Zwei Quadratmeter Wohnraum braucht der Mensch

Um die Wohnungsprobleme in Peking zu verbessern, hat ein chinesischer Ingenieur Wohnkapseln nach japanischem Vorbild entwickelt

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Wenn die Städte weiter wachsen und die Preise für Grund und Wohnungen ebenfalls, so dass ärmere Menschen sich keine Behausung mehr leisten können, dann entstehen, wenn es nicht den Ausweg in Slums oder informelle Siedlungen gibt, Überlegungen, wie klein ein Wohnraum werden kann. Die Wohnung für das Existenzminimum war schon einmal in den zwanziger Jahren ein Thema (Wohnungsnöte. Dabei geht es wie beim Sozialwohnungsbau nicht nur um standardisierte Wohnungen und Häuser, die möglichst billig hergestellt werden können, sondern auch um Minimalanforderungen für ein noch irgendwie menschenwürdiges Leben, die natürlich auch von Kultur zu Kultur anders sein können (Vier Wände zum Heimisch Werden).

Letztlich ist die Diskussion nicht viel anders wie die über die artgerechte Tierhaltung in Massenunterunterkünften, also wie viel Raum, Licht, Bewegungsmöglichkeit etc. notwendig ist, um Leben und Wohnen nicht in Quälerei ausarten zu lassen. Das hat natürlich auch immer die Tendenz nach unten. Wenn 8 Quadratmeter für ein Zimmer reichen, warum denn nicht auch 6 oder 4? Kein Wunder, dass bei der Diskussion um die Hartz-IV-Regelungen auch Thema ist, wie viel Quadratmeter Wohnfläche der Empfänger von Sozialleistungen benötigt.

Es erstaunt nicht, dass man nach den japanischen Kapselhotels nun auch in China das Konzept der Wohnkapseln als Möglichkeit eines extrem verdichteten Wohnraums entdeckt hat. Huang Rixin, ein 78-jähriger ehemaliger Ingenieur, ließ sich jedenfalls von Japan anregen und entwarf ein Gebäude mit 8 Kapseln. Die sind nicht so Hightech wie manche "Räume" der japanischen Kapselhotels, sondern ganz schlicht und billig – und gerade einmal 2 Quadratmeter groß. Mit den schlauchartigen Kapseln, in denen man zumindest stehen kann, will der Ingenieur die Wohnungsprobleme in Peking lösen, aber angeblich kein Geld dabei verdienen. Vor allem junge Leute und Studenten sieht er als Kandidaten für seine Kapseln.

Die sowieso über Internet und Smart Phones ständig im öffentlichen Raum lebenden jungen Menschen, können im privaten Raum ohne weiteres Einbußen hinnehmen. Zumindest könnte man den Ingenieur so deuten. "Die Zeitungen haben berichtet", so Huang, "dass die Lebensbedingungen für die Erstsemester armselig sind. Sie wollen im Internet surfen und Bücher lesen. Einige wollen früh schlafen, andere sind Nachteulen. Die traditionellen, überfüllten Mietshäuser bieten keine Privatheit, während diese Appartements einen Schwerpunkt auf die persönliche Privatheit legen." Aber das ist natürlich eine relative Sache. Wenn man ansonsten in Mehrbettzimmern hausen muss und auch nicht viel mehr Platz hat, dann kann eine deutlich begrenzte Kapsel durchaus einen Rückzugsraum darstellen. Zudem gleichen die Kapseln Kojen, sind also für Single-Bewohner, die auf Reise sind, daher vielleicht symptomatisch für die virtuellen Nomaden, die der Klasse der Armen angehören und auf den Karrieresprung warten.

Die ersten Bewohner der Kapselzimmer. Bild: Chinahush

Die erste seiner Kapselwohngebäude entstand im Frühjahr 2010 in den Außenvierteln der chinesischen Hauptstadt. Die Miete ist günstig, gerade einmal 25-30 Euro sind dafür fällig. Nach Medienberichten flüchteten die meisten nach dem Testwohnen umgehend, aber es fanden sich auch einige Mieter. Die Kapseln, eigentlich Metallkästen mit einem Gitter oben, wurden hier einfach in Zimmer eingebaut, um diese zu unterteilen. Drei in einem Raum von 10 Quadratmetern, 2,4 m lang und 0,7 m breit. Mehr als ein Bett gibt es nicht, das Kopfteil kann auch als Sitz verwendet werden. Immerhin gibt es Licht und Steckdosen, es gibt einen Anschluss für den Fernseher und Zugang zu einem WLAN – und angeblich einbruchsichere Türen, um die Schätze und sich selbst zu schützen.

Huang, so berichten staatliche Medien, die für sein Projekt werben oder zumindest zu testen scheinen, wie es ankommt, habe lange nach Materialien gesucht, um die Kapseln akustisch abzudichten, aber die seien alle nicht wirklich feuerfest gewesen. Also hört man nun die Nachbarn, aber man verbrennt nicht so schnell. Und weil die Kapseln so schön abgeteilt sind, bieten sie tatsächlich etwas mehr Privatheit, als wenn man sich in Schiffscontainersiedlungen einmieten würde.

Gerne würde Huang seine Wohnkapseln, in die er um die 10.000 Euro investiert hat, jemanden kostenlos übergeben, der sie weiter vermieten will, sagte er Ende Dezember. 10.000 Euro sind für den jetzt 79-Jährigen zwei Jahre Rente, die er in die Lösung der Wohnprobleme gesteckt habe. Nun könne er nicht mehr investieren und würde auch die Energie verlieren. Er habe zwar Interessenten gefunden, doch die seien wieder abgesprungen, weil der Staat das Projekt nicht unterstütze und auch nicht selbst weiterführen wolle.

Im Januar aber, so berichtet Beijing News, habe er doch einen Unternehmer gefunden, der Geld in das Projekt stecken will, um es weiter zu entwickeln. Huang übergibt die 8 Kapseln und die Patentrechte an den Unternehmer Wang Tianzhen, der wiederum Grundstücke und Geld geben will, um im Stadtteil Pinggu weitere Kapselwohnungen zu bauen. Wenn diese ankommen, würde man Immobiliengesellschaften zu suchen, um solche Häuser auch in Wohngegenden zu errichten. Neben den Kapselwohnungen sollen auch Minihäuser mit 15-20 Quadratmetern Grundfläche entwickelt und gebaut werden, die für 10.000 bis 15.000 Euro verkauft werden können. Als Anzahlung wären nur um die 1.000 Euro fällig, so dass sich auch jeder normale Arbeiter sein Eigenheim leisten könne.