Alles, nur nicht Vorratsdatenspeicherung

Eine Woche Speicherung, wie sie die Justizministerin vorschlägt, wäre ein "Türöffner für weiter greifende Verhandlungen". Ein Gespräch mit Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung

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Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung hat die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine siebentägige Verbindungsdatenspeicherung als "keine Vorratsdatenspeicherung im bisherigen Sinne" deklariert. Telepolis sprach darüber mit Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung.

Herr Breyer, im Moment wird der Begriff Vorratsdatenspeicherung erstaunlich oft vermieden. Mal spricht man von "Quick Freeze Plus", der Bundesinnenminister verwendet den Begriff Mindestspeicherfrist.

Patrick Breyer: Der Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung hat eine Vorbildfunktion, was das Engagement für Bürgerrechte und Datenschutz angeht. Im Interview mit der Frankfurter Rundschau hat der Bundesinnenminister selbst gesagt: "Spätestens bei der Vorratsdatenspeicherung begnügten sich selbst Unionsanhänger nicht mehr länger mit der Argumentation: 'Wer nichts zu verbergen habe, habe nichts zu befürchten'" und bezeichnete den gigantischen Protest als "Schlüsselerlebnis". Deshalb vermeiden jetzt viele das Wort Vorratsdatenspeicherung weil es zu negativ klingt, da werden dann neue Worte geschaffen.

Also hauptsächlich eine Vermeidungsstrategie?

Patrick Breyer: Ja. Und in zweierlei Hinsicht. Einerseits soll der Begriff selbst vermieden werden, andererseits will man auf Seiten der FDP auch nicht als Befürworter gelten, weil sich die Diskussion dann sofort um Detailfragen drehen würde. Es würde heißen "Oh, Sie sind also jetzt auch für die Vorratsdatenspeicherung, dann lassen Sie uns die Ausgestaltung überdiskutieren." Gerade die FDP, die sich die Bewahrung von Bürgerrechten und Datenschutz auf die Fahne geschrieben hat, positionierte sich bislang stark gegen die Vorratsdatenspeicherung, da muss ein Vorschlag der Bundesjustizministerin andere Begriffe nutzen. Trotzdem geht es bei ihr in der Sache auch um eine Vorratsdatenspeicherung und nichts anderes.

Im Interview heißt es auch, dass Provider keine zusätzlichen Telefonverbindungsdaten auf Vorrat vorhalten werden müssen. Dass Provider für interne Zwecke sowie schon speichern, manche für ein paar Tage, manche bis zu 60 Tage.

Patrick Breyer: Das ist ein Ablenkungsmanöver. Diejenigen Provider, die eben nicht, auch nicht für ein paar Tage, speichern, werden im Interview außen vor gelassen. Manche Provider löschen tatsächlich sofort nach dem Ende der Verbindung, ein datenschutzrechtlich konformes Verhalten. Wenn diese nun zur siebentägigen Vorratsdatenspeicherung verpflichtet werden - und die Ministerin spricht ja davon, dass die Provider speichern "sollen" - dann ist das selbstverständlich eine komplette Änderung der bisherigen Situation.

"Die Frage ist: Vorratsdatenspeicherung oder nicht"

In einem Offenen Brief an die Bundesjustizministerin wird auch von Diskriminierung der Internetnutzer gesprochen.

Patrick Breyer:Richtig. Im Brief heißt es dazu: "Warum soll ein anonym per Email versandtes Dokument rückverfolgbar bleiben, wenn dasselbe Schreiben per Post anonym versandt werden kann? Warum soll die Lektüre eines politischen Artikels im Internet nachverfolgbar bleiben, wenn man sich den Abdruck des Artikels anonym in der Buchhandlung kaufen kann? Wie rechtfertigt sich die Ungleichbehandlung von Internet-Telefonie und Telefon-Flatrates, von Twitter-Nutzung und SMS-Flatrates? Aus unserer Sicht ist es unerträglich und mit einer modernen Netzpolitik unvereinbar, gerade Internetnutzer unter einen Generalverdacht stellen zu wollen, indem man ihr Verhalten ohne Anlass erfassen lässt."

Manche, die den Begriff Vorratsdatenspeicherung hören, denken, es ginge da um eine bedachte Speicherung von Einzeldaten. So wie man auch Vorräte mit Bedacht anlegt.

Patrick Breyer: Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es um etwas anderes. Hier werden Daten gespeichert, weil sie möglicherweise irgendwann benötigt werden könnten.

Zurück zum Vorschlag der Ministerin. Eine Woche Speicherung klingt für viele akzeptabel.

Patrick Breyer: Der Vorschlag würde weitgehend das Ende der Möglichkeit anonymer Kommunikation und Publikation im Internet bedeuten, auf die beispielsweise Menschen in Notlagen oder investigative Journalisten dringend angewiesen sind. Auch wäre der Vorschlag nur ein Türöffner für weiter greifende Verhandlungen: Wer eine einwöchige Vorratsdatenspeicherung befürwortet, kann nicht mehr begründen, warum nicht auch eine zweiwöchige, sechswöchige oder sechsmonatige Aufbewahrung der Daten gerechtfertigt sein soll. Das Bundeskriminalamt behauptet schon heute, eine einwöchige Vorratsdatenspeicherung würde "nicht annähernd den polizeilichen Bedarf decken".

Also weiterhin die Maximalforderung: keine Vorratsdatenspeicherung.

Patrick Breyer: Richtig. Das ist keine Maximalforderung. Die Frage ist: Vorratsdatenspeicherung oder nicht. Es gibt keine Lösung "dazwischen", sondern nur verschiedene Möglichkeiten zur Ausgestaltung einer Vorratsdatenspeicherung, die wir gerade verhindern wollen.

Wie geht der AK Vorrat nun weiter vor?

Patrick Breyer: Wir haben den "Offenen Brief" veröffentlicht und die Kampagne "Union korrigieren" gestartet. Hier kann und soll jeder mitmachen und protestieren, denn CDU und CSU wollen am Donnerstag sogar eine sechsmonatige Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Bewegungsdaten aushandeln. Momentan ist die politische Ausgangslage so gut wie noch nie. Wenn alle mitmachen, haben wir eine gute Chance, die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland zu verhindern und die EU-Vorgaben zu Fall zu bringen. Weitere Aktionen werden wir in Kürze ankündigen.