Ein Online-Zahlsystem will wissen: Ist mein Geld sauber?

Über groteske Auswüchse der Kontrollgesellschaft am Beispiel PayPal

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PayPal zweifelt alle paar Monate an meiner Identität – und an meiner Integrität. Ich muss dann vieles einscannen, um zu beweisen, dass ich tatsächlich immer noch ich bin – und obendrein nichts anderes als ein harmloser Hobby-Verkäufer von Schallplatten, der das ganze nebenbei auf sehr kleiner Flamme betreibt. Ich könnte ja auch von Terroristen Geld bekommen oder in Geldwäsche verwickelt sein, oder? Eine Geldsendung von 22 Euro aus Großbritannien ist schließlich schon eine verdächtige Sache, so gesehen. PayPal hat es langsam aber sicher geschafft: Ich beginne selbst, an meiner Identität zu zweifeln. Aber was, wenn ich auch meine Zweifel an der Identität von PayPal habe?

Denn die verdächtige Mail kam vergangene Woche aus dem Nichts. Im Betreff stand: "Ihr Konto wurde eingeschrXnkt (Routing Code: C 040-L 004-Q190-T1830)." Und der Mailtext begann mit:

Sie erhalten diese Benachrichtigung, da Ihre gesamten Zahlungseingänge bei PayPal den Betrag von $3.300,00 USD überschritten haben. Der Zugriff auf Ihr Konto wurde eingeschränkt, da Sie die angeforderten Informationen nicht bis zum 08.01.2011 bereitgestellt haben.

Hand aufs Herz: Wer denkt bei einer solchen Mail (Umlautfehler, Währung in US-Dollar, ein bislang unbekanntes finanzielles Limit und eine bis dato dem Nutzer völlig unbekannte Deadline) nicht an SPAM?

Ein Anruf bei PayPal klärt erstaunlicherweise: Die Mail ist echt. Der Mitarbeiter nimmt sich allerdings kein Blatt vor den Mund: "Hier hätte ich auch an SPAM gedacht." (Warum wird dieser Text aber dann massenhaft versandt?) Warum der Zugriff auf das Konto plötzlich eingeschränkt wurde, wird dem Benutzer in der Mail nicht erklärt. Dass Informationen bis 8. Januar bereitzustellen gewesen wären, erfährt dieser auch erst nach Ablauf der "Deadline". Der erste Anruf bei PayPal dauert insgesamt (und kostet) 22 Minuten. Es gehe um eine neue EU-Richtlinie, sagt der Mitarbeiter. Eine Rechtsgrundlage erhalte ich nicht.

Stattdessen werde ich über folgendes Verifizierungsverfahren unterrichtet: PayPal bucht 1,50 Euro von meiner Kreditkarte ab, die Abbuchung wird mit einem vierstelligen Zahlencode auf meiner Kreditkartenabrechung aufscheinen, und dieser ist dann im PayPal-Konto unter "Konfliktlösungen" einzutragen. Klingt doch ganz harmlos, oder? Und der Kreditkartenbetreiber, der verlangt auch nicht seinerseits eine Verifizierung (am Ende noch über PayPal)? Ich wäre ja dann in einer Art Secord-Order-Verification, in einem Loop gefangen. Nein, beruhigt der Mitarbeiter, und in der Regel würden Kreditkartengesellschaften diesen Zahlencode auch gleich nennen. In der Regel.

Denn meine Bank verweigert, wie der nächste Anruf in einem Callcenter ergeben sollte, in solchen Fällen jede Auskunft. Da hilft es auch nichts, wenn ich bereit bin, mich zu "verifizieren" (mein Lieblingswort in diesen Tagen). Ich müsse schon auf die nächste schriftliche Monatsabrechnung warten, also drei bis vier Wochen lang. Bis dahin kann ich mir aber kein Geld auf mein Bankkonto überweisen, das mir mit PayPal bezahlt wurde. Ein nächster Anruf im Callcenter wird fällig.

In der Verifizierungsschleife

Solange müsse ich nicht warten, um wieder Zugriff auf mein (kärgliches) Geld zu haben, heißt es. PayPal "genüge" zur Verifizierung nunmehr auch die Kopie meines Reisepasses, einer Telefonrechnung und einer Kreditkartenabrechnung – beides nicht älter als sechs Monate. Na, das scannen wir doch gerne mal schnell ein und wollen es bei PayPal hochladen. 9 MB maximale Ladekapazität sind angegeben, aber schon nach 2 MB streikt das System, zweimal hintereinander. Machen wir aus den JPG-Dateien noch schnell ein PDF. Die Uhr tickt, und das ganze Procedere bekommt immer mehr einen ziemlich absurden Touch.

Mittlerweile hat mich meine "Verifizierung", die ich übrigens vor knapp einem Jahr schon einmal durchführen musste, zweieinhalb Stunden Zeit gekostet. Und der Ton der Mitarbeiterin im PayPal-Callcenter wird nun schärfer: Wer sich nicht verifizieren kann, dessen Geld wird 180 Tage "eingefroren". Die Rechtsgrundlage dafür sei hier nachzulesen. Ich lese nur "prevention of the use of the financial system for the purpose of money laundering and terrorist financing" und komme mir irgendwie kriminalisiert vor. Die PayPal-Mitarbeiterin fragt mich, ob ich "Streit suchen würde". Komisch, so wird man aus dem Nichts zum Querulanten, wenn nicht zum Verdächtigen.

Am Nachmittag desselben Tages will PayPal noch vieles ganz genau wissen: Welche Art von Waren einige Menschen bei mir einkaufen und was meine "Kunden-Hotline" ist (als Privatperson!). Durch die Übermittlung eines Adressnachweises aus einer aktuellen Rechnung und einer aktuellen Kreditkartenabrechnung gab ich auch Informationen darüber preis, wo und wann und für wie viel Geld ich eingekauft habe. Über Datenschutzbestimmungen erfahre ich nichts.

Fazit: Man kann es mit dem Überwachungs- und Kontrollwahn auch zu weit treiben. Mag sein, dass dies alles gesetzlich gedeckt ist, aber die überfallsartige, nach SPAM aussehende Erst-Mailinformation ist wohl ein indiskutabler Stil, genauso wie der Zwang zur wiederholten Verifizierung bei ein und derselben Person.

Was kommt im nächsten Jahr dran? Einkommensteuerbescheide? Gesundheitsdaten? Sonderbar, dass man im Netz keinen größer angelegten Protest gegen solche Entwicklungen findet.