Eine Partei zur Entmachtung der Parteien

Interview mit Jörg Gastmann, dem Bundesvorsitzenden der ddp

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Die Deutsche Demokratische Partei (ddp) meldete sich unlängst mit der Nachricht zu Wort, dass sie den Vorschlag der Piratenpartei zur "Totalüberwachung aller Parteien" nicht nur zustimmt, sondern sogar "weit über ihn hinausgehen" will. Ein Anlass für uns, das in einem Interview mit dem Bundesvorsitzenden Jörg Gastmann näher zu erörtern.

Herr Gastmann, Ihre Partei will die legale Korruption durch eine Begrenzung der Abgeordnetenmandate auf vier Jahre eindämmen. Haben nicht schon die Grünen in den 1980er Jahren vorgeführt, wie sich solch ein Vorsatz in Luft auflöst, weil sich in den Parteien strukturell bedingt die machtbewusstesten Persönlichkeiten durchsetzen?

Jörg Gastmann: Zunächst einmal freue ich mich über den von Ihnen verwendeten Begriff "legale Korruption". Wie unter anderem LobbyControl und Transparency International zeigen, hat Deutschland in der Tat ein massives Problem mit "Interessenskonflikten", die fließend in Korruption übergehen. Da sich beide durch Beraterverträge, Anwaltsmandate et cetera sehr leicht verschleiern lassen, erkennt man Korruption am deutlichsten durch das "cui-bono"-Prinzip: Wer profitiert von politischen Entscheidungen, die der Mehrheit der Bevölkerung schaden? Albrecht Müller sagte bei Ihnen im Interview: "Alleine mit den gezahlten Boni kann man eine unserer Parteien gleich mehrmals kaufen".

Was die Grünen betrifft, halte ich sie neben der Linken für die Bundestagspartei mit dem geringsten Korruptionsproblem - immerhin! Die Aufgabe des Rotationsprinzips ist nur eines von vielen Beispielen, in denen Macht die Grünen ihre guten Vorsätze vergessen ließ. Sehr gut auf den Punkt gebracht hat das Ihr Autor Reinhard Jellen in seinem Interview mit Pascal Beucker und Anja Krüger:

Nach der Bundestagswahl 1998 haben die Grünen unter anderem folgende Beschlüsse mitgetragen: Die Bombardierung Serbiens, die Senkung der Spitzensteuer- und Unternehmenssteuer in einem bis dahin ungekannten Maß, die komplette Steuerbefreiung der Gewinne beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen, die Senkung des Rentenniveaus und die Einführung von Hartz IV. Dafür ist aus dem mittelfristigen Ausstieg aus der Atomenergie nichts geworden.

Die ddp verspricht in ihrem Programm unter "Parteienentmachtung" unter anderem die Begrenzung der Mandate auf 4 Jahre, um Seilschaften zu stören beziehungsweise zu verhindern und Abgeordnete auf die Interessen der Bürger auszurichten, indem sie selbst mit den Folgen der Gesetze leben müssen, die sie beschließen. Sollten wir in die Position kommen, unsere Versprechen als Gesetzgeber umsetzen zu können, und sollten wir dann unsere Versprechen brechen, muss man uns abwählen. So, wie die Wähler jede Partei konsequent abwählen sollten, die ihre Versprechen bricht.

Jörg Gastmann

Recht interessant scheint ihr Vorschlag, Justiz- und Verwaltungsposten künftig mit Parteimitgliedschaften für unvereinbar zu erklären. Aber würde dies nicht nur zur Ausbreitung informeller "Freundeskreise" führen, wie es sie in den Rundfunkgremien gibt?

Jörg Gastmann: Mit einer gesetzlichen Unvereinbarkeit von Parteimitgliedschaften und Justizposten wäre endlich die Trennung von Legislative und Judikative vollzogen. Und wenn man im öffentlichen Dienst nur noch ohne Parteibuch Karriere machen könnte, wäre ein Massenexodus aus den Postenbeschaffungs-Parteien die Folge. Zieht man die Viertelmillion Mandatsträger der Parteien sowie die Karrieristen ab, schrumpfen diese Parteien auf ihre echten Anhänger zurück - eine interessante Vorstellung.

Die Antwort auf Ihre Frage, wie stattdessen Polizeipräsidenten, Gerichtspräsidenten, hohe Richter, Oberstaatsanwälte, et cetera gewählt werden, fällt in den ddp-Programmbereich "Volksentscheide". Ebenso wie Bundespräsidenten, Bundeskanzler, Ministerpräsidenten, Bürgermeister, öffentlich-rechtliche Senderchefs, deutsche EU-Kommissare und vor allem Verfassungsrichter würden sie direkt von den Bürgern gewählt, die im Geltungsbereich dieser Positionen leben. In öffentlichen Wahlverfahren mit Kandidatenvorstellungen wie z.B. bei US-Bezirksstaatsanwälten wäre das realisierbar. Medien und Wähler würden die Kandidaten vorher kritisch prüfen. Natürlich wäre das nicht perfekt, aber ein erheblicher Fortschritt gegenüber dem heutigen Seilschaftenprinzip.

Ein anderer Punkt, mit dem sie Demokratieumgehungsmechanismen begegnen wollen, die sich in 60 Jahren Politikpraxis eingeschliffen haben, ist die Pflicht zur Abgabe des Parteibuchs nach Annahme eines Mandats. Bring das nicht potenziell den Nachteil, dass der einzelne Abgeordnete stärker Lobby-Versuchungen ausgesetzt sein könnten, wie dies etwa in den USA der Fall ist?

Jörg Gastmann: Das Lobbyismus-Problem von US-Abgeordneten ist vor allem deshalb so groß, weil dort Direktmandate sehr oft durch Wahlkampfbudgets entscheiden werden. In Deutschland hingegen werden auch Erststimmen fast ausschließlich nach Parteizugehörigkeit vergeben. Lobby-Versuchungen wie bei US-Direktkandidaten gibt es deshalb weniger.

Es ist allgemein bekannt, dass bei uns der Lobbyismus mehr über Fachausschüsse und Parteispitzen läuft. Wie der Bundestagsabgeordnete Marco Bülow in seinem Buch Wir Abnicker bestätigt, nicken Abgeordnete alles ab, was man ihnen vorsetzt, um ihre Karriere nicht zu gefährden.

Bundestagspräsident Lammert verteidigte das System damit, dass Abgeordnete bei Entscheidungen in Fragen, bei denen sie sich nicht auskennen, auf ihre Kollegen vertrauen müssen. Durch die eingangs erwähnte Beschränkung von Mandaten auf 4 Jahre gäbe es solche Karrieremotive nicht.

Den Fraktionszwang zu verbieten ist sinnlos, weil man es nicht überprüfen kann. Also enthält das Programm der ddp die Beseitigung der Problemursache. Jeder Abgeordnete verliert seine Parteizugehörigkeit in dem Moment, in dem er in ein Mandat gewählt wird. Dann sitzen nur noch Parteilose im Parlament. Folglich gäbe es keine Fraktionen, keine Koalitionen und auch keine Opposition mehr, sondern freie Abgeordnete, die 4 Jahre lang sachbezogen frei entscheiden und dann ins wahre Leben zurückkehren.

Wären dann informelle, geheime Fraktionen so verboten wie in der Wirtschaft Kartelle? Ich frage das, weil dieses Beispiel darauf hinweist, dass so ein Verbot möglicherweise nicht von sehr großem praktischem Wert sein könnte ...

Jörg Gastmann: Ein solches Verbot betrachtet auch die ddp als sinnlos. Deshalb ist unser Ansatz, Adressaten für Lobbyismus durch eine Kombination von Maßnahmen gar nicht erst gedeihen zu lassen.

Erstens: Durch die 4-jährige Mandatsbegrenzung fehlt einerseits den Lobbyisten die Zeit, um langfristige Bindungen zu Abgeordneten aufzubauen, und andererseits gibt es aus Abgeordnetensicht keine langfristige Karriere, die sie besonders anfällig dafür macht.

Zweitens führt die automatische Parteilosigkeit bei Mandatsantritt zu einem totalen Machtverlust der heutigen Partei- und Fraktionschefs. 622 unabhängige Abgeordnete, die frei entscheiden können, sind für die 1.400 Lobbyverbände im Gegensatz zu den wenigen Mitgliedern der heutigen Kungelrunden so gut wie nicht in den Griff zu kriegen.

Drittens wollen wir ein striktes Verbot jeglicher Nebentätigkeiten. Und viertens wollen wir alle Forderungen von Transparency International und LobbyControl umsetzen, so unter anderem die Bestechlichkeit auch für Abgeordnete endlich unter Strafe zu stellen.

Wie teuer würde es für den Steuerzahler, wenn Posten statt durch von Parteien dominierte Gremien durch allgemeine Wahlen vergeben werden?

Jörg Gastmann: Darf Demokratie eine Kostenfrage sein? Das Bundesverfassungsgericht vertritt in seinem Hartz IV-Urteil die Auffassung, dass wir einen Sozialstaat und Rechtsstaat nach Kassenlage haben. Unzählige wichtige und wünschenswerte Dinge scheitern an Geldmangel. Wie kann das sein in einem so reichen Land wie Deutschland?

Das führt zum (nach dem Thema Arbeitsmarkt) zweitspektakulärsten Programmpunkt der ddp: Steuersystem und Staatsfinanzen. Die ddp will sämtliche heutigen Steuern abschaffen und durch eine echte Umsatzsteuer ersetzen. 2008 waren in Deutschland Umsätze in Höhe von 5.412 Milliarden Euro umsatzsteuerpflichtig. Mit dem Steuersystem des Bandbreitenmodells befreien wir die Politik aus ihrer finanziellen Ohnmacht.

Eine höhere Umsatzsteuer belastet Geringverdiener weitaus stärker, weil deren Konsumquote wesentlich näher bei 100 Prozent liegen muss. Ist das gerecht?

Jörg Gastmann: Das wäre nur dann ein Problem, wenn wir lediglich die Schräubchen des heutigen Systems hin- und herdrehen würden. Wir stellen jedoch das System vom Kopf auf die Füße und befreien die Menschen aus ihrer Unterwerfung unter den Arbeitsmarkt. Wir unterwerfen stattdessen den Arbeitsmarkt den Menschen - und zwar allen. Das erreichen wir mit dem Bandbreitenmodell, dem BBM.

Darin schaffen wir alle heutigen Steuern ab und ersetzen sie durch eine echte Steuer auf Umsätze, ähnlich der existierenden US Sales Tax. Sie bewegt sich in einer Bandbreite zwischen einem hohen und einem niedrigen Satz. Ausschlaggebender Faktor ist vor allem die Beschäftigungsintensität.

Je mehr inländische Mitarbeiter im Verhältnis zum Inlandsumsatz ein Unternehmen auf der Gehaltsliste führt, desto niedriger ist dessen Umsatzsteuersatz. Innerhalb einer definierten Bandbreite gilt: Je mehr Mitarbeiter ein Unternehmen einstellt, desto billiger sind seine Produkte, weil die zusätzlichen Personalkosten niedriger sind als die Steuerersparnis. Das Einzige, was man von der Steuer absetzen kann, sind Arbeitsplätze, sofern sie gut bezahlt sind. Wer Geschäfte machen will, muss im gleichen Land Beschäftigung bieten. Bei 5,4 Billionen Euro Kaufkraft am deutschen Binnenmarkt lohnt sich das. Dazu brauchen wir nur zwei Gesetze.

Revolution per Steuerrecht, könnte man sagen. Insofern vielleicht typisch deutsch, aber auch andere Länder können damit unter anderem die Probleme Armut, Arbeitslosigkeit, Rente und Staatsverschuldung lösen. Der Handlungsdruck ist gigantisch, und die ddp bietet eine tatsächlich einzigartige Lösung.

Wir setzen damit übrigens die Forderung "Werdet unproduktiver!" von Thomas Mayer um - immerhin Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Wir dosieren die Produktivität und beseitigen die Hauptursachen von Arbeitslosigkeit und Niedriglöhnen, die zum Beispiel Jeremy Rifkin konstatiert. Wir schaffen damit Gerechtigkeit durch Beteiligung aller Menschen an der Wertschöpfung, statt im Nachhinein Almosen umzuverteilen.

Das BBM belastet Geringverdiener nicht, weil es im BBM erstens keine niedrigen Einkommen mehr gibt und sich zweitens die Kostenstruktur so ändert, dass das Preisniveau gleich bleiben könnte. Logische Folge des BBM sind Schweizer Verhältnisse: Wesentlich höhere Einkommen und das Preisniveau, das die Massenkaufkraft hergibt.

Zu berücksichtigen ist auch, dass in unserem Steuersystem die Steuern unter anderem auf regenerative Energien, Bildung, Kultur, Bauleistungen, Gesundheitsdienstleistungen und landwirtschaftliche Produkte (außer Biosprit) bei 0 Prozent liegen und der öffentliche Nahverkehr kostenlos ist. Auch Mieten und Immobilienpreise haben wir im Auge. Insgesamt sinken die Lebenshaltungskosten.

Wenn es keine Geringverdiener mehr gibt, wie sieht es dann mit den Empfängern von Transferleistungen aus?

Jörg Gastmann: Betrachten wir die Ist-Situation der größten Gruppe der Transferempfänger: Heute zahlen rund 24 Millionen sozialversicherungspflichtige Vollzeit-Arbeitnehmer für 20,4 Millionen Rentner in die Rentenkasse ein, Teilzeitarbeitnehmer so gut wie nichts. 1 Rentner müsste also von den Rentenbeiträgen von rund 1,2 Arbeitnehmern leben. Das ist unmöglich. Also schießt der Staat noch 78 Milliarden Euro Bundeszuschuss zu.

Das ist Geld, das er gar nicht hat. Und heraus kommt laut Rentenversicherungsbericht des Deutschen Bundestages eine tatsächliche Rente (jenseits angeblicher Umfrageergebnisse) von durchschnittlich nur 982 Euro. Eine westdeutsche Durchschnittsrentnerin ist mit nur 498 Euro Rente ein Fall fürs Sozialamt, geht aber nicht hin, weil in Deutschland Hilfsbedürftigkeit als Schande gilt.

Seit 2003 sinken die Renten durch fehlenden Inflationsausgleich. Hinzu kommt eine immer familienfeindlichere Arbeitswelt als Hauptursache für den Geburtenrückgang. Die Generation meines 12-jähigen Sohnes muss in 30 Jahren rund 2 Rentner pro Arbeitsplatz ernähren, während die Staatsschulden, die 60 Jahre nonstop gestiegen sind, strukturell bedingt weiter steigen werden. Und für 2050 hat das Bundesfinanzministerium einen Bundeszuschuss von 80 Prozent des Bundeshaushalts errechnet. Das heutige Rentensystem ist offensichtlich eine Fehlkonstruktion ohne Zukunft. Kanzlerin Merkel meinte dazu: "Wer weiß, wie dem demografischen Wandel erfolgreich zu begegnen ist, den beglückwünsche ich".

Bei der zweitgrößten Gruppe Transferempfängern, den ALG-2-Beziehern, sind Situation und Perspektiven nicht besser. Die ddp bietet den Wählern einen neuen Weg. Wir befreien die Arbeit von 44 Prozent Sozialabgaben. Mit dem Beschäftigungsanreiz des Bandbreitenmodells sinkt der Finanzbedarf der Arbeitslosenversicherung auf ein Maß, das in Anbetracht der Staatseinnahmen irrelevant niedrig ist.

ALG 1 liegt in unserem Programm bei mindestens 1.500 Euro plus Wohngeld, und ALG 2 bei 600 Euro plus Wohngeld, finanziert durch unser Steuersystem. Die Renten finanzieren wir mit 3 Säulen. Erste Säule ist eine Mindestrente von 2.000 Euro aus dem Staatshaushalt, die die heutigen Rentner erhalten. Zweite Säule sind private Aktiensparkonten, auf die die Menschen 10 Prozent ihres Einkommens einzahlen. Unser Programmpunkt "Finanzmarktregeln" zeigt, wie wir u.a. aus diesem Grund den deutschen Aktienmarkt von Spekulationen befreien.

Die Hauptsäule der Rente ist wieder das Bandbreitenmodell, durch das Unternehmen als Steuersparmodell auch Menschen auf Gehaltslisten setzen, die sie produktionstechnisch nicht brauchen. Zu diesen "abwesenden Arbeitnehmern" gehören Studenten, Erwerbsunfähige, Erwerbsunwillige und auch Rentner. Die Punkte 3 bis 6 unseres Arbeitsplatzprämiengesetzes zeigen die Details.

Mit "abwesenden Arbeitnehmern" tun sich alle schwer, die die Philosophie "wer nicht arbeitet, muss arm bleiben" verinnerlicht haben. So z.B. der CDU-Abgeordnete Dr. Carsten Linnemann, dem ich das Konzept im Juli 2010 vorstellte. Er war bei der Analyse der existentiellen Probleme unserer Gesellschaft einer Meinung mit mir, jedoch strikt gegen ein Einkommen von 2.000 Euro für Menschen, die der Arbeitsmarkt gar nicht braucht. Der Fetisch Arbeit und die Philosophie der Missgunst sind leider weit verbreitet, können aber kein Argument sein in einem System, in dem immer mehr Erwerbsarbeit wegrationalisiert wird.

Spekulationssichere Börsen

Wie genau wollen Sie den deutschen Aktienmarkt von Spekulationen befreien?

Jörg Gastmann: Die Erläuterung von Handlungsbedarf, Zusammenhängen, Lösung und Wirkungen ist zu umfangreich für den Rahmen eines solch breitgefächerten Interviews. Daher kurz gesagt: Wir ersetzen das heutige Börsensystem durch 33 einfache Finanzmarktregeln, die natürlich nur in der Bundesrepublik Deutschland gelten können. Auf die NYSE, die LSE und andere ausländische Börsen hätte das Konzept keinen direkten, aber einen massiven indirekten Einfluss.

Nach der Devise "der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler" ist zunächst die Frage, wer entscheidend ist. Voraussetzung sind zunächst die Wähler, die eine Partei beauftragen, unsere Gesellschaft aus dem Würgegriff der Wettbüro-Börsen zu befreien. Entscheidend sind aber die Vorstände und Aktionärsversammlungen der Aktiengesellschaften. Sie allein entscheiden, an welchem Börsenplatz ihr Unternehmen gelistet ist. Also muss es für sie attraktiver sein als an anderen Standorten.

Vorstände leiden unter ständigem kurzfristigem Renditedruck, der als Damoklesschwert über ihnen schwebt. Ex-SAP-Chef Kagermann formulierte das mit seinem Satz: "Wir sind Getriebene". Keine Getriebenen mehr zu sein, wäre für Vorstände mindestens ebenso attraktiv wie unser Programmpunkt, die Einkommenssteuer abzuschaffen. Den Aktionären bieten wir mit unserem Konzept nicht nur eine Steueroase, in der die Gewinne aller Unternehmen steuerfrei sind. Zusätzlich nehmen wir Ihnen die Sorge plötzlicher Vermögensverluste, und zwar durch extrem langsame Kursbewegungen.

Spekulationen beseitigen wir, indem wir den Wert von Aktien an den tatsächlichen Wert des Unternehmens koppeln. Dazu bewertet die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung die Aktiengesellschaften so, als stünden sie seriös zum Verkauf. Das heißt konkret: Anlagevermögen plus Umlaufvermögen inklusive Forderungen minus Verbindlichkeiten gleich Vermögenswert. Hinzu kommt der Wert des Tagesgeschäfts - und zwar monatlich roulierend in Form des Umsatzes der jeweils letzten 60 Monate.

Das ergibt den Unternehmensverkaufswert. Dividiert durch die Zahl der Aktien ergibt sich der Aktienkurs. Alle Aktien sind Namensaktien, die das Bundeswirtschaftsministerium in einer Datenbank führt. Anteile an Unternehmen sind nur durch Namensaktien möglich. Derivate sind rechtlich irrelevant und begründen kein Eigentum an Aktien. Als liquider Aufkäufer kauft die Deutsche Rentenversicherung Bund als Verwalter der Aktiensparkonten künftiger Rentner alle Aktien auf, die zu bekommen sind.

Eine Konsequenz sind Kursbewegungen in extrem flachen Kurven, frei von Manipulation und Psychologie. Ohne die Möglichkeit kurzfristiger Kurssprünge entfällt das Motiv für kurzfristig orientierte Geschäftspolitik. Folge sind langfristig deutlich höhere Renditen als an den ausländischen Wettbüro-Börsen. In Kombination mit der bereits geschilderten Steueroase Deutschland und steuerfreien Einkommen ist zu erwarten, dass nicht nur die deutschen Unternehmen in Deutschland notiert bleiben, sondern massenhaft ausländische Unternehmen ihre Zentralen und Notierungen an den Standort Deutschland verlagern. Der einzige Weg für das Ausland, den Exodus zu verhindern, ist die Kopie des deutschen Systems. Und wieder eine Weltrevolution per Federstrich.

Warum haben Sie sich nach der Deutschen Demokratischen Partei benannt? Deren Programm in der Weimarer Republik unterscheidet sich ja deutlich von den hier dargelegten Plänen ...

Jörg Gastmann: Im Sinne des französischen Sprichworts "Tradition heißt nicht die Asche aufzubewahren, sondern die Flamme am Brennen zu halten" verstehen wir uns als moderne Interpreten des Gründergeistes der ddp von 1918. Wenn man sich die Frage stellt, welches Programm die Gründer der ddp heute vertreten würden, käme dem wahrscheinlich unser heutiges Programm am nächsten. Auf unserer Historie-Seite findet man unter anderem ein Wahlplakat von 1919, dessen Ziele mit unseren heutigen Zielen fast identisch sind.

Besonders passend ist das auf der Historie-Seite genannte Zitat "Die Wirtschaft ist unser Schicksal" des ddp-Reichsaußenministers Walther Rathenau. ddp-Mitbegründer Albert Einstein formulierte Weisheiten, die wie geschaffen für unser heutiges Programm sind, so z.B. "Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorneherein ausgeschlossen erscheint" oder "Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muss man vor allem ein Schaf sein".

Zur Tradition der ddp gehören auch die Parallelen von Ursprungs- und Wiedergründung. Der letzte Monarch Deutschlands wurde gerade mal 7 Tage vor der Gründung der ddp vom Thron gestürzt. Eine Unmenge Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Schieflagen hatten sich aufgestaut und schrien nach einem Neuanfang. Genau wie heute. Auch wir stehen für einen echten Neuanfang mit einem echten Systemwechsel.

Der Grund für Unterschiede zum damaligen Programm liegt vor allem an anderen Umständen. Damals gab es keine globale Lohnkostenkonkurrenz, keine Automation, keinen demographischen Wandel, kein Peak Oil, keine Lobby-gesteuerten "Systemmedien", keine systembedingte Perspektivlosigkeit der Jugend, keine dermaßen absurden Finanzmärkte, keinen solchen Sozialfaschimus, keine ratlose EU, keine solche außerpolitische Machtkonzentration und so weiter. Heute bieten wir neue Lösungen für heutige Probleme.

Seit Ihrer Gründung vereinigten Sie sich mit drei Kleinparteien und verhandeln gerade mit drei weiteren. Ein Aufrollplan zum Überschreiten Fünf-Prozent-Hürde?

Jörg Gastmann: Wir sprachen bisher mit 26 der 113 beim Bundeswahlleiter registrierten Parteien. Ich lernte nette Leute kennen, die zum Mars fliegen, von dort aus Helium-3 zur Erde transportieren und die Welt mit Kugelhaufen-Atomreaktoren beglücken wollen. Oder Leute, die über jede Anschaffung von Büroklammern für Behörden radikal basisdemokratisch entscheiden wollen.

Andere wollen auf den Sarrazin-Zug aufspringen oder allen Menschen eine Einheits-Religion aufzwingen, Zwangsarbeit für Arbeitslose, die Goldbindung von Währungen, die Freiwirtschaft, ein Verbot sämtlicher Fleischproduktion oder Strom aus der Steckdose. Viele haben gute Absichten und legitime Forderungen, aber keine Antwort auf die Frage, wie sie ihre Ziele finanzieren, umsetzen oder Mehrheiten bei Wahlen erreichen wollen. Gelinde gesagt ist die Landschaft kleiner Parteien recht heterogen, so dass Vereinigungen extrem selten sind. Ich selbst war Gründer der Strategiepartei und habe mein erstes "Baby" beim Bundeswahlleiter abgemeldet, als ich mich der ddp anschloss.

Unser Weg über die 5%-Hürde, den wir 2011 in Rheinland-Pfalz und vor allem in Berlin versuchen wollen. ist ein anderer. Wir konzentrieren uns auf die kritische, selbst denkende Avantgarde der Wähler, die Early Adopters neuer Ideen. In konzentrischen Kreisen wollen wir dann immer weitere Menschen erreichen. Unser Weg entspricht dem chinesischen Sprichwort: "Der Mann, der den Berg abtrug, war derselbe, der damit angefangen hatte, kleine Steine wegzutragen".

Der Berg, den wir abzutragen versuchen, ist der Berg der Vorurteile, unser heutiges System sei alternativlos, oder das antidemokratische Oligopol der 5 großen Parteien müsse sich keinem freien Wettbewerb um die besten Ideen aussetzen. Die Folgen des erstarrten Oligopols beschreiben Hartwig Bögeholz mit "Deutschlands Politische Klasse ist am Ende" und Florian Rötzer mit "Visionen bietet keine der politischen Parteien an". Wir schon.

Mit der ddp haben die Wähler endlich eine Alternative zur machtorientieren Durchwurstel-Politik. Dabei ist Macht sinnlos, wenn man nichts Sinnvolles mit ihr anzufangen weiß. Unsere "Einzigartig"-Seite zeigt, was wir können. Ob wir dazu eine Chance bekommen, hängt vor allem von der öffentlichen Wahrnehmung ab. Und da kommt Victor Hugo ins Spiel: "Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist."

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