"Semiotische und emotionale Kampfzone"

Interview mit dem Kulturwissenschaftler Daniel Hermsdorf über gegenwärtige Tendenzen der Fernsehkultur

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Der Medienwissenschaftler Daniel Hermsdorf ist Betreiber eines Blogs und hat sich in seiner neuesten Buchpublikation Glotze fatal - wie TV-Unterhaltung Leben zerstört auf über vierhundert Seiten in vielen detailreicher Studien dem Thema Fernsehen gewidmet.

Herr Hermsdorf, Sie haben jahrelang das deutsche Fernsehprogramm beobachtet und analysiert. Wie konnten Sie das nur aushalten?

Daniel Hermsdorf: Noch im vermeintlich Trivialsten und Verlogensten kann man menschliche Naturen erforschen. Mein Buch basiert auf Beispiel-Samples und einzelnen Langzeitbeobachtungen. Anstrengend wird es, wenn man Präzision anstrebt: Ein paar Dutzend DVDs mit Fußball-Berichterstattung sind ein Textkorpus, das viel unübersichtlicher ist als ein Roman. Aus einem Studium der Medienwissenschaft und eigenen Buchprojekten nimmt man dafür Techniken mit - etwa Zitate zu dokumentieren und zu ordnen. In meinem Fall gehen auch Arbeiten mit digitalen Schnittprogrammen voraus.

Für mein FilmFundBüro habe ich aus Spielfilmen, Serien und TV-Berichten seit 2005 eine Reihe von Extrakten gefertigt, die für mich einen enormen Lerneffekt hatten. Man bekommt ein besseres Gefühl dafür, wie filmische Argumentation und Dramaturgie funktionieren, was die Mechaniken hinter dem Bilderfluss sind.

"Spiegelfunktion von schlechtem Fernsehen"

Die Wiederholungen des Immergleichen, die eine solche Arbeit mit sich bringt, können streckenweise enervierend sein, das stimmt. Das Buch folgt denselben Prinzipien wie meine Filmcollagen: auswählen, kombinieren, verdichten, kommentieren, kontextualisieren, interpretieren. Daraus entsteht etwas Neues, im besten Fall Erkenntnis. Sie kann niederschmetternd sein, aber sie hat auch etwas Befreiendes. Seit es Kulturwissenschaften gibt, ist das ein notwendiger und produktiver Vorgang.

Man schaltet den Fernseher ein, auf allen Kanälen läuft nur Mist und zappt sich viel zu lange durch das Programm, weil das Katharsis-Erlebnis ausbleibt, das man braucht, um zufrieden den Abstellknopf zu betätigen. Macht schlechtes Fernsehen süchtig?

Daniel Hermsdorf: In letzter Zeit höre ich in Gesprächen sehr oft: Ich habe keinen Fernseher, ich sehe nicht mehr fern. Auf der anderen Seite gibt es Einschaltquoten von Millionen. Meine Generation - ich bin Jahrgang 1974 - hat den Übergang zur Zapping-Kultur miterlebt. Wer auf sich selbst Acht gibt, macht nach einer Weile nicht mehr mit. Die statistisch ermittelten täglichen Sehdauern werden in manchen menschlichen Begegnungen aber auch bestätigt. Arbeitslosigkeit, Orientierungslosigkeit, Interessenlosigkeit, sozialer Tod sind hierfür Gründe.

Das Gespenstische an irgendwie schlechtem Fernsehen ist seine Spiegelfunktion für ein menschliches Erleben, das sich nicht nach Besserem sehnt - nach Ergebnissen sorgfältiger Gestaltung, aktivem Gespräch und menschlicher Nähe. Für aussagekräftige empirische Studien über Fernsehsucht, wie es sie gibt, fehlen aber wohl zahlungskräftige Auftraggeber. Mein Buch rekonstruiert die Ursachen für eine solche Sucht aus den Inhalten. Der in den 1950ern geprägte Begriff der parasozialen Interaktion bleibt hierfür ein Schlüssel.

Fernsehsüchtig wird, wer allein ist. Und die zunehmende Perfektion und auch Offensichtlichkeit, mit der TV-Formate Familienleben, Berufswelt oder Spieleabende simulieren, lassen den Umkehrschluss zu, dass es den Opfern genau daran fehlt. Zu solchen Aspekten sozialer Verelendung schweigt die Politik weitgehend, wie mir scheint. Und auch die Presse rührt mehrheitlich die Werbetrommel für das nächste Erlebnissubstitut.

Haben Sie eine Erklärung, warum im Fernsehen immer nur der Bedarf für die Dummen gedeckt wird?

Daniel Hermsdorf: "Immer nur" ist ja eine Vereinfachung. Das Angebot an Interessantem ist heute so groß wie nie. Die Einschaltquoten zeigen jedoch, dass es relativ selten angesehen wird. Ich vertrete dabei gewiss eine bildungsbürgerliche Präferenz - auch wenn nicht alles Information und Qualität ist, was arte, 3sat und Phoenix heißt. Wenn man die Möglichkeit hat, zu differenzieren, muss man Mitmenschen nicht unbedingt zu Dummen erklären.

Was hier den Rahmen sprengen würde, sind gesellschaftsphilosophische Fragen, die sich daran anschließen: Was ist Sozialität? Was ist Erziehung? Was ist sinnvoll und nützlich? Was ist Gerechtigkeit? Wie verhalten sich auf verschiedenen Gebieten Stärkere gegenüber Schwächeren? In mancher Hinsicht lebt unsere Kultur und Wirtschaft, würde ich sagen, diesbezüglich in fundamentalen Irrtümern: Sie verschwendet, sie entwürdigt, sie verkennt und verliert bei aller Perfektion von Verwaltung und Technik Grundlagen des menschlichen Miteinanders und auch des soliden Wirtschaftens.

Wo das hinführt, ahnen wir zunächst nur, wenn wir die Schuldenberge aus dem Sozialwesen und der Gesundheitsversorgung erblicken. Dass Deutschland noch nicht so pleite ist wie andere Nationen, wird vielleicht auf Dauer nicht helfen. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Bedarf ist ein prekärer Begriff ökonomischer Theorie. Bedarf hat ein Lebensmittelmarkt, aber auch ein Drogensüchtiger. Die kompliziert zu beantwortende Frage ist, welchen Bedarf eine herrschende Organisationsform erlaubt oder sogar fördert. Das Privatfernsehen als vermeintlicher Wirtschaftsfaktor ist sicher ein Teil der Antwort.

Wie hat sich das Fernsehkonsumverhalten der Deutschen seit den letzten 30 Jahren verändert und bildet sich diese Entwicklung in Politik, Kultur und Gesellschaft ab?

Daniel Hermsdorf: Zunächst gab es Steigerungsraten der Sehdauer, die durch neueste Medienangebote etwas abflachen. In der politischen Landschaft spricht man - jetzt in Schlagworten - von Ästhetisierung oder Entertainisierung, in der Kultur von Trivialisierung, in der Gesellschaft von Hedonismus und Promi-Kult. Das Privatfernsehen und die Diversifizierung des Angebots hat weitläufige Strecken des Durchkommerzialisierten, Redundanten, Belanglosen, Peinlichen bis Obszönen eröffnet.

Wer das im Feuilleton schreibt, gilt auf Dauer als Kulturpessimist und Nörgler, im schlimmsten Fall als neurechter Apokalyptiker. Auch hier fehlen - neben generellen Definitionsproblemen von Norm und Fortschritt oder soziopsychologischer Veränderung - verlässliche Methoden, um so etwas halbwegs objektiv zu beschreiben. In Glotze fatal sammle ich Partikel dieser Transformation. Eine Schlussfolgerung lautet: Je mehr produziert und gesehen, je achtloser und billiger produziert wird, desto schärfer wird die implizite Selbstkritik.

"Fast nichts ist mehr unironisch"

Jean Baudrillard hat einmal von einer Metastabilisierung im Zeichenuniversum gesprochen, in dem eine Art von Katastrophe nur aufgeschoben wird. Hierzu vielleicht dies: Die Selbstironien der Massenmedien, die schon im frühen Kino auftauchen und in Satiren auf die Traumfabrik wie Billy Wilders Kinofilm Sunset Boulevard manifest werden, sind über Jahrzehnte gleichsam implodiert. Fast nichts ist mehr unironisch. Die Selbstkritik wird als Übertreibung des Kritikwürdigen zelebriert.

Ein Verb wie "Hochjazzen" beschreibt eine Variante davon. Ob in Filmen und Serien oder in Show-Formaten und Comedy - das Medium denunziert sich permanent selbst. Was zuvor - mit Einschränkungen - ein Wettbewerb der Besten oder Besseren und eine bestenfalls lustvolle Produktionsform war, ist zur semiotischen und emotionalen Kampfzone mutiert. Auch da, wo es um Respekt und Einfühlung, Ernst oder Komplexität geht, herrschen hohle Phrasen und die für Sekunden gestellte Pose - ob in der Soap Opera oder im 1:30-Statement des Politikers.

Ich glaube, ein größeres Publikum bleibt oft schlicht verwirrt zurück. Aber die sensorischen Belohnungsmechanismen, die Oberflächenreize und schließlich der soziale Bonus, mitreden zu können, sind immer noch ausreichend. Solche Werte und Wertverluste werden zu psychischen Standards - oder rufen irgendwann Gegenreaktionen hervor.

In welchem Sinne deformiert denn das Fernsehen das Bewusstsein der Konsumenten? War das schon immer so oder trägt hier das kommerzielle Fernsehen das Hauptgewicht der Verantwortung?

Daniel Hermsdorf: Das Privatfernsehen hat die Dokumentation zur Homestory von Neureichen, Unterhaltungsshows zu Glücksspielen inklusive Voyeurismus und Psychofolter gemacht. Erkenntnis, Lustgewinn und Zweckfreiheit sind - in Bestätigung mancher Argumente etwa bei Horkheimer und Adorno - zu pervertierten Formen von Arbeit geworden, für die sie eigentlich einen Ausgleich bilden sollen; außerdem zu einem Wettbewerb der Niveau-Unterbietung, der bei fallenden Produktionskosten Skandalwerte generiert, also Parodie und Perfektionierung einer kapitalistischen Produktionsweise zugleich ist. Eine soziale Selektion, die sich im Begriff des Unterschichtenfernsehens abzeichnet, hat ihre realwirtschaftliche Entsprechung in der Lohn- und Reichtumsverteilung.

"Anpassungseffekt durch Quotendruck"

Der Trend ist eindeutig ein Sozialdarwinismus, der solche Verwerfungen bisher so gut mit süßen Träumen auf der einen und Sozialleistungen auf der anderen Seite abfedert, dass es nicht rappelt im Karton. Ein Problem bleibt, dass die Sozialleistungen als größter Posten des Staatshaushaltes wiederum zur langfristigen Verschuldung beitragen.

Wie sehen Sie überhaupt die Rolle des Privatfernsehens in der deutschen Medienlandschaft?

Daniel Hermsdorf: Natürlich gibt es den allseits besprochenen Anpassungseffekt durch Quotendruck. Die Sender-Rotation von Prominenten nivelliert in der öffentlichen Wahrnehmung die Systemdifferenz. Anderes Argument: Ich halte es nicht für falsch, dass Autoren und Performer Literatur oder Schauspiel studieren.

Gegenbeispiele aus dem Privat-TV: Mario Barth ist ausgebildeter Telekommunikationsanlagen-Elektroniker, Elton Radio- und Fernsehtechniker, Stefan Raab abgebrochener Jurist und prämierter Metzger. Mit Günther Jauch moderiert bald ein Quizmaster und Sportreporter das Zweitparlament einer ARD-Polit-Talkshow. Die erwähnten Berufe sind im Einzelfall ehrenwert. Aber stellen Sie sich vor, was passiert, wenn beispielsweise ich ein Auto reparieren würde: Sie können nicht losfahren, oder die Bremse funktioniert nicht.

Und das Prinzip Kommerzialisierung vereinseitigt selbstredend die Machtausübung durch Produktmarketing. In der Gesamttendenz ist das Publikum nicht mehr Kunde, das Angebot nicht mehr Service. Kochshows zu Fertiggerichten, vorgeschwindelte Luxuswelten und Gewinnchancen gegenüber (nicht nur) von RTL beworbenen Wucherzins-Krediten - ein Verhältnis der Repräsentation und des Kommentars durch Medien und ihre Inhalte wird im Privatfernsehen oft zur grotesken Umkehrung realer Lebensverhältnisse.

"Entzug von Urteilsfähigkeit und Bildung"

Und diese Verhältnisse beeinflusst das Programm wiederum selbst durch Produktwerbung und Rollenmodelle. Scheidungsraten und Single-Haushalte kontrastieren mit den Liebesillusionen der Endlosserien. Das Publikum wird nicht mehr informiert, sondern desorientiert mit Irrelevantem. Machtstrukturen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik kommen nur noch am Rande vor - auch wenn Aufklärung und Verschwörungstheorie im Internet und also bei dessen Zielgruppen mächtig gären.

In der Masse beginnen die Wähler derzeit wieder Adlige als gütige weltliche Herrscher zu verehren, wozu ARD und ZDF fleißig beitragen. Auch wenn viele Medienkonsumenten von Machteliten und Geheimbünden gehört haben, kennen sie die fiktiven Lebensläufe ihrer Serienhelden wesentlich besser als die Führungsetagen der Sender, die Serien produzieren - und werden im schlimmsten Fall existenziell ein Opfer sozialer und wirtschaftlicher Entwicklungen, die sie aufgrund ihrer Entpolitisierung denen überlassen haben, die diese Unaufmerksamkeit weidlich nutzen und fördern.

Bei der Einführung des Privatfernsehens propagierten Politiker die kommende Vielfalt der Programme. Das hat ja nun offensichtlich nicht stattgefunden. Wurde hier die Bevölkerung vorsätzlich getäuscht oder hat sich das Ganze in eine Richtung entwickelt, die nicht vorhersehbar war?

Daniel Hermsdorf: Wie erwähnt teile ich dieses Urteil nicht pauschal. Das Perfide ist doch die Rede von der Wahlfreiheit - wenn die, die wählen dürfen, gegen eigene Interessen handeln. Wer ungesunde Produkte kauft, weil sie beworben werden, wer sich nicht informiert und anschließend zur Wahlurne geht, wer seine Kinder Gewaltinhalten und der Zeitverschwendung überlässt, verspielt seine Mündigkeit. Dagegen anzugehen, ist eine Form von Sorge - zuletzt in der Medientheorie angesprochen von `Bernard Stiegler. Es führt hier zu weit, darüber zu spekulieren, welche Strategien welcher Gruppierungen darin Wirklichkeit werden.

Der Status quo ist in den hard facts eine sich kontinuierlich verschuldende und als biologische Population mindestens schrumpfende Gruppe von Personen in den reichen Industrieländern - falls die Bilanzen und Statistiken nicht gefälscht sind. Wenn diese Entwicklung, an der die schon genannten Wirkfaktoren der TV-Unterhaltung teilhaben, gewollt ist, heißt sie: Entzug von Urteilsfähigkeit und Bildung, Lebenskultur, familiärer Integration. Auch die soziale Absicherung, die in der Nachkriegszeit mit Krankenkassen und Arbeitslosenversicherung in Deutschland ein hohes Niveau erreicht hat, steht mittel- bis langfristig auf dem Spiel.

"Fernsehen wird erst in der Summe zum Problem"

Die aktuell sichtbaren Profiteure in Banken, produzierendem Gewerbe, Werbung, Gesundheitswesen und politischer Kaste, wenn sie nicht böswillig sind, bemerken oder realisieren dies vielleicht eingeschränkt, weil das System sie gut bezahlt und die Medien - neben Sicherheitsberatern - Zurückweisung und Kritik von ihnen fernhalten.

Die Landesmedienanstalten wurden zur Kontrolle des Privatfernsehens geschaffen. Wie sehen Sie deren Wirken?

Daniel Hermsdorf: Wenn im Auftrag von RTL Kameraleute für das Vormittagsprogramm Die Kinderärzte einem frisch am Penis operierten Knaben in den Schritt filmen, die Frage nach product placement und Werbezeiten mit der Einblendung "Dauerwerbesendung" erledigt ist oder Super RTL Kinderhirne mit Hannah Montana infiltriert, ist von Kontrolle aus meiner Sicht nur bedingt zu sprechen. Man produziert für Kabel1 allenfalls noch eine Sendung mit dem Titel Achtung Kontrolle - Einsatz für die Ordnungshüter und lacht sich tot.

Und das, was an Film und Fernsehen schädlich ist und kritisiert werden muss, erfüllt für sich oft keine juristischen Tatbestände. Erst in der Summe wird es zum Problem, d. h. zu sozialer Desintegration, Entpolitisierung, psychischer und physischer Krankheit, individueller und kollektiver Verschuldung - Hauptthemen von Glotze fatal.

"Wechselspiel es zwischen hegemonialer TV-Kultur und sozialen, psychologischen, wirtschaftlichen Entwicklungen"

Liest man Texte von Norbert Schneider, dem vormaligen Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen - wie in seinem Buch Frisierte Bilder, getrüber Augenschein -, mischt sich Elegie mit ad hoc abrufbarem Zweckoptimismus. Zwar plädiert er abstrakt für die Wiedereinführung von Medienpolitik in die Mediengesellschaft und beklagt die Zurückweisung von Medienkritik als Medienschelte. Die Berufswirklichkeit von Journalisten, die auf mannigfaltige Weise dauerhaft existenziell abhängig sind von denen, über die sie berichten, ist aber selten detailliert Gegenstand von Berichterstattung und dementsprechend unbekannt in der Bevölkerung.

Konsumenten erhören allenfalls die erwähnten weihevollen Mahnungen, eine Öffentlichkeit wiederherzustellen, die es vielleicht ohnehin nie gab. Dass sogenannte Medienhüter noch keine Abgabestelle für Pflichtexemplare von TV-Sendungen und Kinofilmen eingerichtet haben, die - wie bei Büchern Landes- und Nationalbibliotheken - die Geschichte der Audiovision dokumentiert, widerspricht nach meiner Auffassung schon seit Jahrzehnten Demokratie und Rechtsgleichheit.

Gibt es irgendwo auf der Welt ein Fernsehen, das nicht so schlecht wie das deutsche ist?

Daniel Hermsdorf: Da will ich mich nicht zum Experten aufspielen. Ich kenne andere TV-Kulturen neben den Importen noch am besten aus einem arte-Format wie Zapping International. Die BBC ist außer bei Comedy-Innovationen immer wieder sprichwörtlich für verlorengegangene Qualitäten des Journalismus;, der Blick auf die Arbeiten etwa von Adam Curtis bestätigt dies. Und abermals: Das Fernsehen, zumal das deutsche, ist ja - wie vieles, das gefährlich werden kann - nicht per se schlecht. Was ich von der US-amerikanischen TV-Kultur mitbekomme, würde ich gegen die unsere nicht eintauschen wollen.

Entscheidend für die Argumentation in meinem Buch ist, welches Wechselspiel es zwischen hegemonialer TV-Kultur und sozialen, psychologischen, wirtschaftlichen Entwicklungen gibt und ob wir es befürworten. In unserer ausdifferenzierten Gesellschaft gibt es viele Errungenschaften, die man wertschätzen kann. Und gleichzeitig schlagen das Know-how und die Macht, also die Kultur je nach Rahmenbedingung auch auf der zerstörerischen Seite durch - mit einer Wucht, die sie in Mali nicht haben. In Mali hat man andere Probleme; und in den USA größere als wir - dort auch wegen einer TV-Kultur, die stärker zu rücksichtslosem Konsum und Selbstvergessenheit anleitet.

Gibt es Sendungen oder Serien, die Sie selbst noch gerne sehen?

Daniel Hermsdorf: Auf Nachrichten will man wohl nicht verzichten. Ich schaue sonst freiwillig fast nur erklärte Filmkunst, und dies dann mehr oder minder zur Recherche für eigene Textprojekte - in historischer Perspektive, nach Themen und Mitwirkenden, Unbekanntes und Abseitiges immer willkommen, mit wenig Aktualitätsanspruch. Da bieten die Kultursender manchmal was. Eine arte-Sendung zu geopolitischen Themen wie Mit offenen Karten wird so wenig beworben, wie sie in 10 Sendeminuten ungleich komprimierte Informationen liefert.

Durchdachte Dokumentationen, die etwa auf der Duisburger Filmwoche von den Machern selbst zur lebendigen Diskussion gestellt und z. T. von 3sat gesendet werden, sind immer wieder sehenswert. Und die politischen Magazine von ARD und ZDF werden zeitweilig ihrem Anspruch gerecht - wenn auch gefährdet im Programmschema. Das Serienprinzip problematisiere ich in meinem Buch als solches - ich sehe darin notwendigerweise Zeitverlust bei inhaltlicher Redundanz, stets aufgrund verringerter Produktionskosten für mehr Sendeminuten. Dafür ist das Leben meist zu kurz, wenn man aufmerksam hinsieht.

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