Klaus Barbie und die geheimen Deals der NATO

Der "Schlächter von Lyon" hatte in Südamerika weitaus mehr Verbindungen zu westlichen Geheimstrukturen als bisher bekannt ist

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Der verurteilte Kriegsverbrecher Klaus Barbie war tiefer in Rüstungsgeschäfte und geheimdienstliche Aktivitäten der Bonner Republik verstrickt, als bis dato publik war. Das geht aus Aktenfunden des Mainzer Nachwuchshistorikers Peter Hammerschmidt vor. Der Forscher hatte Ende vergangenen Jahres erstmals Bestände des Bundesnachrichtendienstes (BND) und der US-amerikanischen Geheimdienste zum Fall Barbie einsehen können (s.a.: "Ausgeprägte antikommunistische Haltung" und "Aufarbeitung der braunen Vergangenheit ist längst überfällig"). Demnach hatte Barbie von seiner Flucht mit US-Hilfe über die "Rattenlinie" nach Südamerika 1951 bis zu seiner Auslieferung nach Frankreich 1983 ständigen Kontakt zu westdeutschen und US-amerikanischen Behörden. Die Aufarbeitung dieser Geschichte hat gerade erst begonnen: Kopien der bis vor kurzem geheimen Akten sind nun im Bundesarchiv frei verfügbar. Und weitere könnten folgen.

Nach dem Bild, das Hammerschmidt zeichnet, wurde Barbie in seinem neuen Domizil Bolivien rasch zu einem gefragten Experten im Kalten Krieg. Im gesamten postkolonialen Raum – neben Lateinamerika also auch in Asien und Afrika – wurden Stellvertreterkriege geführt. Auf dem Klimax der Gewalt hatte auch Barbie sein zweites Karrierehoch, nachdem er im französischen Lyon kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges als Gestapo-Chef die Résistance fast vollständig zerschlagen hatte.

Nachdem Barbie, der "Schlächter von Lyon", Ende der 1940er Jahre für den US-Militärgeheimdienst CIC tätig war, blieb er für die US-Dienste auch in Südamerika eine spannende Person. Nach einem 1983 publizierten US-Regierungsbericht von US-Ermittler Allan A. Ryan erwog der Militärgeheimdienst 1965 noch einmal die Rekrutierung des später verurteilten Kriegsverbrechers geheimdienstliche Aktionen. Erst die Intervention des jüdischen US-Senators Jacob Javits – der Barbie fälschlicherweise in München vermutete – verhinderte die Neuanstellung.

Ein Jahr später war Barbie, wie Hammerschmidt nun enthüllte, mehrere Monate für den westdeutschen BND tätig. Und 1967 erhielt er von der CIA sogar wieder eine Chiffrenummer (SD 14614) – eine Vorstufe zur Aktivierung als Agent?

Barbie hatte Kenntnisse von NATO-Deals

Zu dieser Zeit vertrat Barbie in Bolivien die Interessen der Import-Export-Firma "La Estrella" (Der Stern), die in der peruanischen Hauptstadt Lima von dem Nazi-Geschäftsmann Friedrich Schwend gegründet worden war. Dieser war nach Ende des Zweiten Weltkrieges aus dem besiegten Deutschland geflohen und hatte sich in Südamerika eine neue Existenz aufgebaut.

Die Firma "Estrella" stand Ende der 1960er Jahre bereits wieder in engem Kontakt mit der westdeutschen Waffenfirma MEREX, die zunehmend mit südamerikanischen Regierungen Geschäfte betrieb. Im Nachlass Schwends, der vom Hamburger Institut für Sozialforschung verwaltet wird, findet sich unter anderem ein Angebot der MEREX an "Estrella". Darin enthalten: Handfeuerwaffen bis hin zu Panzern, Raketen, und Transall-Transportmaschinen.

Dass Barbies Geschäfte von den US-Botschaften und Geheimdiensten stillschweigend geduldet wurden, geht aus den Archivfunden eindeutig hervor. So gelang es dem einstigen "Schlächter von Lyon", 1969 und 1970 mehrfach in die USA einzureisen, um Waffengeschäfte abzuwickeln. Dass er dabei intime Kenntnisse von den westdeutschen Geheimdeals hatte, belegt ein Brief aus dem Schwend-Archiv. "Am 26. August 1968 berichtete Barbie seinem Geschäftspartner Schwend in einem Brief unter dem Pseudonym 'Petrovic' über ein damals geheimes Flugzeuggeschäft zwischen dem Bonner Verteidigungsministerium und der US-Firma McDonnell", so Hammerschmidt.

Unter Leitung des westdeutschen Generals und ehemaligen Bonner Gesandten in Washingtoner NATO-Militärausschuss, Johannes Steinhoff, waren 88 Aufklärer des Typs RF-4 E (Phantom) mit einem Wert von je sechs Millionen US-Dollar an die Bundeswehr verkauft worden. Der Deal solle "Deutschland die erste Rolle in Bezug auf Aufklärung bei der NATO" zukommen lassen, heißt es in dem Schreiben. Woher Barbie von dem geheimen NATO-Deal wusste, kann bislang nicht geklärt werden. Klar ist, dass er weitaus tiefer in die US- und westdeutschen Strukturen eingebunden war, als die freigegebenen Aktenfunde bislang vermuten lassen.

Rückendeckung aus Washington

Schon damals wurden die Spuren zu Barbie von den politischen Verantwortlichen in den USA verdeckt. Als Senator Javits sich 1967 an das US-Außenamt wandte, bekam das Ministerium nach Aufforderung von der Armee einen, so Hammerschmidt, "erstaunlich offenen" Bericht über die Vorgeschichte des deutschen Agenten. Senatsmitglied Javits hingegen erhielt eine andere Version. Über Barbies Vergangenheit sei nie etwas bekannt gewesen. Die Version behielt auch US-Berichterstatter Ryan über eineinhalb Jahrzehnte später bei – wider besseres Wissen.

In Washington schwankte man immer wieder zwischen Vorsicht und Verlockung, auf Barbies Dienste zurückzugreifen. Belegt ist anhand der nun ausgewerteten Unterlagen, dass die USA von den Machenschaften des ehemaligen Gestapo-Manns und des NS-Geschäftsmanns Schwend wussten. Gemeinsam mit anderen Nazi-Flüchtlingen wie Otto Skorzeny und dem ehemaligen Luftwaffenpiloten Hans-Ulrich Rudel, der über hervorragende Kontakte zur deutschen Schwerindustrie verfügte, errichteten sie ein regelrechtes Netzwerk von Waffenschiebern.

Diese Strukturen waren noch bis weit in die 1970er Jahre aktiv. Schon der Militärputsch des bolivianischen Oberst Hugo Banzer gegen die sozialistische Regierung von Juan José Tores am 21. August 1971 bedeutete für Barbie neue Geschäfte mit deutschen und österreichischen Waffenlieferanten. Diese Deals lassen sich bis Anfang der 1980er Jahre nachverfolgen.