US-Behörden sollen Zufriedenheit oder Grummeln der Mitarbeiter "messen"

Die Panik geht im Weiße Haus in der "Post-WikiLeaks-Welt" um und treibt manche Blüten

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Die US-Regierung ist zutiefst beunruhigt über WikiLeaks. Sie versucht, WikiLeaks-Gründer Julian Asange einen Strick zu drehen und ihn der Spionage anzuklagen, was hohe Haftstrafen oder gar die Todesstrafe zur Folge haben könnte. Der verdächtigte Whistleblower Bradley Manning wird hingegen bereits in extrem strenger Einzelhaft festgehalten. Psychologen der Organisation Psychologists for Social Responsibility (PsySR) haben am Montag in einem Brief an Verteidigungsminister Gates die Haftbedingungen als "unmenschlich" bezeichnet und der Regierung vorgeworfen, sie würde damit Manning schwere psychische Schäden zufügen.

Nach den Psychologen sehe dies danach aus, als ob man den Willen des Verdächtigten brechen wolle, um ein falsches Geständnis zu erlangen. Es wurden auch von anderer Seite Vermutungen geäußert, dass Manning dazu gebracht werden soll, mit einem Geständnis Assange zu belasten. Die Organisation Courage to Resist hat für Manning einen Fonds eingerichtet, auf dem Spenden für seine Verteidigung eingezahlt werden können. Die Antikriegsgruppe Code Pink hat eine Petition gestartet, in der eine "menschliche" Behandlung gefordert wird. Unterschrieben haben ziemlich wenig, was entweder dafür spricht, dass Manning von vielen abgelehnt wird oder dass bereits Angst herrscht, sich an "unamerikanischen" Aktivitäten zu beteiligen. Und das Bradley Manning Support Network, zu dessen Unterstützern der Filmemacher Michael Moore, der ehemalige CIA-Mitarbeiter Ray McGovern oder der belkannte Whistleblower Daniel Ellsberg gehören, versucht, regelmäßig über Manning und seinen Fall zu informieren.

Ganz offensichtlich ist eine der Absichten der US-Regierung, mögliche Whistleblower mit dem Vorgehen gegen Assange und Manning abzuschrecken. Und man greift auch zu verschärften Überwachungs- und Bespitzelungsmaßnahmen in den Regierungsbehörden, um Mitarbeiter zu entdecken, die in der "Post-WikiLeaks-Welt" möglicherweise vertrauliche oder geheime Dokumente an die Öffentlichkeit bringen könnten. NBC News ist trotz oder gerade wegen des erhöhten Drucks ein Memo vom 3. Januar zugespielt worden, das von Geheimdienstmitarbeiter ausgearbeitet und von Jacob Lew, dem Direktor des White House Office of Management and Budget an die Behörden verschickt wurde, in dem zahlreiche Maßnahmen angeordnet werden. Deren Umsetzung, die zu einem bürokratischen Monster geraten könnten, würde auch vor Ort geprüft, heißt es warnend für laxe Behördenchefs.

Die Anordnungen gehen weit über die üblichen Vorkehrungen hinaus, um sicherzustellen, dass es keine Schlupflöcher für das Kopieren und Entwenden geheimer Dokumente gibt. Besondere Beachtung liegt dabei auf dem Umgang mit tragbaren Speichermedien. Neu ist sicherlich das geforderte "Insider Threat Program". So soll etwa bei Mitarbeitern, die Zugang zu geheimen Dokumenten haben, auf Verhaltensveränderungen geachtet werden. Psychologen und Soziologen sollen gar die "relative Zufriedenheit" (happiness) oder die Niedergeschlagenheit oder Verdrießlichkeit der Mitarbeiter empirisch erfassen, um so deren Vertrauenswürdigkeit irgendwie wissenschaftlich festzustellen.

Die Behörden sollen auch die Beschäftigten lehren, auf Insiderdrohungen aufmerksam zu werden, d.h. ihre Kollegen nach Auffälligkeiten zu beobachten. Besucher, vor allem ausländische, sollen natürlich streng beobachtet werden, Mitarbeiter müssen aber auch angeben, wen sie offiziell oder inoffiziell getroffen und wohin sie gereist sind, besonders wenn es sich um Ausländer oder Reisen ins Ausland handelt. Und großer Wert wird auch darauf gelegt, dass alle Mitarbeiter ihre Kontakte mit Medienvertretern berichten müssen.

Für Steven Aftergood von der Federation of American Scientists zeigt das Memo, dass man nun im Weißen Haus zur Paranoia neigt, wenn man Sicherheitsmaßnahmen, die für Geheimdienste entwickelt wurden, auf alle anderen Behörde übertragen will. Dass die US-Regierung Behördenmitarbeiter verboten hat, auf WikiLeaks-Seiten zuzugreifen, ist bekannt. Jetzt aber werden alle Behörden auch noch aufgefordert, vor der Einstellung von neuen Mitarbeitern und nach dem Ausscheiden zu belegen, ob diese auf Webseiten wie WikiLeaks oder OpenLeaks zugegriffen haben, findet er besonders absurd. Und das hat auch schon Züge von McCarthy und einem Radikalen- bzw. WikiLeaks-Erlass.