Männerphantasien im Konzentrationslager

Israels schmutzige kleine Geheimnisse und die Sittengeschichte der Vernichtungsindustrie - "Pornografie & Holocaust"

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Grauen, Sex und Popkultur: In "Eis am Stiel" masturbiert ein jugendlicher Held mit einem "Stalag"-KZ-Comic in der Badewanne. Die Dokumentation "Pornografie & Holocaust" greift solche Motive auf, erzählt den Hintergrund der "Stalag"-Pulp-Geschichten und handelt damit von Lust und Begierde im Schatten der Shoah. So rührt der Film damit an gleich mehrere Tabus. Nazi-Exploitation aus Israel - aus diesem Land hatte man mit so einem Dokumentarfilm wohl am wenigsten gerechnet. Ari Libskers Dokumentarfilm folgt den Spuren der Sexualisierung eines Traumas in der israelischen Shoah-Kultur und dringt so ein ins Minenfeld der israelischen Geschichtspolitik.

Ausschnitt aus dem Trailer

"Stalag 17" so heißt eine eher unbekannte Filmkomödie Billy Wilders aus dem Jahr 1953. Eingeweihte wissen, das "Stalag" im NS-Jargon die Abkürzung für "Stammlager" war, gemeint waren hiermit vor allem Kriegsgefangenenlager - und so ist "Stalag 17", in dem immerhin William Holden die Hauptrolle spielt, der seltene Fall einer Lagerkomödie. Dass man darüber im Deutschland nach dem Krieg nicht lachen wollte, ist verständlich.

Um so bizarrer ist das, wovon der israelische Regisseur Ari Libsker jetzt erzählt: Ausgerechnet in Israel kamen in den sechziger Jahren Groschenromane und B-Movies mit (soft-)pornografischen Geschichten, die in deutschen Lagern angesiedelt sind, in Mode. Im Zentrum dieses sogenannten "Stalag"-Genres standen sadomasochistische Geschichten um Häftlinge und ihre Bewacher, Kriegsgefangene und Nazi-Schergen. Liebskers Dokumentarfilm "Pornografie & Holocaust" erzählt nun diese unbekannte Episode.

Ebenso triviale, wie schamlose Exploitation

Der Eichmann-Prozess 1961, der - seinerzeit täglich im deutschen Fernsehen nach der "tagesschau" zusammengefasst - in Deutschland den millionfachen Mord in deutschen Vernichtungslagern erstmals zum Gesprächsthema machte, wurde auch in Israel zum Katalysator. Denn auch im Land der deutschen Opfer war das Morden und das Lagerleben ein Tabu, erst recht in seinen grauenvollen Details: Über die Demütigungen der Überlebenden, über ihre Schuldgefühle wie ihre Erlebnisse wurde kaum gesprochen. Scham, Verdrängung und Sehnsucht nach Normalität dominierten das Leben dieser Jahre.

In den "Stalag"-Heftchen und Filmen brach sich das Verdrängte in Form sexueller Phantasien Bahn. Zu Hunderttausenden waren zunächst die bunten Groschenhefte auf dem israelischen Markt, später kamen Filme hinzu, und das Genre verließ Israel, mündete ins italienische Sadico-Nazista (worunter durchaus anspruchsvolle Filme fallen, wie Lina Wertmüllers "Sieben Schönheiten") und in andere europäische und einige US-Produktionen der Naziploitation ("Ilsa - She-Wolf of the SS").

Libskers Film erzählt die Geschichte dieses vergessenen Teils der israelischen Pop-Kultur. Er bildet ein ebenso triviales, wie schamloses Exploitation-Pendant zur systematischen Aufarbeitung der Verbrechen im Eichmann-Prozess.

Ausschnitt aus dem Trailer

Die Handlung, die aus vermeintlich authentischer Ich-Perspektive geschrieben ist, folgte dort einem immer sehr ähnlichen Muster schwarzer Phantasie: In einem deutschen Lager werden Gefangene von weiblichen Wärterinnen und SS-Angehörigen gequält und sexuell missbraucht. Peitschen, Fesselungen und große Hunde spielen eine wichtige Rolle. Zum glücklichen Ende bekommt dieser wiederum Gelegenheit, diese nun selbst sexuell zu erniedrigen. Doppelte Vergewaltigungsphantasien.

Die Männer imaginierten sich in die Rolle der Gefangenen. Aber manche israelische Frau übernahm in ihrer Phantasie den Part der SS-Domina. "Wir haben nicht Victor Hugo gelesen, sondern die Stalags. Es war eine Revolution gegen die Eltern. Ein Akt der Unabhängigkeit", behauptet Hanna Yablonka, heute Historikerin an der Ben-Gurion-Universität in Beerscheba und akademische Beraterin an Libskers Film.

Vergewaltigungsphantasien

Der Befreiungscharakter dieser Vergewaltigungsphantasien hielt sich offenbar in Grenzen. Denn zugleich bestand die Scham fort: Die israelischen Autoren, überdies in vielen Fällen auch noch Kinder von Überlebenden der Shoah, tarnten sich unter englischen Pseudonymen wie Mike Baden, Archie Berman, Ralph Butcher oder Mike Longshot. In der israelischen Gesellschaft war der Tabubruch doppelt, denn Pornographie als solche war seinerzeit etwas völlig Neues. Damit waren die "Stalag"-Hefte die damals einzig verfügbare Sexliteratur - und viele junge Israelis dieser Generation dürften ihre ersten Onanie-Erlebnisse über Vorlagen grausam-lüsterner SS-Dominas und Nazi-Schergen, in Identifikation mit gefangenen alliierten Soldaten oder KZ-Häftlingen gehabt haben.

Es gab allerdings gewisse Vorgänger. Der berühmteste ist der Romanautor unter dem Pseudonym "K.Zetnik", eigentlich Yehiel Dinur, ein Auschwitz-Überlebender, später Zeuge im Eichmann-Prozess, der 1953 "Das Haus der Puppen" veröffentlichte, ein phantastischer Roman über jüdische "Feldhuren" und "Freuden-Abteilungen" für Landser - gemeinsam mit seinem Roman "Salamandra", der bereits 1948 veröffentlicht wurde, zugleich überaus frühe und daher bildprägende Schilderungen aus dem dunklen Herz des Vernichtungs-Terrors. Heute zählen einige dieser Romane zum Schulstoff.

Himmlers Lagerbordelle

Muss betont werden, dass die geschilderten Geschehnisse völlig aus dem Reich der Phantasie stammen? Wohl schon. Zugleich ist die Phantastik dieser Phantasien weniger eindeutig, als es manchen recht wäre. Denn es ist schlicht falsch, wenn Rezensenten jetzt schreiben, weibliche SS-Angehörige oder "eine offizielle kollektive Zwangsprostitution jüdischer Frauen für NS-Soldaten" habe es nicht gegeben. Zumindest gab es in den Lagern zahlreiches weibliches SS-Personal.

Als reale Vorlage für viele "Stalags" gelten bekannte KZ-Aufseherinnen wie Irma Grese oder Ilse Koch, die "Hexe von Buchenwald", die Häftlinge mit der Peitsche gejagt haben soll. Grese, Aufseherin in Ravensbrück, Auschwitz und Bergen-Belsen, war bekannt für ihre scharfen Hunde und ihre schwarzen Stiefel, mit denen sie ihre männlichen Opfer quälte.

Ausschnitt aus dem Trailer

Und auch die zweite Feststellung ist diskutabel, weil überaus interpretierbar. Denn sie enthält genau genommen drei Einschränkungen: "offiziell", "kollektiv" und "Zwang". Wann ist dieser "Zwangscharakter“ gegeben? Wann ist es offiziell und wann kollektiv? Schon Eugen Kogon berichtete in "Der SS Staat" 1946 von durch die SS zwangsrekrutierten jungen Frauen, die in Konzentrationslagern in Bordellen sexuelle Dienste leisten mussten - für Gefangene, die besonders privilegiert waren. Aber wirklich nie für ihre Wärter? Der spanische Autor Jorge Semprún bestätigt diese Beobachtung in "Was für ein schöner Sonntag".

Wie Robert Sommers wissenschaftliche Studie "Das KZ-Bordell. Sexuelle Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern" mit einer Fülle von Quellen und Zeugenberichten belegt, wurden 1942/43 auf Weisung Himmlers in mehreren KZs (u.a. Auschwitz, Dachau, Flossenbürg, Mauthausen) Lagerbordelle errichtet. Die Frauen wurden zu ihren Diensten gezwungen.

Auch an diesen Orten herrschten der totale Machtanspruch des Systems, wie dessen Rassismus: Deutsche Bordellbesucher durften nur deutschen Frauen zugeführt werden, die Zwangsarbeiterinnen mussten "arischer" Herkunft sein, und jüdische oder russische Häftlinge waren prinzipiell von diesen Lagern ausgeschlossen. Das lange bezweifelte, als Mythos ins Reich der Fantasie verwiesene, Phänomen der Lagerprostitution ist also inzwischen historisch belegt.

Private Bitches in Public Places

Es trifft auch nicht zu, dass in diesen Heften Täter immer weiblich, Opfer männlich waren. Der berühmteste der "Stalag"-Romane, "Ich war Oberst Schultzes Hündin", erzählt von einem SS-Offizier, der eine französische jüdische Insassin eines Lagers foltert.

Worin lag die perverse Popularität des "Stalag"-Pulp-Genres begründet? Mit dieser Frage dringt man direkt ein ins Minenfeld der israelischen Geschichtspolitik. Im Israel der 1960er Jahre, in dem jeder zweite Bürger ein Holocaust-Überlebender war, das sich von Feinden umgeben in ständiger Verteidigungssituation befand, das zudem das Trauma der Beinahe-Vernichtung 15 Jahre nach der Befreiung, 12 Jahre nach der Staatsgründung noch keineswegs verarbeitet hatte, war man, wie im Film erklärt wird, auf „eine perverse Weise“ fasziniert von den Nazis, die tödlich und stark erschienen, und deren Lederuniformen viril, männlich und attraktiv wirkten. Diese vermeintlich starken bösen Schurken waren das Gegenteil der vermeintlich schwachen jüdischen Opfer, mit dem sich niemand identifizieren wollte.

“Der Gedanke an diese nichtjüdische Deutsche erregt mich so, dass ich sie im Namen der sechs Millionen ficke“

Libsker versucht aber auch das zunächst Unverständliche an dieser erotischen Aufladung von Mord und Schrecken zu erklären: Es ging hier nur 15 bis 20 Jahre nach dem Menschheitsverbrechen des Holocaust vor allem um eine phantasierte (und oft genug unbewußte) Kompensation erlebter oder aus den Erzählungen der Eltern und Verwandten gekannter Schrecken, um ein ersatzweises Ausleben der Erlebten oder Gefürchteten. Heute gehört der sexualisierte Blick auf die Schrecken und das Motiv des sadistischen Täter-Begehrens zum konventionellen Repertoire fiktionaler Holocaust-Erzählungen, von "Schindlers Liste" bis zu Littells "Die Wohlgesinnten".

Einer der Interviewten im Film, ein israelischer Rechtsanwalt, erzählt seine Phantasien beim Sex mit seiner deutschen Freundin. Er stelle sich beim Sex ihren Großvater, einen SS-Offizier und Judenmörder vor: "Wenn ich ihr Gesicht sehe, denke ich an ihren Großvater, den SS-Offizier, und sage: Du hast Juden getötet, und jetzt schau dir an, was dieser Jude deiner Enkelin antut. ... Der Gedanke an diese nichtjüdische Deutsche erregt mich so, dass ich sie im Namen der sechs Millionen ficke. Und zwar so, dass ich sie von hinten ficke oder Gewalt anwende. Das erregt mich. Und es erregt sie."

Sexualtherapeuten beschreiben diese häufig vorkommende "Erotisierung eines Traumas" und berichten von vereinzelten Fällen, in denen Ex-KZ-Häftlinge sexuelle Fantasien um SS-Wachen entwickelten. Es liegt nahe, hier auch von einer Identifikation mit dem Aggressor zu sprechen. "Den größten Fall eines Stockholm-Syndroms, der je diagnostiziert wurde", vermutet der amerikanische Kritiker David Fear.

Libsker erzählt die Geschichte des Genres, interviewt Kritiker, Historiker und Sexualexperten und Fans des Genres und rekonstruiert so den Umgang der israelischen Gesellschaft jener Jahre mit den Erinnerungen an den Holocaust.

Sein ebenso erstaunlicher wie hervorragender Film widersteht der naheliegenden Versuchung, selbst die Exploitation zu verdoppeln: Seine Bilder sind nicht grell, sondern dezent und bei aller Faszination für den Gegenstand ist er an Aufklärung interessiert. Denn der Regisseur, nach eigener Einschätzung "linksextrem", warnt vor "jeder Trivialisierung der Shoa." Hoffentlich, denkt man, hat er nicht die deutschen Filme "Der Untergang" oder "Napola" gesehen - Pornografie ganz anderer Art.

Nicht nur in Israel, noch mehr in Deutschland wollten viele das alles sowieso anders und am besten gar nicht sehen: Sowohl die Berlinale, deren Panorama-Reihe noch für jede Amateurdoku einen Platz hat, sofern sie nur Homosexuelles zum Sujet hat, als auch das für Israel-Kritik ansonsten immer offene Leipziger Dok-Festival lehnten diesen Film für ihr Programm ab. Tabus also allerorten.

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