Die schweizerische Schuldenbombe

Großbanken haben jeden Schweizer potentiell mit einem Risiko von 4.500.000 CHF exponiert

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Die Gebrüder Grimm hätten wahrscheinlich gerade ihre helle Freude an dem, was sich an Volksverdummung in vielen Volkswirtschaften abspielt. Gesundrechnen durch Gelddrucken heißt die Devise, welche die Währungen in einer Art Wirtschaftskrieg abwarten lässt, um die Verschuldungsquoten zu senken. Dass dies langfristig funktioniert, hat der Dollar bewiesen, nur ist dieser die Weltwährung, was man vom schweizerischen Franken nicht behaupten kann.

Deshalb wissen die Notenbanker, dass es besser ist, über Wahrheiten zu schweigen und statt dessen mit relativen Gewissheiten zu arbeiten, die einen hohen Interpretationsspielraum zulassen. Dass die Schuldenkrise von Nationalstaaten alles andere als vorbei ist, haben Griechenland und Irland unter Beweis gestellt, bald werden dies wahrscheinlich auch Portugal und Spanien tun. In Zeiten der Krise suchen die Menschen nach Sicherheit. Doch ist die Schweiz mit einer der höchsten Hypothekenquoten der Welt wirklich ein sicherer Hafen? Darf man der Schweizerischen Nationalbank, die genau wie die FED und die EZB eine Privatbank ist und als Schuldenjunkie agiert, vertrauen?

Der Schweizer Franken ist genauso wenig wert wie der US-Dollar, wenn es zu einer weltweiten Vertrauenskrise kommt. Deshalb gilt es, so viel wie möglich zu verschleiern, was sich mit Zahlenmaterial besonders intelligent anstellen lässt. Aufgrund der viel zu geringen Mindestreserven der schweizerischen Banken durch riesige Hebel und deren relativen Überschuldung gemessen am Bruttosozialprodukt ist auch die Schweiz kein sicherer Hafen für Vermögen mehr, vor allem nicht der schweizerische Franken.

Kein Wunder, dass das intelligente Geld bereits nach Hongkong, Singapur und Brasilien flüchtet. Deshalb fordert die Expertengruppe des Bundes zu Recht, dass die Schweizer Großbanken UBS und Credit Suisse ihr Eigenkapital mehr als verdoppeln sollen. Doch auch eine Aufstockung auf rund 76 Milliarden Franken ist für die Schweiz immer noch ein immanentes Systemrisiko. Der Beinahekollaps der UBS hat gezeigt, wie abhängig die Schweizer Volkswirtschaft von den Großbanken ist. 2009 hatte die Schweiz ein BIP von rund 535 Milliarden Franken. Mit einer Einwohnerzahl von knapp 8 Millionen (Stand 2009) ergibt sich pro Einwohner in der Schweiz ein Bruttosozialprodukt von etwa 68.000 Franken.

Die Schweiz im Währungskrieg

Ein schweizerisches Krisenszenario und auch dasjenige des schweizerischen Franken als Weichwährung gegenüber asiatischen Währungen ist nicht abwegig. Da die Schweiz nicht nur hohe Gebirge hat, sondern auch auf großen Bergen von Schulden sitzt, kann die Nationalbank zwar frisches Geld drucken, jedoch wissen wir, dass man durch noch mehr Schuldenmachen die eigentlichen Probleme nur verschlimmbessert.

Die entscheidende Frage bei den Währungen ist, wer am meisten Geld druckt und wo das Vertrauen am schnellsten verloren geht. Deshalb kann man mit Fug und Recht sagen, dass sich auch die Schweiz heute schon im Währungskrieg befindet, den eigentlich niemand gewinnen kann, der überschuldet ist, denn früher oder später wird es zu einer Abwertung vieler Staatsanleihen auf Junk Bond Niveau kommen.

Ein Staat, der sich kontinuierlich verschuldet, gerät in eine gefährliche Abwärtsspirale, da mit zunehmenden Schulden die Zinslast steigt, die durch den Zinseszinseffekt zur Aufnahme von immer neuen Schulden zwingt. Deshalb hat die Ratingagentur Standard & Poor's bereits begonnen, die Bonität einzelner Staaten herabzustufen, wobei sie natürlich die USA aus ihren Betrachtungen bisher ausklammert. Gemessen an der Datenlage könnte man meinen, dass der Schweizer Staat auf soliden Beinen steht. Die Nettostaatsschuld betrug im Jahr 2008 etwa 220 Milliarden Franken, was einen Anteil von 41,5 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ausmachte.

Der Blick auf die Staatsschulden ist jedoch trügerisch, da sich durch die Verbindlichkeiten der Großbanken und außerbilanziellen Derivateschulden diese Quote im Falle eines weltweiten Anleihecrashes sehr schnell auf über 100 Prozent des BIP erhöhen könnte. Zwar muss der Staat nicht für die gesamte Passivseite der Banken garantieren, da den Bankschulden Werte auf der Aktivseite gegenüberstehen, der Staat müsste im Fall einer neuerlichen Finanzkrise jedoch alle Löcher stopfen, die sichtbaren und die unsichtbaren, die durch die aufgeweichten Bilanzierungsmethoden und durch außerbilanzielle Positionen auftreten.

Osteuropakredite im Umfang von 75 Milliarden CHF sind zwar nicht über Interbankenkredite von Schweizer Banken direkt finanziert, sondern über den Kapitalmarkt und damit breit im Markt gestreut, jedoch wirken sich hohe Abschreiber auch direkt auf das Nettovermögen der Schweizer aus, was stark in Mitleidenschaft gezogen würde. Letztendlich hat nur das Aufspannen von Rettungsschirmen in der EU bisher die osteuropäischen Länder vor dem schlimmsten bewahrt. Die Verschuldung vieler Marktteilnehmer in schweizerischen Franken birgt hier immer noch ein erhebliches Risiko.

Too big to fail

Die Probleme von UBS und anderen Geldinstituten in Europa zeigen, dass diese ganze Volkswirtschaften destabilisieren können. Deshalb haben die Ökonomen ein eigenes Akronym für internationale Großbanken geprägt: "SIFI" - Systemically Important Financial Institutions. Etliche dieser Banken wie die UBS sind immer noch so groß, dass ihre Mutterländer nicht in der Lage sind, diese im Notfall vor dem Untergang zu retten. Deshalb kann hier nur eine Zerschlagung in UBS-Babyfirmen (wie 1984 bei AT&T) und eine weitere Schrumpfung von UBS und Konsorten Abhilfe schaffen.

In Ländern wie der Schweiz, den Niederlanden und auch Großbritannien sind ähnliche Katastrophen wie in Island und Irland möglich. Mindestens 30 europäische Banken haben Verbindlichkeiten, die mindestens halb so hoch ausfallen wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ihres Mutterlandes. Besonders extrem ist es in der Schweiz, wo sich alleine die Schulden der UBS auf fast das Vierfache der dortigen Wirtschaftsleistung belaufen. Auch die Außenstände der Credit Suisse belaufen sich auf immerhin noch das Zweifache des schweizerischen BIP. Zusammen also mehr als das 6-fache des BSP. In Großbritannien summieren sich die Zahlungsverpflichtungen aller Geldinstitute auf das 5,5-Fache der Wirtschaftsleistung. Hier tickt eine ökonomische Schuldenzeitbombe.

Auch in der Schweiz übersteigen die steigenden Staatsschulden die Möglichkeiten, die UBS oder Credit Suisse im Ernstfall zu retten. Der schweizerische Staat ist bei UBS und Credit Suisse in einem Gefangenendilemma, das sich bei einer Vertrauenskrise nicht lösen lassen wird. Eine Rettung würde unmittelbar den Staatsbankrott der Schweiz nach sich ziehen. Die Schweiz ist dank UBS und Credit Suisse in finanzieller Hinsicht zu einem riesigen Alpen-Hedgefonds degeneriert. Kein Wunder, dass jetzt ein ehemaliger Hedgefondsmanager als Notenbankchef den Konkursverwalter spielen muss.

An der Ideologie der Großbanken, dass Wachstum Wettbewerbsvorteile bietet, wird er sich noch die Zähne ausbeißen. Schweizerische Banken sind in Wahrheit nicht "too big to fail" sondern "too big to rescue"! Die Schweiz wäre für einen Kollaps der UBS definitiv nicht gerüstet. Im Falle einer Insolvenz einer schweizerischen Großbank müsste ein internationales Rettungspaket geschürt werden. Vielleicht kommt der Bailout dann von China, das schon bei Griechenland als Aasgeier in Erscheinung getreten ist.

Sanierung des schweizerischen Bankensystems

Die bisherigen Rettungskosten der UBS von 60 Milliarden CHF könnten sich als bei weitem nicht ausreichend erweisen, wenn es zu weiteren Staatsbankrotten kommt. Zusammen haben die UBS und CS Kredite in der Höhe von 640 Milliarden Franken ausstehen, was im Falle eines Platzens der weltweiten Anleihebubbles Abschreibungen in dreistelliger Milliardenhöhe zur Folge hätte.

Dies wissen auch die Amerikaner, sonst hätten sie die UBS wohl kaum zur Herausgabe von Kundendaten an die USA unter Umgehung des üblichen Rechtsweges zwingen können. Die Schweiz ist durch ihre wie Krebsgeschwüre gewachsenen Großbanken erpressbar geworden. Auch der Fall des Bankgeheimnisses ist Ausdruck dieser aufgrund der Auslandverschuldung geschwächten Wettbewerbsposition des schweizerischen Bankenplatzes. Deshalb kann die Devise nur Gesundschrumpfen sein. Den schweizerischen Großbanken muss als erstes der Eigenhandel verboten werden. Die wie Legebatterien anmutenden Tradingstations der UBS dürfen nicht weiter als Zockerbrutstätten genutzt werden. Des Weiteren müssen die Grossbanken entflochten werden, das heißt eine Trennung in Geschäfts- und Investmentbanking sollte vollzogen werden. Eine Entflechtung durch komplette Verselbständigung einzelner Konzernteile könnte ein Übriges tun, das Risiko bezogen auf die Gesamtbank zu begrenzen.

Sollten die Banken hier nicht einlenken, wäre wegen des hohen Risikos eine Zwangsaufspaltung einzuleiten. Gruebels Mehr-Risiko-Ansatz war schon bei seinen Vorgängern die Ursache der heutigen Probleme und kann deshalb keine Lösung sein. Zukünftig müssten klare Größenbegrenzungen durchgeführt werden. So sollte die UBS bezogen auf ihre Bilanzsumme nicht mehr größer werden als maximal die Hälfte des Bruttosozialproduktes. Eine Bank, die diese Größe erreicht hat, sollte dann eine Eigenkapitalquote von mindestens 40 % aufweisen, um im Krisenfall genügend Liquidität zu haben.

Die Schweiz muss hier schon deshalb handeln, weil außer Liechtenstein und Luxemburg kein Land Europas so abhängig von seinen Banken und Versicherungen ist wie die Schweiz. Immerhin stammten in Hochzeiten des Finanzbooms nahezu 14 bis 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Schweiz aus der Finanzwirtschaft, wohingegen es in Großbritannien nur sieben und in den USA nur fünf Prozent sind. Ein Schelm, wer hier Böses denkt!

Unkalkulierbare Derivateschulden

Wie auch in den USA betreibt die schweizerische Notenbank mit ihrer Quantitative-Easing-Strategie eine Refinanzierung der Bundesobligationen sowie der Unternehmen mit der Notenpresse. Dass die Lage trotz aller Beschönigungen ernst ist, zeigt auch die Zunahme der Konkurse von Januar bis Oktober 2010. Die Zahl der Firmenkonkurse in der Schweiz nahm gegenüber dem Vorjahr um 24 Prozent zu, wobei Experten mit Ende des Jahres mit etwa 6.200 Firmenpleiten rechnen.

In der Schweiz wird 2010 mit einer Neuverschuldung von 11,75 Milliarden Franken durch Bund, Kantone und Gemeinden gerechnet. Dies ist zwar gemessen am Bruttosozialprodukt gering, jedoch sieht die Lage bei den außerbilanziellen Derivatepositionen wahrscheinlich viel dramatischer aus. Deshalb kann es nur verwundern, wenn die Großbank UBS jetzt wieder größere Risiken eingehen will. Die Lage ist also alles andere als entspannt und ein Blick in die Statistiken der Nationalbank ist ebenso trügerisch. Die dort ausgewiesenen Derivatepositionen dürften gemessen am weltweiten Marktanteil schweizerischer Banken kaum der Wirklichkeit entsprechen. Doch dies spielt so lange keine Rolle, wie das Vertrauen in die Schweiz gewahrt bleibt. Doch wie groß ist das Problem wirklich?

Die wahrscheinlichen außerbilanziellen Derivateschulden der Großbanken (unter der Annahme, dass die Schweiz etwa 1 % des Welt-BSP ausmacht und mit Hebel 6 geleveraged ist, bei einem Ausfallrisiko von lediglich 10 % des weltweiten Derivatevolumens von etwa 600 Billionen USD) betragen pro Schweizer mindestens 450.000 CHF. Die Tatsache, dass jeder Schweizer Bürger (auch das neugeborene Kleinkind) durch das Zocken der Großbanken mit einem maximalen Risiko von 4.500.000 CHF in den potentiellen Büchern zukünftiger Konkursverwalter steht, kann im Falle einer erneuten heftigen Finanzkrise zu einem Billionengrab führen.

Würde es zum ultimativen Supergau einer vollständigen Systemkrise kommen, wäre der Staatsbankrott der Schweiz sowieso besiegelt. Entscheidend für die Schweiz wird es sein, wie lange das Vertrauen aufrechterhalten werden und der weltweite Ponzi-Derivatemarkt nicht vollständig kollabiert. Noch ist das Vertrauen durch die Eurokrise so stabil wie das Matterhorn, aber auch die Schweiz ist vor einem finanziellen Erdbeben am Derivatemarkt und in Folge des Franken und seiner Staatsanleihen nicht gefeit.