Frustriert, gelangweilt, einsam …

Studenten, die 24 Stunden keine Medien nutzen sollten, fehlen vor allem Musik, das Handy und Facebook

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Verzichten junge Menschen, die mit Fernsehen, Internet und Handys aufgewachsen sind, auch nur für 24 Stunden auf alle Medien, auf das Handy, das Internet, den iPod, die Zeitung, das Fernsehen oder das Radio und damit auch auf den Zugriff auf Emails, SMS, Facebook und Twitter, aber auch zu Musik, sollen sie bereits psychische und körperliche Symptome zeigen, wie man sie etwa von Rauchern kennt, die versuchen, das Rauchen sein zu lassen. Das ist zumindest ein erstes, nach Überbetreibung klingendes, aber doch auch in manchen Aspekten interessantes Ergebnis einer Studie des Center for Media and the Public Agenda (ICMPA) der University of Maryland und der Salzburg Academy on Media and Global Change. Für die Studie wurden Studenten an 12 Universitäten gebeten, sich vorzunehmen, an einem Tag keine Medien zu verwenden und darüber in einem Tagebuch zu berichten. Bücher durften sie weiter lesen und auch das Festnetztelefon benutzen.

Die unter dem Titel Unplugged stehende Studie, die Anfang 2011 veröffentlicht werden soll, kommt zu dem Ergebnis, dass viele Studenten nicht nur unwillig, sondern auch unfähig seien, ohne Medienanschluss den Alltag zu bewältigen. Darin wird eine neue Verhaltensstörung gesehen, die Information Deprivation Disorder. Vom Informationsfluss abgehängt zu sein, lässt das Gefühl entstehen, aus der Welt zu fallen oder mit ihr nicht mehr verbunden zu sein. Das kennt vermutlich fast jeder als eigene Erfahrung.

Verstärkt hat die Abhängigkeit von Medien vor allem, dass sie nun wie die MP3-Player, das Netbook und natürlich das Handy oder vielmehr die Smartphones, überall mitgenommen werden können. War man vor den Handy-Zeiten kaum erreichbar, wenn man außer Haus war, so ist man nun immer und überall erreichbar und kann mit dem Informations- und Kommunikationsfluss mitschwimmen. Einsamkeit in diesem Sinne gibt es nicht mehr, auch das Wegsein ist verschwunden, die räumliche Distanz trennt nicht mehr, stets ist man ein- und angebunden, teilweise auch hörig. Schon mit den MP3-Playern hat man immer die Stimme von anderen Menschen bei sich, wird man also irgendwie angesprochen, ist man sozial eingebunden, was Smartphones und Kommunikationsdienste wie Twitter, Facebook, Chats oder Emails noch verstärken.

Das Angebundensein an Medien zur Fernkommunikation frisst auch Zeit und Energie. So werde viel Aufwand von den jungen Menschen, die bereits in der Medienglocke aufgewachsen sind, in die "Pflege einer digitalen Beziehung mit Menschen (investiert), denen man auch Face-to-Face begegnen könnte, aber oft wird die digitale Beziehung als Kontaktform bevorzugt: sie ist schnell und kontrollierbar."

Ein Student der britischen Bournemouth University erklärte zwar, es sei schon einmal erfrischend gewesen, ohne Medien auszukommen, aber ein Tag würde auch reichen. Ein anderer meinte, der Tag habe ihm gezeigt, wie wertlos die Medien seien. Die Meisten waren offenbar weniger angetan. Adam Fisher sagt, die Einsamkeit habe ihn umhüllt und obgleich er keineswegs in seinem Studentenheim alleine war, zog er es vor, sich mit anderen zu betrinken und so den Abend herumzukriegen. Holly Welsh meint, man könne den Medien eh kaum entkommen, sie habe bemerkt, wie einsam es ohne sie wäre. Und Flora Byford berichtet:

When we first heard about Unplugged, I thought twenty four hours would shoot by fast and be more of a nuisance than anything, but I found a lack of communication without using phones and the internet to be really troublesome and difficult. I felt frustrated, bored and annoyed that I couldn’t contact my friends and keep up to date with everything.

Viele der Studenten berichteten, dass sie sich ängstlich oder isoliert fühlten. Viele hätten auch immer wieder zu ihrem Handy greifen wollen, obgleich sie es nicht dabei hatten, oder hatten Phantomerlebnisse, wenn sie es klingeln hörten oder sie ein Vibrieren bemerkten. Ohne Musik durch den Tag zu gehen, scheint am schlimmsten zu sein, aber auch ein Tag ohne Handy oder ohne Facebook wurde als sehr unangenehm erlebt. Manche schafften es auch nicht oder wollten es auch nicht durchziehen, weil sie ohne Medien nichts mit sich anzufangen wussten oder es ihnen einfach schlicht zu langweilig war. Natürlich entdeckten Manche auch, wie man auch ohne Angedocktsein an Medien mit Freunden oder alleine etwas unternehmen kann oder dass man konzentrierter und produktiver arbeiten oder lernen kann, vorherrschend scheint aber die Überraschung der Teilnehmer gewesen zu sein, sehen zu müssen, wie abhängig sie von den Informations- und Kommunikationsmedien sind:

So yes I'm a failure, I love my phone and I don’t want to live in a world without technology. Our society is so technology dependent that I wouldn't want to ask anyone to live without it for 24 hours.

I feel that my life is way happier when I have access to media.

In der schon im letzten Jahr veröffentlichten ICMPA-Studie mit 200 Studenten im Alter zwischen 18 und 21 Jahren der University of Maryland stellte sich wenig überraschend heraus, dass die meisten Studenten gut ohne Zeitungen oder Fernsehen auskommen können. Ganz im Gegensatz zum MP3-Player oder vornehmlich zur Musik, mit der man die Strecken im öffentlichen Raum überbrückt und sich in Stimmung bringt oder hält. Man trifft sich nicht mehr einfach, schon gar nicht zufällig, man macht auch längerfristig nicht gerne was aus, sondern checkt Treffen und Kontakte mit Anrufen, SMS, Emails oder Facebook ab. Bis zu 5.000 SMS-Botschaften verschicken manche Studenten, Facebook ist immer aktiv, die Freunde immer dabei, man schwimmt oder zappelt im Netz.

Ohne Medien unterwegs zu sein, heißt für viele, allein zu sein, den Kontakt mit Freunden und der Familie verloren zu haben. Das wird auch dann als schlimm empfunden, wenn man sich unter Menschen, etwa an der Universität, befindet. Daran merkt man, wie sich die Funktion des öffentlichen und halb-öffentlichen Raums verändert hat. Man ist nicht mehr allein oder als Gruppe unterwegs, sondern stets inmitten einer Wolke von Kontakten, Freunden, Informationen, die zudem oft wichtiger sind, als das, was vor einem in der räumlichen Nähe ist. In dieser steckt man wie in einem Futteral oder in seinem eigenen Körper, weswegen die räumliche Nähe vorhanden ist, während die Ferne nicht nur immer das Versprechen mit sich trägt, dass es anders sein könnte, sondern auch, dass man etwas verpassen könnte, weswegen man es schnell virtuell ergreifen und festhalten muss.

Wichtig ist auch, dass man permanent am Informationsfluss bleibt, orientiert ist. Aber hier unterscheidet sich diese Generation von den älteren doch erheblich, was manchen Medienbetreibern gar nicht gefallen wird. Treue zu Nachrichtensendungen oder Nachrichtenquellen schwindet, was wenig verwunderlich ist, weil man im Internet schon lange die Praxis eingeübt hat, nicht nur ein Medium zu besuchen, sondern sich über Surfen bei unterschiedliche Medien zu informieren oder gleich News-Aggregatoren zu benutzen, die anhand bestimmter Kriterien die News aller Medien bündeln und mit den Schlagzeilen präsentieren. Twitter und Facebook haben diese Komprimierung nur noch weiter vorangetrieben, da auch hier jede Information nur in kleinen Happen weiter gereicht oder erhalten werden kann. Woher die Informationen stammen, ist nicht mehr so wichtig, so die Autoren der Studie, auch der Unterschied zwischen Nachrichten und anderen, etwa persönlicheren Informationen verschwindet oder wird unbedeutend. News erhält man oft über Freunde durch die sozialen Netzwerke, beispielsweise bei Twitter, wo persönliche Informationen von Freunden und Tweets von Organisationen, Medien oder Menschen, denen man folgt, durcheinander gemischt an einem vorbeiziehen.