Ein Knopf zum Kaufen, personalisierte Preise und "Apartheid Marketing"

Wer 1936 in den rot markierten Bereichen in Philadelphia wohnte, bekam kein Bankdarlehen, um eine Immobilie zu erwerben. Quelle: US-National Archives, siehe Wikipedia

Offener Brief an den Gründer von Facebook

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Lieber Mark Zuckerberg,

Facebook hat 2010 einen Gewinn in Höhe von 30 Prozent erwirtschaftet. Dazu möchte ich Sie beglückwünschen: Für einen Unternehmer im zarten Alter von 26 Jahren ist das - sechs Jahre nach dem Start – eine super Leistung.

Mich würde nun schon interessieren, wie Sie dieses Kunststück genau fertig gebracht haben. Leider wollen Sie aber das genau nicht verraten und lassen gar Ihre Investoren eine Geheimhaltungsvereinbarung unterschreiben (- und ich dachte bisher immer die soziale Norm habe sich gewandelt und es gäbe keine Geheimnisse mehr?)

So ist die Menschheit gezwungen, zu spekulieren: Wer sich's einfach macht, könnte sagen, Sie bieten Ihren Kunden die Möglichkeit, Werbung zu schalten - etwa so wie der Einzelhändler in der Tageszeitung. Das aber würde die Möglichkeiten der Informationsgesellschaft völlig ignorieren. Schließlich kennen Sie Ihre fleißigen Mitglieder vermutlich besser als die sich selbst – und können deren mentale Veränderungen sogar im Zeitverlauf analysieren.

In die Köpfe der Leute gucken

So leistet die Technik Erstaunliches: Google kann beispielsweise die Mitarbeiter mit Hilfe einer mathematischen Formel identifizieren, die demnächst kündigen. Die Google-Personalabteilung prahlt: "So können wir in die Köpfe der Leute gucken, ehe sie selbst wissen, dass sie vielleicht gehen wollen."

Wenn ein Arbeitgeber solche Prognosen anstellen kann – dann wird Facebook wohl ähnliches über Freizeitbeschäftigungen, Freunde, Urlaubspläne, Investitionsentscheidungen, Lebenseinstellungen und vieles Andere mehr aus dem (Liebes-)leben seiner Mitglieder wissen.

Dieses Wissen will in Bargeld verwandelt werden. Das erreichen Sie nicht dadurch, dass Sie den Mitgliedern der Briefmarken-Sammelgruppe die Sondermarke mit dem Konterfei Helmut Kohls anbieten. Dazu müssen Sie schon die Erkenntnisse des 'Target-Marketings' nutzen, das Kaufverhalten analysieren und der Dame genau in dem Augenblick Schuhe anbieten, in dem die Stöckel abbrechen.

Doch auch das ist noch immer nicht das Ende der Fahnenstange: Michael Reiss und Martin Koser vom Lehrstuhl für Organisation der Universität Stuttgart haben 2003 - ein dreiviertel Jahr vor der Gründung Ihres Netzes - beschrieben, wie's geht: „Von der Mass Customization zur Mass Personalization - Elektronische Personalisierung von der Kommunikation über Preisbildung bis zur Distribution“ - so der Titel in „io newmanagement“. Die Wissenschaftler waren bereits damals der Meinung:

1:1-Marketing ist das langfristige Ziel einer anspruchsvollen Individualisierung, wodurch ein kundenzentrierter Marketingansatz an die Stelle des Marketings von homogenen Kundensegmenten tritt: Individuelle Profile ersetzen Marktsegmentdaten.

Weiter glaubten sie, dass „Mass Personalization von Services im Internet unter Beachtung von Datenschutz- und Privacy-Aspekten“ möglich sei. Und im folgenden Satz wird dem staunenden Publikum empfohlen, die Kunden entsprechend ihres "Customer Lifetime Value" mehr oder minder persönlich zu traktieren. Von heute aus betrachtet waren die beiden aber auch erstaunlich naiv:

Allerdings muss damit gerechnet werden, dass ein beträchtlicher Anteil der Kunden nicht oder nur begrenzt in der Lage und willens ist, diesen Kanal (den „e-Channel“) auch zu nutzen, selbst wenn (Preis-)Vorteile damit verbunden sind.

Na gut - hinterher ist man immer schlauer - sie kannten eben Mark Zuckerberg noch nicht: 2010 wurden hierzulande Waren im Wert von 18,3 Milliarden Euro online verkauft.

“Wenn einer Deiner Freunde grade eine Nikon-Camera gekauft hat, könnte Deine teurer werden“

Aus diesen Gütern und Dienstleistungen läßt sich Einiges herauslesen – vor allem, wenn darüber noch auf Facebook geplaudert wird: Handelt es sich um einen Naturburschen, der auch bei Frost im Zelt übernachtet oder einen Bio-Müsli-Jünger in Jesuslatschen, eine Schicki-Micki-Tussi, die einen erheblichen Teil des verfügbaren Einkommens in Mode, Parfum und Schmuck investiert oder eine Fotografin, die jede freie Minute auf der Jagd nach schönen Motiven ist.

Das Ziel der Unternehmer – so die Stuttgarter Wissenschaftler: „Angestrebt wird die bestmögliche Ausnutzung der individuellen Zahlungsbereitschaft der Kunden“. Dan Kaminsky wusste das bereits vor einem Jahr:

Wenn einer Deiner Freunde grade eine Nikon-Camera gekauft hat, könnte Deine teurer werden, denn statistisch ist es wahrscheinlich, dass Du eine Empfehlung von ihm erhalten hast.

Neudeutsch heißt die Mundpropaganda jetzt "Social Shopping" und ist angeblich schwer im Kommen. Insbesondere wenn das noch angetrieben wird durch Anwendungen wie die „Diesel Facebook Cam“: Da können sich die Jungs und Mädels in der Umkleide fotografieren und die Bilder direkt zu Facebook hochladen. Toll! Weniger sozial als vielmehr bösartig ist Kaminskys' zweites Beispiel: „Wenn Deine Familie eine Hochzeit feiert, könnte der Preis Deines Flugtickets steigen.“ Genauso könnten Lieferdienste ihre Preise für (Geh-) Behinderte erhöhen. Die Liste asozialer Erpressungsmittel und -methoden erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Personalisierte Preise

Im Vergleich zu echten Läden aus dem wahren Leben funktionieren personalisierte Preise im virtuellen Kaufhaus besonders gut. Denn ein solch personalisierter Preis wird unter Umständen keinem zweiten Kunden mehr angezeigt. Kein Wunder, dass Einzelhändler dankbar auf den Zug aufspringen - so hat kürzlich die REWE-Gruppe angekündigt, im laufenden Jahr Lebensmittel online zu verkaufen. Günstig dürfte sich auch für die Händler auswirken, dass die Deutschen heute weniger preissensibel sind als noch vor zwei Jahren.

Das wenigstens will Nestle in einer Studie herausgefunden haben. Und natürlich liegt es nahe, dass die Unternehmen direkt bei Facebook eigene Läden unterhalten, um den Kunden an Ort und Stelle abzufangen. Vor einem Jahr sollen angeblich allein in Deutschland bereits 230 „Shops“ betrieben worden sein. Deswegen muss jetzt aus dem „Mögen“-Knopf ein Knopf zum Kaufen werden.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz weist im Konzert mit seinen Europäischen Amtskollegen darauf hin, dass die Online-Werber Cookies nur mit Einverständnis des Nutzers auf dessen Rechner ablegen dürften. Ob Ihnen das mehr als ein müdes Lächeln entlockt? Angesichts der Aussicht auf fette Kundenprofile wage ich das zu bezweifeln. Angeblich machen Sie sich ja nicht einmal die Mühe, Ihre Datenschutzbestimmungen hierzulande deutschem Recht anzupassen.

“Weblining“

Ignoranz und Beratungsresistenz können zum Überspannen (und Reißen) des Bogens führen. Im Fall von Facebook wäre das vermutlich dann der Fall, wenn bekannt würde, dass Facebook-Profile genutzt werden, um Menschen – ähnlich wie bei der Schufa – daran zu hindern, Produkte zu kaufen oder Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. In den USA wurde eine derartige Praxis in den dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts unter dem Stichwort "Redlining" bekannt. So wurden damals die Wohngebiete von Menschen mit geringem Einkommen rot markiert, um sie von Hypothekenkrediten, Versicherungen, Arbeitsplätzen oder sogar Supermärkten auszuschließen. Das hat insbesondere die Farbigen getroffen.

Im Informationszeitalter heißt diese Praxis "Weblining". Die Auswirkungen dieses Phänomens sind auch hierzulande bekannt: So hat etwa der Einzelhändler Kik Auskünfte von Creditreform genutzt, um Leute zu feuern, die womöglich in der Zukunft mal lange Finger machen könnten. Ärzte behandeln Patienten im „Basistarif“ der Privaten Krankenversicherung angeblich 'Dritter Klasse“, weil sie durch diese Klientel Verluste fürchten.

Und auch bei den Kassen selbst haben sozial Schwache nix zu lachen: "Wenn ein Versicherter mehr kostet als er einbringt, erscheint auf dem Bildschirm des zuständigen Sachbearbeiters ein roter Punkt, und man behandelt ihn etwas weniger freundlich", berichtete Ellis Huber, Vorstand Securvita Betriebskrankenkasse, bereits vor Jahren. Die Liste möglicher Nachteile in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft läßt sich beliebig verlängern. Der öffentliche Aufschrei kann im Einzelfall massiv werden. Die diversen Sünder finden sich ganz fix am öffentlichen Pranger.

Wenn nun diese Öffentlichkeit einzig und allein Facebook als Quell für derartiges „Apartheid Marketing“ identifizieren würde, würde die Schar seiner Mitglieder vermutlich rasch sinken und von 30 prozentigen Gewinnen könnten Sie nur noch träumen.

Mit sozialen Grüßen

Joachim Jakobs