Die Unglaublichen

USA: Selbsternannte Superhelden im Superheldenkostüm machen die Straßen (un)sicher

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Die ganze Geschichte hat etwas Unproportioniertes. Seit mehreren Monaten patrouilliert ein junger kampfsporterprobter Mann im Kostüm durch die Stadt Lynwood, mit Ausflügen in deren Umgebung bis Seattle, um „Gutes“ zu tun. Dazu zieht er sich eine farbige kugelsichere Weste an, die, wie alle Superheldenkostüme, das Relief des Bauchmuskelsixpacks übertrieben abbildet, und einen „Utility- Gürtel“ mit Taser und Pfefferspray als Werkzeug sowie eine Wurfscheibe. Er nennt sich Phoenix Jones, der „Guardian of Seattle“.

Der Mann war Lokalzeitungen und Publikationen mit Interesse an Crime schon im November letzten Jahres aufgefallen. Jetzt kann er seiner Pressemappe weitere, diesmal internationale Publikationen hinzufügen: Le Monde berichtet aktuell, das französische Magazin Les Inrockuptibles und das britische Revolverblatt Daily Mail.

Anlaß für die Publicity: Phoenix Jones hat einen Autodieb in flagranti erwischt und in die Flucht geschlagen. Laut einem Augenzeugen, der beobachtete, wie sein Wagen gerade aufgebrochen wurde, kam Phoenix schneidig dahergestürmt in seinem hautengen schwarz-goldenen Gummianzug, ehe der Autobesitzer die Notrufnummer zuende wählen konnte.

Wie sich herausstellt, arbeitet Phoenix Jones nicht alleine. Er ist, wie die Website der „Real Life Superheroes“ informiert, Anführer des „Rain City Superhero Movement“, zu dem acht weitere Superhelden mit anspielungsreichen und bildkräftigen Namen gehören: Thorn, Buster Doe, Green Reaper, Gemini, No Name, Catastrophe, Thunder 88 und Penelope.

Im ganzen Land gebe es solche Superhelden im echten Leben, so die Website der realen Superhelden (Kick- Ass lässt grüßen). Definitionsgemäß ist dies laut einem Manual „jeder, der die Werte verkörpert, die in Superhelden-Comics dargestellt werden, nicht nur über Masken oder Kostüme, sondern auch durch gute Taten für die Gemeinschaft an dem Ort, wo er lebt.“ Der Begriff „gute Taten“ und „Verbrechensbekämpfung“ sei interpretierbar. Dazu würde die Ausgabe von Wasserflaschen an Obdachlose ebenso gehören wie das Einschreiten bei einem kriminellen Akt.

Let out your inner superhero and join or support our cause.

Für die französischen Publikationen sind die Superhelden "Mégalos", „größenwahnsinnige“ Verfechter einer Selbstjustiz, wenn auch mit vergnüglichen Assoziationen besetzt und einer etwas lächerlichen Realität (siehe Video). Ähnliches hört der Superheld Jones auch von Passanten.

Die Polizei von Seattle schätzt die Sache als nicht rechtswidrig ein, ermahnt die Superhelden aber, dass sie bisher Glück hatten, dass sie nicht verletzt wurden. Ein Superheld wäre beinahe schon erschossen worden, als er aus dem Dunkel hervorlaufen kam - von der Polizei.

Auch der „Guardian of Seattle“ wurde mehrmals, allerdings von der bösen Seite, angegriffen und verletzt, mit dem Messer, und öfter mit Waffen bedroht. Doch sei man gut ausgebildet, die Hälfte seines Teams habe eine militärische Ausbildung, die andere Hälfte eine Kampfsportausbildung - das sei nichts für Weicheier. Das Kostüm habe eine Wirkung und er eine Mission, so Jones.

Wenn ich durch ein Wohnviertel gehe, flüchten Kriminelle, weil sie den Anzug sehen. Ich gebe ein Signal, dass ein Durchschnittsmensch nicht notwendigerweise nichts tun muss, wenn er unterwegs böse Dinge sieht.

Ein seltsames Paradox des auf gute Taten Erpichten ist allerdings, dass er in seinem Superkostüm davon abhängig ist, dass Böses passiert, sonst macht er sich lächerlich. So berichtet Jones von seinen Anfangszeiten, als er wochenlang tatenlos herumstreunte, peinlich sei das gewesen.