Griechenland will eine Mauer zur Türkei

Um die Flut der Migranten zu stoppen, die über die Landgrenze zur Türkei kommen, überlegt Griechenland, sich den schon bestehenden gated nations anzuschließen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Obgleich die EU sich an den Außengrenzen bereits als Festung einigelt, ist eine der offenen Stellen Griechenland – seit 1996, nachdem das Meer von Frontex, der gemeinsamen Grenzschutzbehörde, im Rahmen der Operation Poseidon genauer überwacht wurde, vor allem der Landweg aus der Türkei über den Fluss Evros, wo immer wieder Migranten ertrinken (Der Marsch auf Europa - über die Türkei). Täglich sollen hier hunderte Menschen die Grenze überqueren. Bis zu 90 Prozent der festgenommenen Migranten in der EU haben versucht, über Griechenland, meist von der Türkei aus, in die EU zu gelangen. Nun fordert die griechische Regierung, dass nach dem Vorbild des US-amerikanischen Grenzzauns zu Mexiko die 206 km lange Grenze zur Türkei mit einem ähnlichen Zaun abgedichtet werden soll.

Die Flüchtlingslager an der türkischen Grenze sind überfüllt, die humanitären Bedingungen miserabel. Die UN-Flüchtlingskommission hat schon im Herbst vor einem "humanitären Notstand" gewarnt und klagt eine Reform des Asylsystems ein, Griechenland selbst forderte die Solidarität der übrigen EU-Ländern und schnelle Eingreiftruppen (RABIT) von Frontex, die am 2.November ihre Arbeit aufgenommen haben und deren Einsatz im Dezember bis zum 3.März verlängert wurde. Angeblich sei die Zahl der illegalen Grenzübertritte durch die Eingreiftruppen bereits um 44 Prozent seit Oktober zurückgegangen. Die meisten Migranten, die festgenommen wurden, kamen aus Afghanistan (47%), woran man auch sehen kann, dass die auswärtige Politik der EU keinen unerheblichen Einfluss darauf hat. Auf die Afghanen folgten als zweitgrößte Gruppe Algerier (17%), dann Pakistaner (8%), Somalier (7%) und Iraker (5%). Meist hätten sie viel Geld gezahlt, um über die Grenze gebracht zu werden. Griechenland sei für die wenigsten das Ziel, die überwältigende Mehrheit zieht es nach Großbritannien, Frankreich, Deutschland oder Italien.

Das von der Krise gebeutelte Griechenland ist von der Situation überfordert, zumal nach den EU-Richtlinien diejenigen Staaten für Aufnahme, Asylverfahren und Abschiebung zuständig, in denen die Migranten die Grenze überschritten haben. Nach Frontex haben dieses Jahr um die 80.000 illegale Einwanderer die Grenzen Griechenlands überschritten, vom Juni bis Ende November seien mehr als 33.000 illegale Einwanderer aufgegriffen worden. Frontex berichtete allerdings, dass zumindest im ersten Quartal die Zahl der illegalen Migranten deutlich gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen sei. Im Oktober meldete Frontex jedoch, dass die Zahl der Migranten, die von der Türkei nach Griechenland illegal einwandern, "außergewöhnlich hoch" sei. Im ersten Halbjahr seien 45.000 Menschen illegal eingewandert, jeden Tag würden allein 350 Migranten in einem kleinem Grenzstück in der Nähe von Orestiada die Grenze überqueren. UNHCR berichtete, dass in den ersten 10 Monaten fast 39.000 Menschen die Landgrenze überquert hätten, 415 Prozent mehr als 2009. Dagegen ist die illegale Einwanderung über das Meer drastisch zurückgegangen.

Nachdem die verschärfte Kontrolle des Schiffsverkehrs die Einwanderung offenbar reduziert hat, setzt die griechische Regierung nun offenbar auf ein ähnliches Konzept für die Landgrenze zur Türkei. Möglicherweise spielt dabei auch die Annäherung zwischen Israel und Griechenland eine Rolle, nachdem die Beziehungen zwischen der Türkei und Israel seit der Gaza-Aktion frostiger wurden. Israel hat nicht nur viele Schutz- und Grenzzäune zum Westjordanland und zum Gazastreifen errichtet und will nun auch zur Abwehr der illegalen Immigration die Grenze zu Ägypten in der Wüste mit einem Zaun abdichten, eine gated nation wie Israel, in der es auch zahlreiche gated communities gibt, wird zudem zum Exporteur von Grenzsicherungsanlagen, was möglicherweise nun bei den Griechen auf Gefallen stößt.

Christos Papoutsis, der griechische Minister für Bürgerschutz, hat am Freitag erklärt, dass Griechenland keine illegalen Migranten mehr im Land aufnehmen könne. Man überlege deshalb, einen Grenzzaun zur Türkei zu errichten, der dem gleichen solle, wie ihn die USA an der mexikanischen Grenze gebaut habe. Die USA haben allerdings unterschiedliche Zäune und Grenzschutzanlagen gebaut, darunter auch die virtuelle Mauer oder SBInet, eine teure, im Rahmen der Industrie- und Technikförderung unter der Bush-Regierung entwickelte Hightech-Grenzanlage, von der man sich aber mittlerweile weitgehend verabschiedet hat (Die Große Amerikanische Mauer). Es kann gut sein, dass der Verweis auf die USA lediglich dazu dienen soll, den Vorschlag in Europa besser legitimieren zu können.

Papoutsi fügte die Warnung hinzu, dass nur diejenigen, die ein international anerkanntes Recht auf Schutz oder auf Asyl im Land bleiben können: "Alle anderen sollten diese Botschaft klar verstehen. Sie werden Griechenland verlassen, entweder durch eine freiwillige Rückführung oder durch eine unfreiwillige Abschiebung. Wir sind bei diesem Thema absolut entschlossen."

Sollte Griechenland mit der Unterstützung der EU tatsächlich eine Mauer an der Grenze zur Türkei bauen, wäre dies nicht nur ein Affront gegenüber dem Land, mit dem noch Beitrittsverhandlungen geführt werden, es wäre auch ein Eingeständnis, dass die EU eine Festung ist. Symbolisch käme wohl hinzu, wenn dies ausgerechnet in dem Land gemacht würde, das als Geburtsstätte der westlichen Demokratie gilt, und symbolisch wäre natürlich auch, wenn nun ein westliches europäisches Land wieder an der Mauer baut, die man nach dem Ende des Kalten Kriegs eingerissen hat. Symbol deswegen, weil ein Zaun einer Mauer gleicht, auch wenn virtuelle Grenzen, in die sich die EU schon eingeschlossen hat, genauso effektiv sein können.