Lifestylepark für die Bionaden-Bourgoisie

Interview mit Christoph Twickel über Gentrifizierung

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Die Bohème entdeckt ein kostengünstiges Viertel, hippe Clubs und Cafés machen auf, das Viertel boomt, Wohlhabende ziehen nach, Mietwohnungen werden in Eigentumswohnungen umgewandelt bis das Viertel in ein ödes Wohlstandsghetto bevölkert von Klon-Giovanni di Lorenzos, Renate Künasts und anderen SZ-Magazin-Lesern inklusive dem Kinderwagen als neuem Statussymbol verwandelt worden ist. Dagegen regt sich aber bisweilen Widerstand, wie der Journalist Christoph Twickel in seinem Buch " Gentrifidingsbums oder Eine Stadt für alle" beschreibt.

Woran merkt man, wenn ein Viertel gentrifiziert wird?

Christoph Twickel: Mal idealtypisch beschrieben: Die Eckkneipe mit den vergilbten Vorhängen macht dicht, junge Modemacher ziehen ein, der türkische Krimskramshöker verkauft plötzlich Spiegel mit barocken Goldrahmen und beim Bäcker sitzen Brillenträger mit aufgeklappten Laptops herum. Will heißen: Ein Stadtteil stellt sich auf eine neues Publikum ein, das mehr Geld mitbringt. Es fängt ganz harmlos, sogar nett an - oft stellt sich am Beginn von Gentrifizierungsprozessen genau die bunte Mischung ein, mit denen etwa die Grünen auf ihren Wahlplakaten zu werben pflegen: Kopftuchträgerinnen und Senioren neben jungen, smarten Freiberuflern.

Es ist aber auch klar, wer sich diese nette Mischung bald nicht mehr leisten kann. In Stadtteilen wie dem Hamburger Schanzenviertel oder im Prenzlauer Berg in Berlin kannst du heute stundenlang im Straßencafé sitzen, ohne dass ein Rentner vorbeiläuft. Klar ist aber auch: Gentrifizierung ist nicht mehr nur auf die Altbauviertel beschränkt - in Hamburg und Berlin etwa fallen Jahr für Jahr Tausende von ehemaligen Sozialwohnungen aus der Mietpreisbindung - und dort geht es preismäßig auch richtig ab.

Was unterscheidet Gentrifizierung von der Stadtplanung früherer Tage? Ist die Gentrifizierung die Folge, wenn man das Reagieren auf soziale Diskrepanzen dem Markt überlässt oder ist dies ein politisch geleiteter Prozess? Welche Interessen könnten hier dahinter stecken?

Christoph Twickel: Gentrifizierung sortiert die Städte in arme und wohlhabende Gebiete - allerdings auf eine Weise, für die politisch niemand verantwortlich machen zu sein scheint. Ist ja alles Angebot und Nachfrage! Wenn man genauer hinsieht, stellt man allerdings fest: Überall in den europäischen Metropolen haben Stadtpolitiker auf diese Form der Segregation hingearbeitet: Die Innenstädte sollen sauber, sicher und attraktiv für einen oberen Mittelstand werden, der bis in die Achtziger noch eher in den Speckgürtel gezogen ist.

Die alte Stadtplanung hatte noch von der großangelegten Funktionsteilung im kapitalistischen Sinne geträumt: Davon zeugen die Schlafstädte der Sechziger und Siebziger, die "autogerechte Stadt" mit ihren Stadtautobahnen und Bürostädten. Man wollte den Städtern sozusagen Orte zum Arbeiten, zur Freizeitgestaltung und zum Wohnen aufherrschen. Das war zwar alles auch nicht schön - aber die gentrifizierte Stadt, in der es die attraktive, kleinteilige "Stadt der kurzen Wege" nur für die 20 Prozent der Besserverdienenden gibt, ist eben auf keinen Fall das bessere Modell.

Seit wann gibt es in Deutschland Gentrifizierung?

Christoph Twickel: Der Begriff taucht zuerst Mitte der 60er Jahre in England und den USA auf. Das Phänomen, das er beschreibt, lässt sich für die deutschen Großstädte spätestens seit den Siebzigern nachweisen - im Zusammenhang mit einer grundsätzlichen Veränderung des städtischen Raumes. In den Sechziger Jahren nämlich verschwindet allmählich die industriell geprägte Stadt und damit auch das klassische Proletariat aus den Innenstädten, gleichzeitig gibt es auch bei den gutbürgerlichen Schichten einen Trend zum Häuschen in der grünen Vorstadt.

Kürzlich haben wir im Gängeviertel Dokumentarfilme aus der Hamburger Häuserbesetzungsbewegung der Siebziger gezeigt. Der heutige Szenestadtteil Ottensen sah Mitte der Siebziger noch geradezu bronxmäßig aus - aber der sozialdemokratische Sanierungsbeauftragte wusste schon damals, worum es geht. Der sprach in einem Dokumentarfilm immer von "jungen Aufsteigerfamilien", die in Zukunft das Viertel prägen sollten.

Wie sieht es mit der Rolle von Kulturschaffenden und Künstlern in diesem Prozess aus? Sind sie Teil des Widerstands oder Teil der Gentrifizierung? Wie kann man als Teil der Gentrifizierung gegen Gentrifizierung sein? Sind sich die Gentrifizierungsgegner dieser Schizophrenie bewusst?

Christoph Twickel: In der Gentrifizierungsforschung gelten Künstler, Studenten, Subkultur- und auch alternative Szenen gemeinhin als "Pioniere", also als die Klientel, die einen Stadtteil neu erschließt und interessant macht. Oftmals sind diese Leute dann selbst vom Verdrängungsprozess betroffen: Sie haben ein Viertel hip gemacht und damit den Immobilienwert als Wohnstandort - unbewusst - in die Höhe getrieben. Einige können sich dann die Mieten nicht mehr leisten, andere profitieren von der Gentrifizierung, weil die Geschäfte besser laufen.

Kürzlich zum Beispiel hat im Hamburger Schanzenviertel der erste Bioladen dicht gemacht - stattdessen gibt's dort heute einen Kindermöbelgeschäft. Will heißen: Der Bioladen, die Künstler, die kleine-Läden-Betreiber sind einerseits Rädchen in der Aufwertungsmaschinerie und geraten andererseits in deren Verlauf auch bisweilen unter die Räder.

"Als Kreativer eingebunden in neoliberale Stadtentwicklungspolitik"

Die "kreativen Szenen", mit denen die Städte überall in deutschen Metropolen Aufwertungsprozesse anschieben, sind eben weder ausschließlich Café-Latte-Yuppies noch ausschließlich prekäre Bohemians. In Hamburg hat es im Zuge der Gängeviertel-Besetzung, durch unser Manifest "Not in Our Name, Marke Hamburg" und andere Initiativen im Recht auf Stadt-Netzwerk eine Art Politisierungsprozess gegeben.

Diese Initiativen sind unter anderem auch aus dem Unbehagen darüber motiviert, dass man sich als "Kreativer" zunehmend eingebunden sieht in neoliberale Stadtentwicklungspolitik. Das Gängeviertel ist so ein Versuch, einen Kontrapunkt zu setzen: An einem Ort, der schon komplett aufgewertet ist, versucht man, einen neuen politischen Raum zu konstituieren, eine Schneise zu schlagen, etwas anders zu machen.

Einerseits ist die Technologiefeindlichkeit, die ja auch einen Teil des geistigen Inventars der Anti-Gentrifizierungsbewegung ausmacht (zum Beispiel, wenn sich bei einer Sendung zum Thema im Zündfunk ein Student darüber beschwert, dass in Rentnerwohnungen Zentralheizungen eingebaut werden) etwas so Neoprimitivistisches und Urgrünes, wie Fahrradfahren, Nichtrauchen, Stricken und Müsliessen, andererseits dürfte die sich bevorzugt durch Biomärkte shoppende und in Kindercafés Soja-Latte-Macchiato schlürfende Wählerschaft der Grünen einen nicht unbeträchtlichen Teil der Pro-Gentrifizierungsbewegung ausmachen. Wie also konnten sich die Grünen das Agieren gegen die Gentrifizierung so unverhohlen auf ihre Fahnen schreiben?

Christoph Twickel: Für mein Umfeld und für die gentrifizierungskritischen Bewegungen, die ich kenne, kann ich nur sagen: Ich wüsste nicht, dass da jemand was gegen die zivilisatorische Errungenschaft der Zentralheizung hat. Klar: Viele empfinden alte und brachliegende Gebäude als irgendwie charmant-authentisch, weil man eben schon ahnt, wie es dort nach Abriss oder Modernisierung aussehen wird: Aus Industriedenkmälern werden Hotels oder Shoppingarkaden mit musealisierter Fassade und alte Wohnhäuser werden durch unbezahlbare Townhouses ersetzt.

"Segregation durch Klimaschutz"

Zum zweiten Teil der Frage: Dass die Grünen in Stuttgart beim Widerstand gegen S21 eine so große Rolle gespielt haben, hat ein wenig vergessen lassen, dass sie mittlerweile vor allem Klientelpartei für die Bionade-Bourgeoisie sind - bestimmte bildungspolitische Ansätze mal ausgenommen, mit denen sie ja in Hamburg gescheitert sind. Als Teil der schwarzgrünen Koalition haben die Grünen in Hamburg nichts gegen Gentrifizierung unternommen - andererseits wäre ohne eine grüne Regierungsbeteiligung womöglich das Gängeviertel geräumt worden.

Im Übrigen ist es weniger der Biomarkt und der Soja-Latte, der für Aufwertung und Vertreibung sorgen - fragen Sie mal die Mieterverbände: Da ist es u.a. die energetische Modernisierung, ein urgrünes Anliegen, in deren Folge Hartz-IV-Empfänger plötzlich feststellen müssen, dass ihre klimafreundliche Wohnung nicht mehr den Angemessenheitskriterien entspricht. Weil nämlich die Vermieter die Modernisierung auf die Miete umlegen können. Nichts gegen Klimaschutz - aber so befördert er die Segregation in den Städten.

Könnten sich Bewohner zum Beispiel mit Genossenschaftswohnungen der Gentrifizierung erwehren? Gibt es Städte, in denen durch Initiativen der ursprünglichen Viertelbewohner Gentrifizierungssbestrebungen eingedämmt werden konnten?

Christoph Twickel: Es gäbe heute große Teile des Altbaubestandes in Berlin, Frankfurt oder Hamburg nicht mehr, wenn nicht die Hausbesetzer und Bürgerinitiativen gegen die Flächensanierungen und Großprojekte der Siebziger und Achtziger Jahre gekämpft hätten. Das darf man nicht vergessen - auch wenn viele der so geretteten Viertel heute Musterbeispiele für Gentrifizierung sind. Aber ich bin dagegen, da das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Natürlich ist um die seit 1989 besetzte Rote Flora heute ein hippes, Ausgeh- und Konsumviertel entstanden - und trotzdem und gerade deshalb ist es wichtig, dass es solche Orte gibt. Zur Genossenschaftswohnungsfrage: Es gibt wunderbare Initiativen wie etwa das "Mietshäusersyndikat", ursprünglich aus Freiburg, die zeigen, wie man dem Immobilenmarkt in kleinen Kollektiven ein Schnäppchen schlagen kann. Aber es ist auch klar, dass solche Strategien vor allem einem linken Bildungsprekariat weiterhelfen - im Falle der Baugruppen natürlich auch dem linksliberalen Mittelstand.

Die Bewohner der in den Sechziger und Siebziger Jahren erbauten Großsiedlungen, die heute gerne als "Problemviertel" gelten, verfügen meist nicht über die Netzwerke und den Bildungshintergrund, solche geförderten, kollektiven Projekte durchzusetzen. Recht auf Stadt heißt eben auch: Dafür zu streiten, dass die Städte nicht dem Immobilienmarkt gehören - also nicht bloß einzelne Häuser oder Projekte.

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