Katze im Sack

Im Februar wird der neue Kopf einer Medienaufsichtsbehörde gewählt, die auch auf das Internet großen Einfluss hat

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Die Bayerische Landeszentrale für Neue Medien (BLM) ist eine weitaus mächtigere Einrichtung als ihr Name suggeriert. Nicht nur, weil sie die Hälfte der deutschen Privatfernsehsender verantwortlich ist: Über die Kommission für den Jugendmedienschutz (KJM) nimmt sie auch erheblichen Einfluss auf das, was im Internet sein darf und was nicht.

Bisher wurde die BLM von Wolf-Dieter Ring geleitet, einem Überbleibsel der Ära Strauß, dessen immenses Gehalt unlängst der Bayerische Oberste Rechnungshof rügte. Ring war vor seiner Zeit als BLM-Chef unter anderem Referatsleiter in der Staatskanzlei. Dass sein Nachfolger der jetzige bayerische Staatskanzleichef Siegfried Schneider wird, schien bis vor Kurzem unter anderem deshalb sicher, weil der Medienrat, der über diese Personalfrage entscheidet, so klar CSU-dominiert ist, dass sich der Blogger Thomas Stadler sogar schon zu einem Vergleich mit ungarischen Verhältnissen hinreißen ließ.

Dass ein unabhängiger Fachmann Nachfolger von Ring wird, gilt auch weiterhin als ausgeschlossen. Aber Schneider hat unerwartet Konkurrenz aus der eigenen Partei bekommen, nämlich von Gabriele Goderbauer-Marchner, einer Professorin für Print- und Onlinejournalismus an der Fakultät für Betriebswirtschaft der Bundeswehruniversität in München. Sie wird nicht nur von den Freien Wählern, sondern auch von der SPD, den Grünen und der FDP unterstützt, die in Bayern mit der CSU koaliert.

Eingefädelt hat ihre Kandidatur angeblich die Freie-Wähler-Abgeordnete und Festwirtin Jutta Widmann, die Goderbauer aus dem Landshuter Stadtrat kennt, wo sie die CSU-Fraktion anführt. Nachdem ihre Kandidatur bekannt wurde, empörten sich viele ihrer Parteikollegen darüber. Der Landshuter Oberbürgermeister Hans Rampf meinte, dass es nicht "angehe", wenn seine Fraktionsführerin "sich als CSU-Frau gegen den offiziellen CSU-Kandidaten stellt".

Die Äußerung wird vor allem dann interessant, wenn man bedenkt, dass der frühere Betreiber von neun McDonalds-Filialen 2004 seine erste Wahl zum Oberbürgermeister gegen einen offiziellen CSU-Kandidaten gewann, den er weit unter 20 Prozent drückte. Doch in der niederbayerischen Stadt, in der ein monarchistischer Grünen-Renegat in Kniebundhosen, Loden-Cape und Ludwig-II-Frisur zweistellige Wahlergebnisse erzielte, vertrug man sich ebenso schnell wieder, wie man sich vorher in die Haare bekommen hatte. Ein Schauspiel, das möglicherweise auch Goderbauer-Marchner zu ihrer Kandidatur ermutigte.

Ob sich die Landshuterin in ihrer Führung der BLM maßgeblich von Schneider unterscheiden würde, ist offen. Auf Fragen von Telepolis, ob unter ihrer Präsidentschaft Sender wie 9Live eine Lizenz bekämen und ob sie wie Schneider Rundfunkgebühren an Privatsender umleiten will, antwortete die über Theoretiker des deutschen Vormärz als Vordenker moderner Volksvertretungen promovierte 50-Jährige lediglich, dass dies "wichtige Bereiche" seien, die "angegangen werden müssen".

Gefragt, ob sie auch bei der KJM Nachfolger von Wolf-Dieter Ring wird und wie ihre Pläne für einen Neustart des im letzten Jahr gescheiterten Jugendmedienschutz-Staatsvertrages aussehen, meinte Gabriele Goderbauer-Marchner, dass ihr die Themen "Jugendmedienschutz, Jugendschutz generell, Medienkompetenz, Qualitätsmedien, in der Zukunft und die Auswirkungen der Digitalisierung [...] sehr am Herzen" lägen und "laufend Gegenstand ihrer Forschung und Lehre" seien.

Nicht nur die Presse, sondern auch die Medienräte, die den neuen BLM-Präsidenten am 24. Februar wählen, müssten sich eigenen Angaben zufolge mit Informationen zufriedengeben, die eher wenig Rückschlüsse auf die zukünftigen Handlungen der Kandidaten zulassen. Auch ihnen ist (zumindest offiziell) nur bekannt, dass Goderbauer-Marchner den Jugendmedienschutz für ein "wichtiges Thema" hält, aber nicht, was sie konkret hierzu plant. Das Medienratsmitglied Ulrike Gote von den Grünen verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die bayerische Staatskanzlei und ihr Leiter Siegfried Schneider "federführend an der Novellierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrages beteiligt" waren und hofft darauf, dass Goderbauer-Marchner als beruflich mit Medien Befasste potenziell mehr als Schneider nach fachlichen Kriterien als nach Parteiinteressen entscheiden wird.

Ein Blick in Goderbauer-Marchners Veröffentlichungen wie Journalist werden oder Qualitätsjournalismus im Crossmedia-Zeitalter macht ihre Positionen zu diesen Fragen nicht unbedingt klarer. Gut möglich also, dass das deutschsprachige Internet unter der hegelianisch-indirekt wohlwollenden Vernachlässigung eines relativ medienfremden BLM-Präsidenten besser gedeiht als unter ambitionierten Verbesserungsversuchen einer Fachfrau. Genauso gut ist aber auch das Gegenteil möglich.

Auch die aktuelle Telepolis-Umfrage beschäftigt sich mit CSU-Politikern: Wer soll neuer Vorsitzender werden?

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