Modernisierung des rechten Spektrums

Vor dem Parteitag der Le Pen-Partei Front National: Tochter Marine versucht mit dem "Abwehrkampf gegen den Islam" die Annäherung an konservative, liberale, "pro-westliche" bürgerliche Bündnispartner

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Es ist etwas in Bewegung gekommen in der politischen Landschaft Frankreichs. Umfragen sagen der rechtsextremen Politiker Marine Le Pen derzeit, fünfzehn Monate vor der kommenden Wahl, 18 Prozent der Stimmen als Präsidentschaftskandidatin voraus. „Projekt 18“ auf Französisch? Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die extreme Rechte in der Vergangenheit bei Umfragen fast immer unterschätzt worden ist. 35 Prozent der Anhänger der französischen Regierungspartei UMP erklären ihr Einverständnis für ein mögliches Bündnis der Konservativen mit dem Front National, der Partei von Le Pen Vater und Tochter, der bislang in der Öffentlichkeit noch einiger Schwefelgeruch anhaftet. Doch so manches Tabu scheint dabei, zu stürzen. Wie konnte es dahin kommen?

Der Vater der mutmaßlichen Kandidatin, Jean-Marie Le Pen, der an diesem Wochenende von der politischen Bühne abtritt, wurde im Winter 2001/02 in Umfragen bei 11 Prozent gehandelt und landete dann bei 17 Prozent und zog in die Stichwahl ein. Beobachter warnen vor dem „aufhaltbaren Aufstieg der Marine Le Pen“, unter Anspielung auf jenen des Arturo Ui, den Bertold Brecht beschrieb.

Beim Parteitag des Front National (FN) an diesem Wochenende findet eine wichtige Weichenstellung in der Geschichte der französischen und europäischen extremen Rechten statt. Nach 39 Jahren ohne Unterbrechung an der Spitze der von ihm gegründeten Partei wird der 82jährige Jean-Marie Le Pen erstmals den Vorsitz des FN niederlegen. Es gilt als höchstwahrscheinlich gilt, dass seine eigene Tochter Marine das Amt übernehmen wird, damit geht eine gewisse Änderung der Inhalte einher.

Modernisierung des rechten Spektrums

Auch in Frankreich, deren extreme Rechte bis dahin im Vergleich zu anderen Ländern wie Italien oder den Niederlanden als relativ stark anrüchig und besonders antisemitisch gelten konnte, steht eine Modernisierung dieses Spektrums an. Es dürfte dadurch aber auf Dauer nur gefährlich werden. Welch neue Bündnisse – unter Einschluss von historischen Feministinnen, nordafrikanischen Berbern oder einzelnen rechtsgerichteten Juden – dies gleichzeitig ermöglicht, belegte kurz vor Weihnachten ein europaweiter Kongress in Paris.

Aber noch ist Marine Le Pen nicht die Chefin ihrer Partei. Um sich durchzusetzen, muss sie sich gegen einen Gegenkandidaten behaupten, den 60jährigen Bruno Gollnisch – der frühere Juraprofessor war Anfang 2005 infolge von Äußerungen, die in Richtung Holocaustleugnung gingen, aus dem Universitätsdienst entfernt worden. Aufgrund seines notorischen Mangels an Charme und Dynamik, verglichen mit der 42jährigen „Cheftochter“ und Anwältin, dürfte er jedoch nur geringe Chancen gegen die Tochter Le Pens haben.

Marine Le Pen hat, seitdem sie im Wahlkampf 2002 (ihr Vater zog damals in die Stichwahl um die französische Präsidentschaft ein) durch die Medien „entdeckt“ wurde, ihrer Partei bereits gewisse Wandlungen auferlegt. Unter ihrer Federführung hielten neue Mechanismen in die Argumentation des Front National Einzug.

Insbesondere die Berufung auf die „Modernität“, auf „den Laizismus“ und „die Republik“, die bislang eher nicht zum Repertoire der französischen extremen Rechten zählten - unter anderem aufgrund der starken Präsenz der „Anti-1789-Traditionslinie“ in ihren Reihen. Hauptsächlich, jedoch nicht ausschlieβlich, auf dem ultrakatholischen Parteiflügel. Das Wort „Republik“ steht in Frankreich in einer historischen Reihe mit der Erinnerung an das Jahr 1792, in welchem ein erster Radikalisierungsschub der damaligen (bürgerlichen) Revolution stattfand, der König abgesetzt wurde und erstmals die Republik ausgerufen wurde. Der positive oder negative historische Bezug auf dieses historische Ereignis bildet eine der Scheidelinien zwischen der bürgerlichen und der extremen Rechten in Frankreich.

Die „neo-nationalistische“ Bewegung

Zum ersten Mal überhaupt bezog Jean-Marie Le Pen sich in programmatischer Weise positiv auf den Begriff der „Republik“, als er am 20. September 2006 im ostfranzösischen Valmy seinen letzten Präsidentschaftswahlkampf eröffnete. Valmy, in der Nähe von Reims, ist der Ort einer Schlacht zwischen den Freiwilligentruppen der jungen Republik und den feindlichen Armeen der europäischen Monarchien. Jean-Marie Le Pens Auftritt in Valmy und seine dort gehaltene Programmrede sollten den (frisch eingeführten) Bezug auf die Republik in eine direkte Verbindungslinie mit der nationalen „Mobilisierung der Massen“ bringen.

Einige FN-Parteifunktionäre äuβerten sich damals dennoch explizit unzufrieden mit dem positiven Andocken an das Revolutionsjahr 1792. Aber die entscheidende Neuerung liegt nicht darin allein. Geistiger Urheber des Auftritts von Valmy war seinerzeit Alain Soral, ein vor 1993 zur marxistischen Linken zählender Intellektueller, der seitdem als politischer Geisterfahrer und „rot-brauner“ Agitator unterwegs ist. Soral träumte davon, eine multiethnische und sogar multikulturelle „neo-nationalistische“ Bewegung zu schaffen - unter Einschluss der Franzosen migrantischer Herkunft - im Namen des gemeinsamen „Selbstbehauptungskampf“ der Nation gegen die Stürme der Globalisierung, „das US-Imperium“ und „die Neue Weltordnung“.

Diese Idee der ausdrücklichen Einbeziehung von Franzosen migrantischer Herkunft - freilich unter gleichzeitigem Verbot von Neuzuwanderung - schien besonders Marine Le Pen damals attraktiv genug, um Alain Soral zum „Sonderberater“ im Präsidentschaftswahlkampf 2006/07 zu küren. Sollte er doch auf diese Weise dazu beitragen, die rechtsextreme Partei zu „entstauben“ und ihr Erscheinungsbild aufzulockern.

Doch die Sache hatte einen Makel: In Wirklichkeit glaubte Alain Soral, Franzosen „von Abstammung“ und solche, die zugewandert seien - er schien in seiner Vision besonders an Franzosen muslimischer Konfession zu denken - gegen einen gemeinsamen Feind in Gestalt Israels, aber (unausgesprochen doch deutlich erkennbar) auch der Juden, zusammenführen zu können. Als dies immer klarer erkennbar wurde, trennten sich seine Wege von denen Marine Le Pens, denn sein Anliegen schien den „Modernisierungs“bestrebungen dann doch abträglich.

Alain Soral verlieβ den FN Anfang 2009 und gründete eine eigene Splittergruppe, „Egalite & Réconciliation“ (E&R), scheint jedoch derzeit kurz vor dem Rückzug ins Privatleben zu stehen, wie ein jüngst von ihm gegebenes Interview erkennen lässt. Einige seiner bisherigen Anhänger unterstützen inzwischen den eher traditionell-neofaschistischen, sich auf Ultrakatholiken und offene Rassisten sowie Antisemiten stützen Gegenkandidaten Marine Le Pens im Ringen um die Parteiführung, Bruno Gollnisch.

Ein neuer gemeinsamer Feind

Seit 2009 - und in den letzten Wochen und Monaten zunehmend deutlich - hat Marine Le Pen einen neuen „gemeinsamen Feind“ gefunden, gegen den sich bislang scharf voneinander getrennte Milieus zusammenscharen sollen: alte Rechtsextreme und ihre bisherigen Gegner, „Abstammungsfranzosen“ und zugewanderte Staatsbürger, frühere Linke und langjährige FN-Anhänger. Das neue Feindbild zielt auf den Islam, oder - suggestiv bezeichnet - , der „fortschreitenden Islamisierung unseres Landes“. In diesem „Abwehrkampf“ gegen einen vermeintlich übermächtig werdenden Gegner beruft sie sich auch (erneut) auf die Republik und - ein absolutes Novum für die extreme Rechte - auf „die Laizität“, „la laïcité“, also auf das französische Verständnis der Trennung von Religion(en) und Staat.

Letztere sei durch die „Terraingewinne des Islam“ akut bedroht, da es im Islam keine Trennung von Religion und Politik gebe. Dabei hat Marine Le Pen, wenn sie von einem Anwachsen der Gefahr spricht, direkt und unverkennbar die pure Anwesenheit von Einwanderern aus moslemisch geprägten Ländern auf französischem Boden im Visier. Die nunmehrige positiv gewendete Rede von „Republik“ und „Laizität“ - vor allem die Letztgenannte war bis dahin für weite Teile der extremen Rechten ein Gräuel - soll es erlauben, neue Fronten aufzubauen: Die extreme Rechte soll nicht länger als Verteidigerin überholter Werte und reaktionärer Familienmodelle erscheinen, sondern auch den „Schutz der Frauenrechte“, gegen eine angebliche Bedrohung in Person der moslemischen Immigranten, auf ihre Banner schreiben.

Aus dem Schatten des historischen Antisemitismus lösen

Auch soll sie sich aus dem Schatten des historischen (und aktuellen) Antisemitismus lösen können, indem ihre Propaganda sich nunmehr auch an die jüdische Gemeinschaft sowie andere Bevölkerungsgruppen und Minderheiten richtet, um sie für eine gemeinsame Frontbildung gegen die „islamische Bedrohung“ zu gewinnen. Nach dem Vorbild der English Defence League, die es schaffte, neben rechten Schlägern und Fuβballhooligans zum Teil auch jüdische und asiatischstämmige Anhänger zu rekrutieren, im Namen einer Priorität des Kampfs gegen („radikale“) Moslems.

Diese Orientierung erlaubt es der extremen Rechten - vergleichbar dem, was sie in Dänemark, den Niederlanden oder in Italien vermochte - auch die Annäherung an konservative oder liberale, jedenfalls „pro-westliche“ bürgerliche Bündnispartner, die durch den Antisemitismus allemal abgestoβen würden. Aber nicht nur an diese. Denn der Anti-Moslem-Kampf eröffnet zugleich ganz Fronten entlang bislang eher unerwarteter Linien.

Es geht doch nichts über einen guten gemeinsamen Feind, um unter Leuten, die sonst mutmaßlich nicht sehr viel miteinander gemeinsam hätten, etwas „Verbindendes“ zu stiften. Oder was sonst hätten eine historische Feministin, einzelne Kabylen - nordafrikanische Berber, in diesem Fall solche, die stolz darauf sind, nur ja keine Araber zu sein -, rechtsradikale Fubballhooligans mit Schals vom Pariser Club PSG und ein neofaschistischer Präsidentschaftskandidat miteinander gemeinsam? Ja, zum Glück gibt es einen gemeinsamen Feind.

Unerwartete Annäherungen bei Schweineschinken-Sandwichs

Dessen Bestimmung führt zu unerwarteten Annäherungen. Die Feinddefinition ist klar. Sie lautet: Die Moslems sind es, diese Bösen, die uns überfremden, „besetzen“, überschwemmen, die Arbeitsplätze wegnehmen, an Kriminalität schuldig sind – und überhaupt.

Nicht jeden Tag sieht man die Obengenannten gemeinsam in einem Saal sitzen wie am Samstag vor Weihnachten im 12. Stadtbezirk von Paris. Rund 1.000 Personen aus halb Europa - zuzüglich Gastredner aus Russland und den USA - zog der „Kongress gegen die Islamisierung unserer Länder“ an, der den ganzen Tag über dauerte. Verpflegt wurden die Anwesenden, die dafür 15 Euro berappt hatten, mit Schweineschinken-Sandwichs und Rotwein von der rechtsradikalen Vereinigung Solidarité des Français (SDF). Diese Satellitenstruktur des Bloc identitaire, einer aktivistischen neofaschistischen Organisation, machte in den letzten Jahren durch ihre „Schweinesuppe“ – la soupe au cochon – von sich reden: Es handelt sich um eine Armenspeisung, die sie jeden Winter Pariser Obdachlosen anbietet, aber mit einem Speiseangebot, das sowohl Moslems auch aus Juden von vornherein ausschliebt. Der Bloc identitaire selbst war mit seinem „Präsidentschaftskandidaten“, Arnaud Gouillon, und seinem Chef Fabrice Robert als Rednern vertreten.

Auch nicht jeden Tag hört man eine frühere Webbegleiterin von Simone de Beauvoir die rechtsextreme Politikerin Marine Le Pen mit ihrem Vornamen anreden, um ihr zu attestieren, ihre Sprüche hätten „nichts Schockierendes“. So hörte man aus dem Munde von Anne Zelensky, die sich auf die viel diskutierten Äußerungen der Tochter von Jean-Marie Le Pen vom 10. Dezember bezog.

“Besatzung“ durch betende Muslime auf den Straßen

An jenem Abend hatte die mutmaßlich künftige Chefin des FN einen Auftritt in Lyon vor rund 300 Anhängern ihrer Partei. Die FN-Sektion in Lyon gilt als „radikal“, zu ihr zählen auch sichtbare Neonazis und offene Antisemiten. Vor einem solchen Publikum ließ Marine Le Pen sich nicht lumpen. Am Mikrophon schrieb sie jenen, die „dauernd vom Zweiten Weltkrieg“ und der Besatzung durch Nazideutschland reden wollten, ins Stammbuch, heute gebe es eine aktuelle Besatzung, um die sie sich stattdessen lieber einmal kümmern sollten. Und zwar jene Besatzung "von Teilen unseres Territoriums", die von Muslimen ausgehe, die tatsächlich oder angeblich unter freiem Himmel auf den Straßen beteten.

Solches kommt an islamischen Feiertagen ausnahmsweise in einzelnen Strabenzügen im 18. Pariser Bezirk vor, weil - aufgrund der dortigen starken räumlichen Konzentration der Einwanderer auf engem Raum - die Moscheen des Stadtteils viel zu klein sind. Alle Einwandererfeinde in Frankreich haben in den letzten Monaten ihre Aufmerksamkeit auf diese Szenen gerichtet, die auf spezialisierten Webseiten akribisch und auf mitunter geradezu besessene Weise dokumentiert werden.

Stargäste mit Panzerknackern

Marine Le Pen nahm an dem Kongress, der von konkurrierenden Kräften innerhalb des rassistischen Spektrums ausgerichtet worden war, selbst nicht teil. Marine Le Pen erklärte jedoch bei einem Fernsehinterview am darauffolgenden Tag (19. Dezember), sie habe nur deswegen nicht kommen wollen, weil sie vollauf durch den innerparteilichen Wahlkampf im Ringen um den Parteivorsitz beschäftigt sei.

Sie fügte auf dem Sender LCI hinzu: „Oskar Freysinger hat eine bemerkenswerte Rede dort gehalten.“ Freysinger, Abgeordneter der Schweizerischen Volkspartei (SVP), war der wichtigste Stargast des Kongresses. Er ist es, der das eidgenössische Referendum vom November 2009 zum Minarett-Verbot und jenes vom November dieses Jahres - zur automatischen Abschiebung ausländischer Krimineller oder auch „Sozialleistungs-Missbraucher“ - maßgeblich initiiert hat.

Gegen Mittag tauchte er mit einem stattlichen Trupp von Leibwächtern, die durch ihre Sonnenbrillen stark den Panzerknackern in Walt Disneys Comicstrips ähnelten, auf dem Kongress auf. Er führte aus, „Islam und Kommunismus“ hätten beide miteinander gemeinsam, dass sie „kollektivistische Totalitarismen“ seien - in Wirklichkeit ist der Islam eine stark kaufmännisch geprägte und deswegen im Ausgang eher wirtschaftsliberale Religion -, und deswegen stünden die Linken in einer Front mit den Muslimen. In Wirklichkeit sei aber das Hauptproblem, dass die moslemischen Einwanderer in Europa auf eine „geistige und spirituelle Wüste“ träfen, weil „wir“ uns „unserer eigenen Identität“ nicht mehr sicher seien.

Der Name der abwesenden Marine Le Pen wurde mehrfach mit Applaus bedacht, unter anderem anlässlich der Ausführungen von Anne Zelensky. Sie rechtfertigte die Allianz mit den Rechtsextremen: Die Linke habe den Laizismus nach ihrem Geschmack verraten, und zudem habe die Rechte erkannt, dass „nicht alle Kulturen denselben Wert haben“, sondern die abendländische aufgrund der Stellung der Frau überlegen sei.

Als einzige Rednerin wurde die historische Feministin gegen 17 Uhr durch eine Mehrheit des Publikums ausgepfiffen, als sie erwähnte, wie sie im Jahr 1970 am Kampf um die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen teilnahm. Denn ganz so eng sehen viele der Anwesenden die Sache mit dem Laizismus nicht, der für einen Gutteil von ihnen vor allem einen bequemen Vorwand darstellen dürfte, um auf die Moslems im Besonderen und Einwanderer im Allgemeinen einzuprügeln.