Das Unmögliche überdenken - warum nicht?!

Warum Otto Rösslers Kassandraruf vor künstlich erzeugten Schwarzen Mini-Löchern nicht überhört werden sollte - ein Kommentar

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Chemiker Otto E. Rössler, fraglos ein unbequemer Zeitgeist mit bewegter Biografie, bei Kritikern als exaltierter Exzentriker und bornierter Querulant verschrien, sorgte schon vor Jahren in akademischen Kreisen für Aufsehen. Bundesweite Bekanntheit erlangte Rössler erst seit Anfang 2008, als er anlässlich der Inbetriebnahme des weltgrößten und leistungsstärksten LHC-Teilchenbeschleunigers am CERN (Large Hadron Collider/LHC) verstärkt auf die Gefahren von mikroskopisch kleinen Schwarzen Löcher hinwies, die bei der Kollision von Protonen entstehen könnten. In einem soeben veröffentlichen Telepolis-Beitrag (Ist die Herstellung von künstlichen Schwarzen Löchern riskant?) fordert Rössler kurz vor dem "Restart" des LHCs im März dieses Jahres die sofortige Anberaumung einer interdisziplinären Sicherheitskonferenz, die das Risiko einer solchen potenziellen Katastrophe einschätzen soll. Interessanterweise ist Rössler mit seiner ungewöhnlichen Theorie nicht allein, postulierte doch bereits vor acht Jahren einer der renommiertesten Astrophysiker unserer Zeit das Selbige. Mehr noch: Selbst als Befürworter der damaligen CERN-Versuche warnte dieser seinerzeit trotzdem vor den unkalkulierbaren Risiken solcher Experimente.

Computersimulation einer Proton-Proton-Kollision am Large Hadron Collider LHC. Bild: CERN

Im Mittelalter und in der Zeit der Aufklärung blies Querdenkern und Rebellen, die es wagten, an den Fundamenten des bestehenden naturwissenschaftlichen Weltbildes zu kratzen, in der Regel ein heftiger Gegenwind mitsamt einer eiskalten Prise in die Gesichter. Unbelehrbare, meist konservative und dogmatisch geprägte Wissenschaftspäpste erstickten neue Ideen und revolutionäre Theorien mit fast religiösem Eifer im Keim. "Im Allgemeinen gilt für den wissenschaftlichen Diskurs, dass der Widerstand gegen eine neue These um so heftiger ausfällt, je stärker diese von der gültigen Lehrmeinung abweicht", stellt die US-Historikerin und Philosophin Evelyn Fox Keller wohl nicht ganz zu Unrecht fest.

Keine Chance für das Unorthodoxe

Dass unorthodoxe Ideen, neue Entdeckungen und Forschungsergebnisse oder schlichtweg Hypothesen, die Altbewährtes oder Empirisches in Frage stellten, auch heute noch von Wissenschaftlern gerne unbewusst überlesen oder bewusst ignoriert, vielleicht aber auch nur mit einem milden Augurenlächeln quittiert, schlimmstenfalls sogar in Lächerliche gezogen werden, hat im Wissenschaftsbetrieb eine lange Tradition. Die Augen zu, die Ohren auf Durchzug und den Denkapparat erst gar nicht mit Ungewöhnlichem belasten – mit dieser Haltung blockten selbst renommierte Forscher oft fortschrittliche Ideen und Modelle im Vorfeld ab, die Jahre später einmal in Lehrbüchern sakrosankten Status erlangen sollten.

Kein Geringerer als Alfred Wegener (1880-1930) etwa, dessen Ausnahmestellung in der Polarforschung und den Geowissenschaften heute unumstritten ist, sah sich seinerzeit herben Anfeindungen gegenüber. Als er am 6. Januar 1912 seine Theorie von der permanenten Verschiebung der Kontinente auf der Jahresversammlung der Geologischen Vereinigung in Frankfurt einem Fachpublikum nahezubringen versuchte, schimpften und tobten die anwesenden Gelehrten und stempelten ihn kurzum als fachfremden Fantasten ab.

Kurze Zeit später kommentierte die Fachpresse seine Thesen mit bösen Worten. Während ein Kolumnist Wegeners Theorie als "Fantasiegebilde" titulierte, das wie eine "Seifenblase" platzen werde, ließ sich der Wiener Paläoklimatologe Anton Josef Kerner von Marilaun (1831-1898) zu der Bemerkung hinreißen, Wegeners Thesen seien "Fieberfantasien eines von Krustendrehkrankheit und Polschubseuche schwer Befallenen". Ja, selbst einer der bekanntesten Astronomen seiner Zeit, Fred Hoyle (1915-2001), sprach der Wegenerschen Hypothese jeglichen Kredit ab. Hoyle, der als Anhänger der Steady-State-Theorie zeitgleich das heute kosmologische Standardmodell vom Anfang der Welt verächtlich als "Big Bang" kritisierte, schrieb 1955:

Wie es ein Kontinent, der aus gut 35 Kilometer starkem Felsgestein besteht, anstellen soll, sich fortzubewegen, ist nie wirklich geklärt worden; und ehe nicht irgendein plausibler Mechanismus dafür angegeben werden kann, brauchen wir die Verschiebung von Kontinenten nicht ernst zu nehmen.

Fred Hoyle

Asimovs freifliegende Schwarze Zwerglöcher

Wer heute alte zertrampelte Pfade verlässt, um neue Wege zu finden und dabei etablierte Modelle und Theorien der jungen Vergangenheit und Gegenwart in Frage stellt, sieht sich immer noch völlig gleichgültigen oder sehr renitenten Kollegen gegenüber. Selbst der ehrwürdige und begnadete Science-Fiction-Autor Isaac Asimov, der in seinem 1979 erschienenen Buch "A Choice of Catastrophes" zahlreiche apokalyptische Katastrophenszenarien skizzierte und in Anlehnung an die von Stephen Hawking postulierten sich selbst zerstrahlenden Schwarzen Mini-Löchern in einem Unterkapitel auf die theoretische Gefahr von freifliegenden Exemplaren dieser Klasse zu sprechen kam, musste mit teils heftiger Kritik vorliebnehmen.

Was würde wohl geschehen, so fragte sich Asimov sehr zum Unwillen vieler dogmatischer Astrophysiker dieser Epoche, wenn ein Schwarzes Loch en miniature, angezogen von der Schwerkraft der Sonne, mit der Selbigen kollidierte? Wäre dies der planetare Exitus, das Ende unserer Heimatwelt?

Denkbar wäre, dass die Energieproduktion im Sonneninnern unterbrochen wird und die Sonne kollabiert oder explodiert, ehe die Kernreaktionen wieder auf vollen Touren laufen", so Asimov. "Wenn so etwas unerwartet und plötzlich geschieht, wäre dies für uns die absolute Katastrophe.

Isaac Asimov

Derweil sieht es aber eher danach aus, als seien alle freifliegenden, aus den Tiefen der Galaxis stammenden kleinen potenziellen Schwerkraftfallen à la Asimov geradewegs an der Erde vorbeigeflogen. So anziehend diese kosmischen Gebilde trotz ihrer verschwindend geringen Größe auch sein mögen – für astronomische Fachmagazine, Zeitungen und andere Medien haben sie vorerst an Anziehungskraft bzw. Attraktivität eingebüßt.

Statt dessen beherrscht neuerdings aber eine andere Gattung von Schwarzen Mini-Löchern die Schlagzeilen: eben jene, die unter ganz bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen eher zufällig während eines Experiments mit dem Large Hadron Collider (LHC) am Europäischen Zentrum für Teilchenphysik (CERN) in Genf generiert werden könnten.