitige Aus. Da aber eher die Hölle zufriert, als dass Deutschland sich von seiner neoliberal geprägten Exportorientierung verabschiedet, und eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik Handelsbilanzdefizite ausgleichen müsste, ist diese "Wirtschaftsregierung" ebenfalls ein schwer vorstellbares Szenario. Eine Gemeinschaftswährung ohne gemeinschaftlichen Willen ist jedoch wahrscheinlich ohnehin ein Kunstgebilde, dem man keine Träne nachweinen sollte.

Teil III der Serie beschäftigt sich mit den Folgen eines möglichen Zusammenbruchs des Euro

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