"Wenn's ums Geld geht, gibt es kein Pardon"

Interview mit Carsten Frerk über die Kirchenfinanzen und den Staat

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Carsten Frerk ist Chefredakteur des Humanistischen Pressedienstes und ein ausgewiesener Kenner der Finanzierungspraxis von Kirchen in Deutschland. Telepolis sprach mit ihm über seine neueste Publikation "Violettbuch Kirchenfinanzen". Sein Fazit mutet erst einmal paradox an: Weil die Kirchen von den verschiedenen staatlichen Diensten in höchstem Ausmaß profitieren, sieht er ausgerechnet durch sie das Prinzip der Religionsfreiheit nicht mehr gewährleistet.

Herr Frerk, können Sie uns mitteilen, wie hoch die Einnahmen der beiden Kirchen aus der staatlich erhobenen Kirchensteuer sind? Wie sind Sie an Ihre Daten gekommen? Und was wird mit dieser Steuer finanziert?

Carsten Frerk: Die beiden Kirchen haben im vergangenen Jahr 9,3 Milliarden Euro eingenommen. Das veröffentlichen die Kirchen auch in ihren Internetportalen und steht so im Statischen Jahrbuch. Es ist also nicht problematisch, an diese Zahlen zu kommen. Was mit der Kirchensteuer finanziert wird, ist eine doppelseitige Angelegenheit, denn die Kirchen haben nicht nur Einnahmen aus der Kirchensteuer, sondern auch aus Vermögen, Dienstleistungen et cetera..

Die Kirchensteuer macht ungefähr vierzig bis fünfzig Prozent der gesamten Kircheneinnahmen aus. Damit wird, wie die Kirchen behaupten, zum größten Teil ihr Personal finanziert. Im Bereich der verfassten Kirche arbeiten immerhin 280.000 Menschen, so gesehen werden 60 bis 80 Prozent der Kirchensteuereinnahmen für das eigene Personal verwendet. Ein Pastor oder Priester zum Beispiel wird nach BAT IIa / A 13 bezahlt und mit Alterversorgung und Arbeitgeberanteilen kostet so ein Theologe der Kirche heutzutage 88.000 Euro im Jahr.

Dennoch sind diese Zahlen in der Öffentlichkeit kein großes Thema. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Carsten Frerk: Ich denke, erst einmal interessieren vieler dieser Kirchenthemen die Öffentlichkeit nicht. Ich habe den Eindruck, die meisten Leute haben sich zwischen 16 und 18 Jahren mit Religionsfragen beschäftigt, dann haben sie angefangen zu arbeiten, Familien zu gründen und Häuser zu bauen und die Kirche war dann für das Gute zuständig.

Jeder projizierte das, was er für Religion hielt auf die Kirchen. Und die Kirchen halten sich auch sehr bedeckt, um nicht in die Schusslinie zu geraten, weil sie in weiteren Finanzierungen von ihren Einrichtungen wie Religionsunterricht, Theologische Fakultäten usw. von der Freundlichkeit von den Kirchen geneigten Politikern abhängig sind und sich deswegen politisch zurückhaltend positionieren.

Ist diese Art Steuer in Europa üblich oder handelt es sich hier um eine deutsche Besonderheit?

Carsten Frerk: Es handelt sich bei dieser Ausprägung in der Tat um eine deutsche Besonderheit. Es gibt kleinere Varianten davon in einigen Kantonen der Schweiz, auch in Dänemark, aber dieses flächendeckende Ausmaß von Steuererhebung in Deutschland ist einmalig. Es gibt noch andere Arten in Europa, zum Beispiel die sogenannte Kultursteuer in Spanien und Italien, die 0,5 Prozent bzw. 0,8 Prozent der Einkommenssteuer beträgt. Diese kann man an Organisationen abgeben, die man selbst bestimmt.

Also nicht einmal in Italien gibt es diese Steuer?

Carsten Frerk: In Italien gibt es wie gesagt, die Otto-Pro-Mille-Steuer, die man der Kirche oder Greenpeace oder anderen Organisationen, die in dem Register der wohltätigen Organisationen stehen spenden kann. Das ist aber in Deutschland nie diskutiert worden, denn die Beträge die hier abfallen würden, sind für die deutschen Kirchen völlig uninteressant.

Wann und von wem wurde die heutige Form von Kirchensteuer eingeführt?

Carsten Frerk: Eingeführt wurde sie Mitte des 19. Jahrhunderts. Diese Einführung war in den verschiedenen Reichsländern unterschiedlich. Der Hintergrund für die Maßnahme war, dass die Finanzierung einer Pfarrei aus drei Quellen stammten: Das eine waren Immobilien: die Kur, der Acker oder der Garten usw., das zweite waren die sogenannten Stolgebühren für Amtshandlungen, also wenn der Priester die Stola umlegte, und das dritte waren eben staatliche Zuwendungen.

Als im Laufe des 19. Jahrhunderts zum Beispiel Polen als Bergarbeiter ins Ruhrgebiet kamen, wurden neue Kirchengemeinden gegründet, die keine Pfründe hatten, aus denen sie sich finanzieren konnten. Als Maßnahme wurde daraufhin die Kirchensteuer eingeführt, die je nach Kirchengemeinde höher oder niedriger war. Diese wurde 1918/19 in der Weimarer Verfassung, nachdem man die Staatskirche abgeschafft hatte, als reichseinheitlich erklärt, um der Kirche eine eigene Einnahme unabhängig vom Staat zu ermöglichen.

Bedingungen hierfür waren, dass der Staat dafür seine Steuerlisten der Kirchenmitglieder zur Verfügung stellt und dass sie eine Vergangenheitssteuer und Empfänger die Kirchengemeinden waren. Diese Prinzipien konnte im Laufe der Zeit vom christlichen Lobbyismus mustergültig ins Gegenteil verkehrt werden: Wir haben heute ein staatliches Inkasso, das heißt der Staat zieht für die Kirchen die Steuer ein, wofür der Staat von den Kirchen drei Prozent des Kirchensteueraufkommens zurückerstattet bekommt. Das ist aber viel zu wenig, denn der Staat erspart den Kirchen den Aufbau eigener Kirchensteuerämter, dessen Kosten, wenn man hier Österreich zum Vergleich heranzieht, sich in Größenordnung von 1,8 Milliarden Euro belaufen würden.

Umwandlung der Kirchensteuer unter den Nazis

Was passierte im Dritten Reich mit der Kirchensteuer?

Carsten Frerk: Durch die Nationalsozialisten ist der Wandel von der Vergangenheitssteuer, die ja erst nach Vorliegen der Steuererklärung errechnet werden konnte, in die Gegenwartssteuer erfolgt. Diese haben 1934 verfügt, dass auf der Lohnsteuerkarte die Religionszugehörigkeit vermerkt wird und der Arbeitgeber die Kirchensteuer jeden Monat direkt berechnet, abzieht und überweist. Dies ist dann erstmals 1935 geschehen und wurde quasi als nationalsozialistische Errungenschaft beibehalten.

Existieren für die Kirche sonst noch Möglichkeiten, an Gelder aus der öffentlichen Hand zu gelangen oder Steuern zu sparen? Um welche Beträge handelt es sich hierbei?

Carsten Frerk: Man muss verschiedene Möglichkeiten in Betracht ziehen: Die Kirchen sind im Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen den freien Trägern gleich gestellt. So gesehen bekommen die Kirchen Zuschüsse wie andere Träger auch. Dass es dabei aber bei den Kirchen um ganz andere Größenordnungen geht, wird von diesen gern verschwiegen. Deshalb könnte man sagen, die Kirchensteuer würde ausreichen, um den internen kirchlichen Apparat zu finanzieren.

Aber alles, was wir heute unter Kirche verstehen - wir hatten ja einen Wandel von der Heilskirche zur Sozialkirche -, also alles, was Kirche als aktive Dienstleistung in der Gesellschaft ausmacht, also Religionsunterricht, die Konfessionsschulen, die kirchliche Erwachsenenbildung usw. wird eben nicht kirchlich, sondern ganz oder weitestgehend durch den Staat finanziert.

Auch Caritas und Diakonie kosten im Jahr 45 Milliarden Euro, wovon die Kirchen 840 Millionen übernehmen, das sind nicht einmal zwei Prozent. Hier sind die Zuschüsse für die Kindertagesstätten, die Beratungsstellen und für ihre eigene Verwaltung enthalten. Alles andere beläuft sich inklusive der Einnahmeverluste des Staates durch die Absetzbarkeit der Kirchensteuer als Sonderausgabe, die im Jahr mit 3 Milliarden zu Buche schlägt, auf insgesamt noch mal 19 Milliarden Euro aus Steuergeldern. Den 9 Milliarden Kirchensteuer stehen also 19 Milliarden aus Steuergeldern gegenüber, so dass die Kirche nur ein Drittel von dem, was ihr zugeschrieben wird, selber finanziert.

"Mittlerweile werden die Kirchen nur noch von einem kleinen Teil der Bevölkerung ernst genommen"

Wie geht diese Steuer- und Finanzierungspolitik für die Kirche mit dem Prinzip der Religionsfreiheit zusammen? Oder anders formuliert: Widerspricht diese finanzielle Privilegierung der Kirchen nicht der Verfassung?

Carsten Frerk: Da sind die Meinungen verschieden: Auf der einen Seite die Auffassung der Kirchen, die das in Ordnung finden, weil sie sich für die Werte zuständig erklären, die der Staat von sich aus nicht vermitteln könne und deshalb verrichten sie aus ihrer Sicht für die Gesellschaft einen großen Dienst und haben die staatliche Unterstützung verdient. Die gegenteilige Position besagt, dass diese Auffassung vielleicht vor fünfzig Jahren einmal gegolten hat.

Mittlerweile werden aber die Kirchen nur noch von einem kleinen Teil der Bevölkerung ernst genommen und sind in punkto Wertgebung auf die hinteren Plätze abgerutscht. Auch bestehe der Grundgedanke des Grundgesetzes in der Trennung von Staat und Kirche, so gesehen müsste man auch alles, was in den letzten 60 Jahren an Zusammenarbeit und Finanzierungshilfe entstanden ist, wieder zurücknehmen.

Meine These zum Thema Religionsfreiheit lautet indessen: Die Kirchen haben in Deutschland ihre Religionsfreiheit verloren, weil sie in der Finanzierung zu stark vom Staat abhängig geworden sind. Sie dürfen deshalb staatlich-politisches Handeln nur sehr moderat kritisieren. Wenn die Kirchen sagen, sie sind der Anwalt der Armen, müssten sie zum Beispiel die Hartz IV-Gesetzgebung und die Sozialgesetzgebung der Bundesregierung in einem ganz anderen Ausmaß kritisieren. Sie dürfen sich aber die Freundschaft mit religiösen Kirchenanhängern im Parlament nicht verscherzen, denn sonst könnten diese auf den Gedanken kommen, die kirchenfreundlichen Regelungen zu ändern.

Ist dies etwas der Grund der recht allgemein gehaltenen Kritik am Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan?

Carsten Frerk: Natürlich muss man aus Sicht der Kirchen dagegen sein. Man ist ja für den Frieden. Aber bitte in sehr moderater Form. Nicht dass Herr Guttenberg, der den Schweigemarsch der evangelikalen "Lebensschützer" begrüßt hat, ärgerlich werden könnte.

Wie viel Prozent der Bevölkerung sind denn heutzutage in Deutschland überhaupt noch kirchlich organisiert?

Carsten Frerk: In den großen Kirchen sind es noch 59 Prozent der Bevölkerung und zwei Prozent in kleinen evangelischen Freikirchen sowie kleineren Religionsgemeinschaften. Das betrifft aber nur die formelle Kirchenzugehörigkeit. Nach empirischen Umfragen von Allensbach und anderen seriösen Instituten, die diese Religionsthemen auch immer wieder abfragen und dabei zum Beispiel unterscheiden, wer noch von denen, die sich als Christen bezeichnen, sich im Sinne des Apostolischen Glaubensbekenntnis als gläubig erklärt, sieht die Angelegenheit für die Kirchen weit schlimmer aus.

Danach haben wir nur noch 20 Prozent gläubige Christen in Deutschland. Weitere 40 Prozent glauben an höhere Mächte oder an sonstige transzendentale Dinge oder Mächte, aber nicht mehr an einen persönlichen Gott. Diese sind also im eigentlichen Sinne nicht mehr christlich. Weitere 15 Prozent wissen gar nicht mehr, woran sie glauben sollen, obwohl sie Kirchenmitglieder sind.

Und dann gibt es bei den Evangelischen noch 20, bei den Katholiken rund 10 Prozent Atheisten, die aber trotz allem noch in der Kirche sind, weil sie zum Beispiel bei der Caritas in der Diakonie arbeiten und ihre Arbeit verlieren würden, wenn sie aus der Kirche austreten oder weil sie bei ihrer Oma seelische Pein auslösen würden.

Momentan sind die Staatskassen besonders klamm. Wäre es nicht an der Zeit, in Öffentlichkeit und Politik über die Streichung der staatlichen Vergünstigungen nachzudenken?

Carsten Frerk: Man sieht schon an ihrer Antwort, dass sie nicht kirchenfreundlich sind. Ein Kirchenvertreter würde sagen, sie sind Religionsfeind.

Ich bin Mitglied der katholischen Kirche, weil diese für mich die höchste Ausdrucksform von Atheismus ist...

Carsten Frerk: Sehen Sie! Sie gehören zu den 10 Prozent. Die Kirchen argumentieren, dass dies keine steuerlichen Vergünstigungen sind, sondern auf Vertrag und Gesetz beruhende Leistungen, die sie erhalten. Deswegen wären sie auch nicht privilegiert.

Diese Argumentation mag aus kirchlicher Sicht seine Berechtigung haben mag, könnte mir aber trotzdem vorstellen, dass dieses Thema politisch relevant werden könnte...

Carsten Frerk: Die Politik und die Kirchen wollen an dieses Thema nicht ran. Ich werde zum Beispiel für mein "Violettbuch" von den Kirchen heftig angefeindet. Da gibt es keine rationalen Diskussionen, kein Abwägen von Argumenten mehr, sondern es wird nur noch versucht, einen fertig zu machen. Ich hatte gerade einen Termin Gespräch mit einem sehr hohen Staatkirchenrechtler der EKD über das Violettbuch und dieser hat sofort behauptet, ich wäre ein militanter, aggressiver Atheist und im Grunde Kommunist, was ich aber nach meiner Kenntnis nie gewesen bin.

Vor drei Jahren hatte der damalige Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN im bayerischen Landtag die Frage gestellt, ob nicht die Gehälter der sieben bayerischen Bischöfe von der Kirche selbst bezahlt werden könnten. Das war ein Betrag von 700 000 Euro und die katholischen Bistümer hatten in diesem Jahr über die Kirchensteuer Einnahmen von 1,3 Milliarden Euro. Da ging durch Bayern ein Aufschrei als ob jemand die Axt an die Wurzeln von Bavarien gelegt hätte. Auf all diese Fragen wird hochemotional reagiert. Karl-Heinz Deschner hat zu mir einmal gesagt, die Kirche lässt sich gegebenenfalls von zehn Glaubensartikeln neun wegnehmen, aber wenn´s ums Geld geht, gibt es kein Pardon.

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