Warum chinesische Mütter überlegen sind

Sind Westler zu soft? Erziehung aus dem Bilderbuch von Supererfolgreichen

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Ein Traumpaar, wie aus einem Film: Zwei Jura-Professoren in Yale, frühere Harvard- Studenten, Abschluss mit Magna oder Summa cum Laude. Er hat nebenbei einen Roman geschrieben, ein Bestseller in Großbritannien; sie hat Bücher über Minoritäten geschrieben, die international große Beachtung fanden: Amy Chuas Familie ist eine „Success Story“. Das kommt nicht vom Glück allein, eine ihrer Schwestern mit Down Syndrom hat zwei Goldmedaillen bei den Special Olympics im Schwimmen gewonnen. Amy Chua ist Amerikanerin chinesischer Abstammung. Das ist in diesem Fall wichtig.

Denn Amy Chua hat ein neues Buch geschrieben, in dem es darum geht, warum chinesische Mütter besonders erfolgreiche Kinder erziehen, anders als die westlichen Mütter, besser, konsequenter, mit mehr Hingabe, mehr Arbeit, mehr Durchhaltevermögen, besseren Annahmen über das Selbstwertgefühl von Kindern, selbstbewußter.

Eine Menge Menschen wundern sich, wie chinesische Eltern es schaffen, dass sie bilderbuchmäßig erfolgreiche Kinder aufziehen. Sie wundern sich, wie diese Eltern es schaffen, dass es soviele mathematische Genies und Musik-Wunderkinder gibt, wie es in den Familien aussieht, ob sie das auch tun könnten. Na, ich kann es ihnen sagen, denn ich habe es auch getan.

Auch dieses Buch wird ein Bestseller, damit ist zu rechnen. Die ersten Ausschnitte daraus wurden wirkungsoptimal platziert im Wall Street Journal, einmal als Essay, dann noch einmal im WSJ-Eltern-Blog „The Juggle“. Dort wurde das Erfolgsrezept unter der Frage: „Sind amerikanische Eltern zu soft?“ vorgestellt und diskutiert. Ihre Thesen landeten dann im New Yorker, im Bildungselite-Milieu, und gelangten gestern nach Frankreich, in die rue89.com.

In allen Fächern die Nummer 1

Amy Chua ist eine strenge Mutter, was im Westen zwar wieder angesagt ist, aber Chua setzt da andere, unerhörte Maßstabe; ihre „never allowed to do“- Liste führt Verbote auf, die europäische Mittelklasse-Eltern eigentlich nur einsetzen, wenn ihr Kind bestraft werden soll (und dann meist auch nur als Drohung). Verboten ist immer:

Bei Freunden schlafen
Verabredungungen zum Spielen bei Freunden
Teilnahme an Schultheateraufführungen
Klagen darüber, dass sie nicht an einer Schultheateraufführung teilnehmen dürfen
Fernsehen, Computerspiele
Eigenständiges Auswählen von außerschulischen Aktivitäten
Schlechteren Noten als die beste
Nicht die Nummer 1-Schüler sein - in allen Fächern außer Turnen und Theater
Ein anderes Instrument außer Klavier und Geige
Nicht Geige oder Klavier spielen

Das ist in seiner Rigidität allein schon beeindruckend für die westlichen Mittelklasse-Eltern und wird die meisten aufhorchen lassen, Chua aber legt, nachdem sie erklärt hat, dass auch Koreaner, Inder, Jamaikaner, Iren und Eltern aus Ghana ihren Beobachtungen zufolge erziehen können wie eine „chinesische Mutter“, die Messlatte noch etwas höher. Mögen sich manche Eltern aus dem Westen streng vorkommen, wenn sie ihr Kind täglich eine halbe oder gar eine ganze Stunde mit dem Instrument üben lassen, für eine chinesische Mutter sei die erste Stunde der leichte Teil. Der harte Part käme erst in der zweiten oder dritten Stunde.

Überzeugungen statt Zweifel

Hinter diesem Aufwand steckt eine Überzeugung mit mehreren Annahmen: Dass Kinder können, was die Eltern von ihnen verlangen. Dass sie stark sind und eben nicht so zerbrechlich, wie Eltern dies aus dem westlichen Kulturkreis zur Grundannahme gemacht haben. Dass Kinder sich entsprechend anders verhalten. Dass die beste Weise, Kinder zu schützen, darin besteht, sie für die Zukunft vorzubereiten, indem man ihnen zeigt, wozu sie fähig sind und sie mit Fähigkeiten ausstatten, mit in Fleisch und Blut übergegangene Arbeitsgewohnheiten und einem inneren Vertrauen, das „ihnen niemand mehr jemals wegnehmen kann“.

Das hat den Reiz des Unbedingten und des Pragmatischen zugleich und knüpft an fabelhafte Geschichten an. Wie etwa jene von der Klasse schlechter Schüler, die von einem Choreographen für ein Theaterstück zu Höchstleistungen gebracht werden, weil er von ihnen fordert, was sich Eltern und Lehrer zuvor nie getraut haben: Disziplin und Arbeit und ihnen gibt, was die Erzieher mit ihrer fehlgeleiteten Empathie nicht geschafft haben: gesundes Selbstvertrauen. Chua erzählt eine ähnliche Geschichte aus ihrer Familie. Wie sie mit ihrer Tochter ein schwieriges Klavierstück übte, bei dem beide Hände ganz unterschiedliche Läufe spielen mussten.

Es hat Stunden gedauert bis weit in den Abend hinein, die Tochter war völlig aufgelöst und verzweifelt, selbst die Mutter wurde schließlich von dem Zweifel bedrängt, dass ihre Tochter es vielleicht doch nicht könne, dann klappte es doch, beide lagen sich glücklich in den Armen. Der amerikanischen Vater hatte zwischendrin zum Aufgeben geraten, die chinesische Mutter behielt recht. Ihr Kind kann, was sie von Anfang mit Bestimmtheit wusste. Seither spielt sie das Stück mit allergrößtem Vergnügen. Der Schulauftritt war ein Triumph.

Learning is fun

Von Misserfolgen erzählt die Autorin in dem Exzerpt ihres Buches nicht. Das Exempel ihrer Tochter wird mit Studien unterlegt, die den Unterschied zwischen westliche geprägten Müttern und den chinesischen zeigen. Die hätten einen ganz anders gearteten Ehrgeiz, weniger sentimental. Schlechtere Noten als „ausgezeichnet“ sind in deren Sicht auf die Eltern zurückzuführen, auf deren mangelhafte Pflichterfüllung

In one study of 50 Western American mothers and 48 Chinese immigrant mothers, almost 70% of the Western mothers said either that "stressing academic success is not good for children" or that "parents need to foster the idea that learning is fun." By contrast, roughly 0% of the Chinese mothers felt the same way. Instead, the vast majority of the Chinese mothers said that they believe their children can be "the best" students, that "academic achievement reflects successful parenting," and that if children did not excel at school then there was "a problem" and parents "were not doing their job."

Der Job, das ist Drill. Chinesische Eltern würden mit ihren Kindern zehn Mal mehr Zeit für das Üben „akademischer Aktivitäten“ verbringen als westliche. Diese würden dafür öfter zum Sport gehen. Dabei sei Umgang auch weniger gehemmt. Ein gesundes Selbstwertgefühl der Kinder, das man voraussetzt, verträgt einiges: "Hey fatty - lose some weight"? - kein Problem, das Kind weiß das zu nehmen, Zornausbrüche bei schlechten Noten würden ebenfalls gut verdaut, weil Kinder wie die Eltern wüssten, dass sie es besser könnten, alles nur eine Frage der Anstrengung. Und nur über Anstrengung sei auch der Spaß an Sache zu erlangen, Vertrauen, noch größere Leistungsbereitschaft.

What Chinese parents understand is that nothing is fun until you're good at it. To get good at anything you have to work, and children on their own never want to work, which is why it is crucial to override their preferences. This often requires fortitude on the part of the parents because the child will resist; things are always hardest at the beginning, which is where Western parents tend to give up.

Niemals aufgeben

Eines der schlimmsten Dinge, die Eltern dem Selbstwertgefühl des Kindes antun können, sei genau das: Zulassen, dass es aufgibt. Wohingegen das Durchhalten belohnt wird: mit verstärktem Selbstvertrauen und der Erfahrung, dass es etwas lernen kann, von dem es gedacht hat, dass es das nicht könne. Die Maxime der Tigermama hat den Pathos unzähliger amerikanischer Filme, Erzählungen, Songs und Lebensratgeber. Die Schule des Zweifels bleibt geschlossen, das Reich der Ambivalenzen ebenso, Rocky statt Hamlet (es kommt nicht von ungefähr, dass das Theater auf der „No“- Liste ist). Möglich, dass das Buch von Amy Chua in seiner Gesamtheit etwas differenzierter vorgeht. Im Ausschnitt finden sich nur Ideen, die losgelöst von der menschlichen Wirklichkeit, großartig und erfolgreich dahermarschieren.

Die oft kleinen, aber immer härtnäckigen Widersprüche und Hindernisse der Realität, die sich auch in der Kindererziehung zeigen, werden mit Willenskraft zur Seite gedrängt. Wie Aussagen von Amerikanern chinesischer Abstammung, die eine solche Erziehung genossen, verraten, sind die Resultate dieser Erziehung komplizierter, als es Chua in Aussicht stellt. Es gebe trotz allem nachweisbaren akademischen Erfolg unter chinesisch stämmigen Zöglingen auch solche, die scheitern:

However, there are definitely tragic examples, too, in which kids grow up receiving this kind of education and still turn out to be “losers” or “parent haters.” There is an online chat group on Douban called “Fumu Jie Huohai” [“The Scourge of Studious Parents”], in which group members, mostly those born in the eighties, blame their parents for their own unhappiness or emotional trauma….

Außerhalb des Porzellantellers

Es gibt also trotz aller kulturellen Unterschiede durchaus Parellelen. Auch darin, dass die Kinder nur gehorsam sind, weil sie die Eltern fürchten und nicht weil sie Vergnügen an ihren eingedrillten Fähigkeiten haben. Ihre Reaktion darauf gleicht westlichen Mustern: „They simply do as they are told. Or, they rebel“.

Beklagt wird der Mangel an Mitgefühl, Entscheidungsfähigkeit und Kreativität, die diese Erziehung, bei denen Eltern darauf bauen, dass sie unbedingt alles besser wissen als ihre Kinder, mit sich bringt. Die Kritikfähigkeit scheint aber zumindest im Fall der Tochter der erfolgreichen Chua gut ausgebildet:

“It's not possible for you to tell the complete truth," Sophia tells her mother. "You've left out so many facts. But that means no one can really understand."

Also doch vor allem Theaterdonner, der genau in dem Raum tönt, den ihm die Angst mancher Eltern, den Anschluss zu verpassen, verschafft.

Epilog/Ergänzung

Wie das Leben so spielt, zeigt sich am Ende, als es der 13jährigen Tochter reicht:

Louisa finally cracks, on a family trip, when her mother insists that she try caviar in a restaurant near Moscow's Red Square. Somehow that demand triggers in the 13-year-old girl a true American-style teenage outburst featuring thrown glasses and I-hate-you's ricocheting around the room. After this shocking display of disobedience, Ms. Chua concludes that she needs to relax her hold and grant the girls a modicum of independence.

(Danke für den Lesertipp)